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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die deutschen Kolonisationsbestrebungeu in Gstafrika.

Jahrzehnts der Kvlonialbewegung den ersten Anstoß und anfängliches Leben
gab. Sofern nun in diesem Punkte die Rechnung unsrer Wünsche und Er¬
rungenschaften nicht stimmte und der gebotene Ersatz anderseits nicht in seinem
vollen Werte erkannt wurde, erlahmte auch vielerorten die erste flackernde Be¬
geisterung für überseeischen Landerwerb überhaupt. Inzwischen hat unser Volk
durch Bildung großer aufklärend und anfeuernd wirkender Vereine, wie des
Deutschen Kolonialvereins und der Gesellschaft für deutsche Kolonisation n. a.,
die richtigen und nötigen Maßregeln zur beschleunigten Verwirklichung der ge¬
äußerten Hoffnungen getroffen.

Voraussetzung für diese Hoffnungen ist natürlich, daß der Wertmaßstab
für die gewonnenen Gebiete nicht etwa aus der überraschenden Leichtigkeit ihrer
Erwerbung zu entnehmen sei, daß sie vielmehr in ihrer natürlichen Ausstattung
den Bedürfnissen unsrer Nation entsprechen. Nun kann ja freilich von einer
umfassenden Einzelerknndung derselben, namentlich in Bezug auf ihren Boden¬
wert, noch nicht die Rede sein. Darüber mag noch manches Jahrzehnt ver¬
gehen. Allein zu dem Gesamturteil ist man zweifellos mit wissenschaftlicher
Gründlichkeit vorgedrungen, daß die fraglichen Länderstrecken in überwiegender
Mehrheit nach Eigenart von Land und Leuten und der sonst in Betracht
kommenden Umstände ein vvrwärtsstrebendes Volk dringend zur Bearbeitung
herausfordern. Und das genügt fürs erste vollkommen, genügt auch, um mit
fröhlichem Vertrauen auf immer raschere Fortschritte besonnene praktische An¬
fangsschritte zu thun. Sie sind in allen sechs Kolonien, die wir unser nennen,
bereits gethan, am stockendsten in Westafrika, kräftiger in der Südsee und mehr
noch in Ostafrika.

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen, dergleichen man, soweit eine Mahnung
darin enthalten ist, nicht oft genug wiederholen kann, soll das Folgende mit
einiger Ausführlichkeit bei dem letztgenannten aussichtsreichsten unsrer Kolonial¬
unternehmungen verweilen, ohne damit eine allseitige und eingehende Aufklärung
zu bezwecken.

Wenn man mit vorurteilsfreien Verlangen, die Wahrheit zu ermitteln, die
zahlreichen Reise- und Anbauberichte*) über Deutsch-Ostafrika liest, so gilt von
ihm in ganz besonderm Maße, was ich oben allgemein von unsern Erwerbungen
sagte, daß der Stand unsrer geographischen Kenntnis kolonisatorische Versuche
geradezu herausfordert. Es ist ein weites, etwa 30 000 Quadratmeilen um¬
fassendes Gebiet mit ziemlich regelmäßigem Bodenbau: eine mehr oder minder
schmale Küstenniederung, dahinter allmählich aufsteigende Terrasfenlandschaften,
die teils hochebenartig, teils gebirgig gestaltet sind und, von dem mächtig auf¬
ragenden, aber nicht eben weitverzweigten System des Kilimandscharo abgesehen,



*) Fleißig zusammengestellt in der Schrift des Miiiisterialprttsidcnten Dr. Grimm: "Der
wirtschaftliche Wert von Deutsch-Ostafrika," 1836.
Die deutschen Kolonisationsbestrebungeu in Gstafrika.

Jahrzehnts der Kvlonialbewegung den ersten Anstoß und anfängliches Leben
gab. Sofern nun in diesem Punkte die Rechnung unsrer Wünsche und Er¬
rungenschaften nicht stimmte und der gebotene Ersatz anderseits nicht in seinem
vollen Werte erkannt wurde, erlahmte auch vielerorten die erste flackernde Be¬
geisterung für überseeischen Landerwerb überhaupt. Inzwischen hat unser Volk
durch Bildung großer aufklärend und anfeuernd wirkender Vereine, wie des
Deutschen Kolonialvereins und der Gesellschaft für deutsche Kolonisation n. a.,
die richtigen und nötigen Maßregeln zur beschleunigten Verwirklichung der ge¬
äußerten Hoffnungen getroffen.

Voraussetzung für diese Hoffnungen ist natürlich, daß der Wertmaßstab
für die gewonnenen Gebiete nicht etwa aus der überraschenden Leichtigkeit ihrer
Erwerbung zu entnehmen sei, daß sie vielmehr in ihrer natürlichen Ausstattung
den Bedürfnissen unsrer Nation entsprechen. Nun kann ja freilich von einer
umfassenden Einzelerknndung derselben, namentlich in Bezug auf ihren Boden¬
wert, noch nicht die Rede sein. Darüber mag noch manches Jahrzehnt ver¬
gehen. Allein zu dem Gesamturteil ist man zweifellos mit wissenschaftlicher
Gründlichkeit vorgedrungen, daß die fraglichen Länderstrecken in überwiegender
Mehrheit nach Eigenart von Land und Leuten und der sonst in Betracht
kommenden Umstände ein vvrwärtsstrebendes Volk dringend zur Bearbeitung
herausfordern. Und das genügt fürs erste vollkommen, genügt auch, um mit
fröhlichem Vertrauen auf immer raschere Fortschritte besonnene praktische An¬
fangsschritte zu thun. Sie sind in allen sechs Kolonien, die wir unser nennen,
bereits gethan, am stockendsten in Westafrika, kräftiger in der Südsee und mehr
noch in Ostafrika.

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen, dergleichen man, soweit eine Mahnung
darin enthalten ist, nicht oft genug wiederholen kann, soll das Folgende mit
einiger Ausführlichkeit bei dem letztgenannten aussichtsreichsten unsrer Kolonial¬
unternehmungen verweilen, ohne damit eine allseitige und eingehende Aufklärung
zu bezwecken.

Wenn man mit vorurteilsfreien Verlangen, die Wahrheit zu ermitteln, die
zahlreichen Reise- und Anbauberichte*) über Deutsch-Ostafrika liest, so gilt von
ihm in ganz besonderm Maße, was ich oben allgemein von unsern Erwerbungen
sagte, daß der Stand unsrer geographischen Kenntnis kolonisatorische Versuche
geradezu herausfordert. Es ist ein weites, etwa 30 000 Quadratmeilen um¬
fassendes Gebiet mit ziemlich regelmäßigem Bodenbau: eine mehr oder minder
schmale Küstenniederung, dahinter allmählich aufsteigende Terrasfenlandschaften,
die teils hochebenartig, teils gebirgig gestaltet sind und, von dem mächtig auf¬
ragenden, aber nicht eben weitverzweigten System des Kilimandscharo abgesehen,



*) Fleißig zusammengestellt in der Schrift des Miiiisterialprttsidcnten Dr. Grimm: „Der
wirtschaftliche Wert von Deutsch-Ostafrika," 1836.
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[0364] Die deutschen Kolonisationsbestrebungeu in Gstafrika. Jahrzehnts der Kvlonialbewegung den ersten Anstoß und anfängliches Leben gab. Sofern nun in diesem Punkte die Rechnung unsrer Wünsche und Er¬ rungenschaften nicht stimmte und der gebotene Ersatz anderseits nicht in seinem vollen Werte erkannt wurde, erlahmte auch vielerorten die erste flackernde Be¬ geisterung für überseeischen Landerwerb überhaupt. Inzwischen hat unser Volk durch Bildung großer aufklärend und anfeuernd wirkender Vereine, wie des Deutschen Kolonialvereins und der Gesellschaft für deutsche Kolonisation n. a., die richtigen und nötigen Maßregeln zur beschleunigten Verwirklichung der ge¬ äußerten Hoffnungen getroffen. Voraussetzung für diese Hoffnungen ist natürlich, daß der Wertmaßstab für die gewonnenen Gebiete nicht etwa aus der überraschenden Leichtigkeit ihrer Erwerbung zu entnehmen sei, daß sie vielmehr in ihrer natürlichen Ausstattung den Bedürfnissen unsrer Nation entsprechen. Nun kann ja freilich von einer umfassenden Einzelerknndung derselben, namentlich in Bezug auf ihren Boden¬ wert, noch nicht die Rede sein. Darüber mag noch manches Jahrzehnt ver¬ gehen. Allein zu dem Gesamturteil ist man zweifellos mit wissenschaftlicher Gründlichkeit vorgedrungen, daß die fraglichen Länderstrecken in überwiegender Mehrheit nach Eigenart von Land und Leuten und der sonst in Betracht kommenden Umstände ein vvrwärtsstrebendes Volk dringend zur Bearbeitung herausfordern. Und das genügt fürs erste vollkommen, genügt auch, um mit fröhlichem Vertrauen auf immer raschere Fortschritte besonnene praktische An¬ fangsschritte zu thun. Sie sind in allen sechs Kolonien, die wir unser nennen, bereits gethan, am stockendsten in Westafrika, kräftiger in der Südsee und mehr noch in Ostafrika. Nach diesen allgemeinen Bemerkungen, dergleichen man, soweit eine Mahnung darin enthalten ist, nicht oft genug wiederholen kann, soll das Folgende mit einiger Ausführlichkeit bei dem letztgenannten aussichtsreichsten unsrer Kolonial¬ unternehmungen verweilen, ohne damit eine allseitige und eingehende Aufklärung zu bezwecken. Wenn man mit vorurteilsfreien Verlangen, die Wahrheit zu ermitteln, die zahlreichen Reise- und Anbauberichte*) über Deutsch-Ostafrika liest, so gilt von ihm in ganz besonderm Maße, was ich oben allgemein von unsern Erwerbungen sagte, daß der Stand unsrer geographischen Kenntnis kolonisatorische Versuche geradezu herausfordert. Es ist ein weites, etwa 30 000 Quadratmeilen um¬ fassendes Gebiet mit ziemlich regelmäßigem Bodenbau: eine mehr oder minder schmale Küstenniederung, dahinter allmählich aufsteigende Terrasfenlandschaften, die teils hochebenartig, teils gebirgig gestaltet sind und, von dem mächtig auf¬ ragenden, aber nicht eben weitverzweigten System des Kilimandscharo abgesehen, *) Fleißig zusammengestellt in der Schrift des Miiiisterialprttsidcnten Dr. Grimm: „Der wirtschaftliche Wert von Deutsch-Ostafrika," 1836.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/364>, abgerufen am 04.07.2024.