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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Grient.

nach zehn Uhr bestiegen wir eine Barke und fuhren über das stille Meer
uach einem benachbarten Türkendorfe, wo unter freiem Himmel eine armenische
Truppe die dramatische Kunst vertritt, vor einem nur aus Einheimischen be¬
stehenden Publikum von Männern und etlichen griechischen und armenischen
Frauen. Gleich der Eintritt war bezeichnend; man forderte kühn von uns
Europäern das Doppelte des angezeigten Eintrittsgeldes, ging aber bald auf die
Hälfte desselben herab, als ein türkisch sprechender Gefährte diese Forderung
in unverblümter Weise bezeichnete, ja man wurde so unterwürfig, daß man
einige von den Zuschauern wegjagte, um uns bequeme Plätze zu verschaffen.
Man stellte unter Musikbegleitung eine tragische Pantomime dar, in welcher
ein stets mit Szepter, Krone und Hermelin auftretender König von einem
Bösewicht sich zur Verstoßung seines treuen Ministers und zur Verdächtigung
der Königin hinreißen ließ. Es waren kurze Szenen, in denen fast alle ver¬
haftet wurden, worauf jedesmal der Vorhang fiel, sodaß dieser eigentlich der
an? meisten in Bewegung gesetzte Teil des Theaters war. Natürlich siegte
zuletzt die Unschuld, die Tugend wurde belohnt und der Intrigant hingerichtet.
Der Akt der Hinrichtung wurde mit großer Naturwahrheit dargestellt, man sah
ein Schaffst, durch welches der Bösewicht sein mit einem blutigen Band um¬
wundenes Haupt gesteckt hatte, so daß man glauben mußte, er sei von dem
Rumpfe getrennt. Daneben stand ein grausam ausschauender Henker mit dem
fürchterlich blitzenden Beil. Höchst merkwürdig war aber die musikalische Be¬
gleitung dieser tragischen Szenen, welche durch allerlei deutsche Volkslieder und
Gassenhauer noch in ihrer Bedeutung gesteigert wurden, und im Gegensatz zu
dem ernst und gemessen dasitzenden Publikum konnte unsre laute Heiterkeit
nicht mehr zurückgehalten werden, als die Musik die Hinrichtung mit dem
Liede "Ich bin der kleine Postillon" begleitete. Nach der Pause folgte noch
eine gesprochene türkische Posse, die damit begann, daß ein Polizist gefoppt
und verhöhnt wurde. Aber da unser Verständnis doch nur mangelhaft war und
die Zeit längst die Mitte der Nacht überschritten hatte, so verließen wir diesen
Tempel der Kunst und kehrten nach Bujukdere zurück, wo ein Teil von uns
der Gast Gambettas, d. h. nicht des großen Politikers, sondern eines jedenfalls
guten Gastwirts, war.

Wir hatten immer so viele Paläste, Kiosks und Konccks von außen gesehen,
daß der Wunsch in uns rege wurde, auch einmal in das Innere dieser Herr¬
lichkeiten zu gelangen. Freilich denjenigen Teil zu sehen, der mit einer den Frauen
so schmeichelnden Bezeichnung poetisch das Haus der Glückseligkeit genannt wird,
wird höchstens Helden in Schauerromanen gewährt oder Theaterbesuchern in
Mozarts Entführung aus dem Serail. Zu so kühnen Abenteuern waren wir
alle nicht ausgelegt, uns genügte es schon, einen unbewohnten Palast zu be¬
sichtigen, und so wählten wir den auf der asiatischen Seite am Fuße des Bul-
gurlu belegenen Beglerbcg-Serail. Erst im Jahre 1864 von Abdul Aziz


Line Fahrt in den Grient.

nach zehn Uhr bestiegen wir eine Barke und fuhren über das stille Meer
uach einem benachbarten Türkendorfe, wo unter freiem Himmel eine armenische
Truppe die dramatische Kunst vertritt, vor einem nur aus Einheimischen be¬
stehenden Publikum von Männern und etlichen griechischen und armenischen
Frauen. Gleich der Eintritt war bezeichnend; man forderte kühn von uns
Europäern das Doppelte des angezeigten Eintrittsgeldes, ging aber bald auf die
Hälfte desselben herab, als ein türkisch sprechender Gefährte diese Forderung
in unverblümter Weise bezeichnete, ja man wurde so unterwürfig, daß man
einige von den Zuschauern wegjagte, um uns bequeme Plätze zu verschaffen.
Man stellte unter Musikbegleitung eine tragische Pantomime dar, in welcher
ein stets mit Szepter, Krone und Hermelin auftretender König von einem
Bösewicht sich zur Verstoßung seines treuen Ministers und zur Verdächtigung
der Königin hinreißen ließ. Es waren kurze Szenen, in denen fast alle ver¬
haftet wurden, worauf jedesmal der Vorhang fiel, sodaß dieser eigentlich der
an? meisten in Bewegung gesetzte Teil des Theaters war. Natürlich siegte
zuletzt die Unschuld, die Tugend wurde belohnt und der Intrigant hingerichtet.
Der Akt der Hinrichtung wurde mit großer Naturwahrheit dargestellt, man sah
ein Schaffst, durch welches der Bösewicht sein mit einem blutigen Band um¬
wundenes Haupt gesteckt hatte, so daß man glauben mußte, er sei von dem
Rumpfe getrennt. Daneben stand ein grausam ausschauender Henker mit dem
fürchterlich blitzenden Beil. Höchst merkwürdig war aber die musikalische Be¬
gleitung dieser tragischen Szenen, welche durch allerlei deutsche Volkslieder und
Gassenhauer noch in ihrer Bedeutung gesteigert wurden, und im Gegensatz zu
dem ernst und gemessen dasitzenden Publikum konnte unsre laute Heiterkeit
nicht mehr zurückgehalten werden, als die Musik die Hinrichtung mit dem
Liede „Ich bin der kleine Postillon" begleitete. Nach der Pause folgte noch
eine gesprochene türkische Posse, die damit begann, daß ein Polizist gefoppt
und verhöhnt wurde. Aber da unser Verständnis doch nur mangelhaft war und
die Zeit längst die Mitte der Nacht überschritten hatte, so verließen wir diesen
Tempel der Kunst und kehrten nach Bujukdere zurück, wo ein Teil von uns
der Gast Gambettas, d. h. nicht des großen Politikers, sondern eines jedenfalls
guten Gastwirts, war.

Wir hatten immer so viele Paläste, Kiosks und Konccks von außen gesehen,
daß der Wunsch in uns rege wurde, auch einmal in das Innere dieser Herr¬
lichkeiten zu gelangen. Freilich denjenigen Teil zu sehen, der mit einer den Frauen
so schmeichelnden Bezeichnung poetisch das Haus der Glückseligkeit genannt wird,
wird höchstens Helden in Schauerromanen gewährt oder Theaterbesuchern in
Mozarts Entführung aus dem Serail. Zu so kühnen Abenteuern waren wir
alle nicht ausgelegt, uns genügte es schon, einen unbewohnten Palast zu be¬
sichtigen, und so wählten wir den auf der asiatischen Seite am Fuße des Bul-
gurlu belegenen Beglerbcg-Serail. Erst im Jahre 1864 von Abdul Aziz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/358>, abgerufen am 22.07.2024.