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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Klagen über die Vernichtung Roms.

Erwägungen besondrer Art, die wir hier nicht darlegen können, maßgebend
gewesen sind.

Man tadelt ferner die Reihen sechsstöckiger schmuckloser Häuser, von denen
das eine dem andern gleicht. Sie sind in der That nicht schön, man darf sie
im Gegenteil für sehr häßlich wähnen. Für wen sind sie aber gebaut? "Die
Lumpen derer, die schon darin sind, sieht man überall in langen Fahnenreiheu
vor den Fenstern hängen." Das empfand man doch früher in des Wortes
wahrster Bedeutung als sehr malerisch? Jetzt freilich nicht mehr, denn dem
Bilde fehlt der entsprechende Hintergrund, die "Silhouette," die ja nicht ohne
eine gewisse Unreinlichkeit gedacht wird. Ländlich bleibt aber sittlich oder --
schändlich. Daran ist nichts zu ändern. Kurz, die Leute, die jetzt dort wohnen,
gehören den ärmeren Ständen der Bevölkerung an, die nicht in der Lage sind,
hohe Mietpreise zu bezahlen. Der Grund und Boden ist aber bei den von
Jahr zu Jahr sich steigernden Nachfragen außerordentlich im Preise gestiegen,
und die Wohuungssteuer ist für den Hausbesitzer außergewöhnlich hoch (sie
beträgt Prozent). Wer baut, thut dies, wenn er nicht ausschließlich für
seine eignen Zwecke baut, soweit es die Bestimmungen der Bauordnung zulassen,
möglichst hoch, er baut eben Mietkasernen. Das ist nicht nur in Rom so.
Und eine architektonisch schöne und durchgebildete Fassade, deren Folge auch
eine entsprechende Einrichtung des Innern sein würde, spricht sich natürlich
auch in dem Preise der Wohnung aus. Übrigens ist man sich hier des un¬
günstigen Eindruckes, den jene neuen Häuser hervorrufen, vollkommen bewußt
geworden, und die neue Bauordnung sucht dem in Zukunft dadurch vorzubeugen,
daß sie (in Tit. II, Art. 9) verlangt, daß die Fassaden der Neubauten im Ver¬
hältnis zur Wichtigkeit ihrer Lage entsprechend ausgestattet sein müssen. Für
das Haus wird einschließlich der bei italienische!? Wohnhäusern eigentümlichen
Attikastvckwerke (Aufbaue, die sich über der Dachfläche erheben) eine größte
Gesamthöhe von 24 Metern gestattet. Diese Anlage von Attikastocliverkcu kann
ganz untersagt werden, wenn der Bauausschnß eine Verunstaltung für die
öffentlichen Straßen und Plätze befürchtet.

Nun schließlich die Ungeschicktheit, der Mangel an historischem Takt, den
man durch die Anlegung der neuen Häuserviertel der Peterskirche und dem
vatikanischen Palaste gegenüber hat zu Tage treten lassen! Wir stehen voll¬
ständig auf dem Standpunkte derer, die es bedauern, daß ans den Wiesen, die
bisher vor dem Vatikan lagen, bis dicht an den Palast Straßen gebaut, daß
auf der andern Seite am AbHange des Bergrückens, der in den Monte Mario
ausläuft, Ziegelöfen mit hohen Schornsteinen errichtet worden sind, daß der
Rauch in schwarzen Wolken in die vatikanischen Gärten hineinzieht und der
herrliche Blick über die Campagna beinahe ganz verloren gegangen ist. Um
aber brennende und sozial wichtige Fragen, wie die des gegenwärtigen Wohnungs¬
bedürfnisses, zu lösen und zu beurteilen, muß man sich auch einmal auf den


Die Klagen über die Vernichtung Roms.

Erwägungen besondrer Art, die wir hier nicht darlegen können, maßgebend
gewesen sind.

Man tadelt ferner die Reihen sechsstöckiger schmuckloser Häuser, von denen
das eine dem andern gleicht. Sie sind in der That nicht schön, man darf sie
im Gegenteil für sehr häßlich wähnen. Für wen sind sie aber gebaut? „Die
Lumpen derer, die schon darin sind, sieht man überall in langen Fahnenreiheu
vor den Fenstern hängen." Das empfand man doch früher in des Wortes
wahrster Bedeutung als sehr malerisch? Jetzt freilich nicht mehr, denn dem
Bilde fehlt der entsprechende Hintergrund, die „Silhouette," die ja nicht ohne
eine gewisse Unreinlichkeit gedacht wird. Ländlich bleibt aber sittlich oder —
schändlich. Daran ist nichts zu ändern. Kurz, die Leute, die jetzt dort wohnen,
gehören den ärmeren Ständen der Bevölkerung an, die nicht in der Lage sind,
hohe Mietpreise zu bezahlen. Der Grund und Boden ist aber bei den von
Jahr zu Jahr sich steigernden Nachfragen außerordentlich im Preise gestiegen,
und die Wohuungssteuer ist für den Hausbesitzer außergewöhnlich hoch (sie
beträgt Prozent). Wer baut, thut dies, wenn er nicht ausschließlich für
seine eignen Zwecke baut, soweit es die Bestimmungen der Bauordnung zulassen,
möglichst hoch, er baut eben Mietkasernen. Das ist nicht nur in Rom so.
Und eine architektonisch schöne und durchgebildete Fassade, deren Folge auch
eine entsprechende Einrichtung des Innern sein würde, spricht sich natürlich
auch in dem Preise der Wohnung aus. Übrigens ist man sich hier des un¬
günstigen Eindruckes, den jene neuen Häuser hervorrufen, vollkommen bewußt
geworden, und die neue Bauordnung sucht dem in Zukunft dadurch vorzubeugen,
daß sie (in Tit. II, Art. 9) verlangt, daß die Fassaden der Neubauten im Ver¬
hältnis zur Wichtigkeit ihrer Lage entsprechend ausgestattet sein müssen. Für
das Haus wird einschließlich der bei italienische!? Wohnhäusern eigentümlichen
Attikastvckwerke (Aufbaue, die sich über der Dachfläche erheben) eine größte
Gesamthöhe von 24 Metern gestattet. Diese Anlage von Attikastocliverkcu kann
ganz untersagt werden, wenn der Bauausschnß eine Verunstaltung für die
öffentlichen Straßen und Plätze befürchtet.

Nun schließlich die Ungeschicktheit, der Mangel an historischem Takt, den
man durch die Anlegung der neuen Häuserviertel der Peterskirche und dem
vatikanischen Palaste gegenüber hat zu Tage treten lassen! Wir stehen voll¬
ständig auf dem Standpunkte derer, die es bedauern, daß ans den Wiesen, die
bisher vor dem Vatikan lagen, bis dicht an den Palast Straßen gebaut, daß
auf der andern Seite am AbHange des Bergrückens, der in den Monte Mario
ausläuft, Ziegelöfen mit hohen Schornsteinen errichtet worden sind, daß der
Rauch in schwarzen Wolken in die vatikanischen Gärten hineinzieht und der
herrliche Blick über die Campagna beinahe ganz verloren gegangen ist. Um
aber brennende und sozial wichtige Fragen, wie die des gegenwärtigen Wohnungs¬
bedürfnisses, zu lösen und zu beurteilen, muß man sich auch einmal auf den


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[0383] Die Klagen über die Vernichtung Roms. Erwägungen besondrer Art, die wir hier nicht darlegen können, maßgebend gewesen sind. Man tadelt ferner die Reihen sechsstöckiger schmuckloser Häuser, von denen das eine dem andern gleicht. Sie sind in der That nicht schön, man darf sie im Gegenteil für sehr häßlich wähnen. Für wen sind sie aber gebaut? „Die Lumpen derer, die schon darin sind, sieht man überall in langen Fahnenreiheu vor den Fenstern hängen." Das empfand man doch früher in des Wortes wahrster Bedeutung als sehr malerisch? Jetzt freilich nicht mehr, denn dem Bilde fehlt der entsprechende Hintergrund, die „Silhouette," die ja nicht ohne eine gewisse Unreinlichkeit gedacht wird. Ländlich bleibt aber sittlich oder — schändlich. Daran ist nichts zu ändern. Kurz, die Leute, die jetzt dort wohnen, gehören den ärmeren Ständen der Bevölkerung an, die nicht in der Lage sind, hohe Mietpreise zu bezahlen. Der Grund und Boden ist aber bei den von Jahr zu Jahr sich steigernden Nachfragen außerordentlich im Preise gestiegen, und die Wohuungssteuer ist für den Hausbesitzer außergewöhnlich hoch (sie beträgt Prozent). Wer baut, thut dies, wenn er nicht ausschließlich für seine eignen Zwecke baut, soweit es die Bestimmungen der Bauordnung zulassen, möglichst hoch, er baut eben Mietkasernen. Das ist nicht nur in Rom so. Und eine architektonisch schöne und durchgebildete Fassade, deren Folge auch eine entsprechende Einrichtung des Innern sein würde, spricht sich natürlich auch in dem Preise der Wohnung aus. Übrigens ist man sich hier des un¬ günstigen Eindruckes, den jene neuen Häuser hervorrufen, vollkommen bewußt geworden, und die neue Bauordnung sucht dem in Zukunft dadurch vorzubeugen, daß sie (in Tit. II, Art. 9) verlangt, daß die Fassaden der Neubauten im Ver¬ hältnis zur Wichtigkeit ihrer Lage entsprechend ausgestattet sein müssen. Für das Haus wird einschließlich der bei italienische!? Wohnhäusern eigentümlichen Attikastvckwerke (Aufbaue, die sich über der Dachfläche erheben) eine größte Gesamthöhe von 24 Metern gestattet. Diese Anlage von Attikastocliverkcu kann ganz untersagt werden, wenn der Bauausschnß eine Verunstaltung für die öffentlichen Straßen und Plätze befürchtet. Nun schließlich die Ungeschicktheit, der Mangel an historischem Takt, den man durch die Anlegung der neuen Häuserviertel der Peterskirche und dem vatikanischen Palaste gegenüber hat zu Tage treten lassen! Wir stehen voll¬ ständig auf dem Standpunkte derer, die es bedauern, daß ans den Wiesen, die bisher vor dem Vatikan lagen, bis dicht an den Palast Straßen gebaut, daß auf der andern Seite am AbHange des Bergrückens, der in den Monte Mario ausläuft, Ziegelöfen mit hohen Schornsteinen errichtet worden sind, daß der Rauch in schwarzen Wolken in die vatikanischen Gärten hineinzieht und der herrliche Blick über die Campagna beinahe ganz verloren gegangen ist. Um aber brennende und sozial wichtige Fragen, wie die des gegenwärtigen Wohnungs¬ bedürfnisses, zu lösen und zu beurteilen, muß man sich auch einmal auf den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/383>, abgerufen am 22.07.2024.