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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Vrient.

der Truppen zu. Dieser erfolgt, ohne den strammen Tritt des preußischen
Parademarsches, in der nachlässigen französischen Weise. Bemerkenswert war
von den verschiednen Regimentern ein solches, welches mit Einschluß des Obersten
und aller Offiziere aus Negern bestand, die sich auch noch dadurch auszeichneten,
daß sie um den Fez einen grünen turbanartigen Wulst trugen. Dem Regiment
vorauf gingen vier schwarze Sappeure, wahre Hünengestalten mit malerischem,
wildblickendem Gesicht, würdig, von einem Horace Vernet gemalt zu werden.
Den Schluß bildete das tscherkessische Reiterregiment, gleich ausgezeichnet durch
die Schönheit der Pferde wie der Menschen. Dem Sultan war unterdes das
Pferd sowie ein zierlicher, ihm vom deutschen Kaiser geschenkter Wagen vor¬
geführt worden; er wählte den letzteren und fuhr selbst kutschirend im Trabe in
den Garten zurück, hinter ihm folgten Offiziere und Palastbeamte auf inzwischen
herbeigeholten Pferden in rasendem Galopp. Drinnen soll es in alttürkischer
Weise recht wild hergehen, denn jeder sucht von dem Sultan bei dessen Aus¬
steigen noch einen Blick oder Gruß zu erHaschen, und so drängt rücksichtslos
einer den andern. Man springt von den Pferden, und diese, um welche sich
niemand kümmert, rasen wild in dem Garten umher, sodaß eine solche Sultan¬
begleitung für den nicht in türkischer Zivilisation erzogenen nicht ohne Gefahr'
ist. Aber das Kismeth ist hierzulande von einer ganz merkwürdigen Geduld,
bis sich auch für die Bewohner des goldnen Horns das Goethische Wort erfüllt:


Aber sie trcibens toll,
Ich fürcht', es breche,
Nicht jeden Wochenschluß
Macht Gott die Zeche.



9. Umgebungen. -- Bujukdere. -- <Lin türkisches Theater. -- Beglerbeg.

Wem Gewühl, Lärm und Hitze, Schmutz und Geruch das Leben in Pera
unerträglich machen, der besteigt einen Dampfer und findet sich in kaum einer
Stunde in einer der Villeggiaturen, ähnlich denen, wie sie der Genfer oder
Comer See so entzückend dem Fremden zu bieten pflegen. Wir folgten gern
einer solchen Einladung in der Hoffnung, von den vielen Anstrengungen der
letzten Tage einmal der Ruhe zu genießen. Nach dem Selamlik war es er¬
frischend, als uns der Dampfer von Pera in den Bosporus führte; er hielt
sich ganz nahe dem europäischen Ufer und gab uns Gelegenheit mit Muße zu
betrachten, was unter den vielen auf uns einstürmenden Eindrücken der ersten
Einfahrt nur flüchtig hatte gestreift werden können. Die prächtigen Paläste
von Dolma-Bagtsche und Tschiragan mit ihren zahlreichen Haremliks ließen uns
nicht vergessen, daß wir uns noch im Orient befinden, namentlich der letztere
nicht, der, unnahbar von Patrouillen und Wachen umgeben, dem entthronten
Murad V. zum Aufenthalt dient. Mag auch inwendig eine Pracht herrschen,


Line Fahrt in den Vrient.

der Truppen zu. Dieser erfolgt, ohne den strammen Tritt des preußischen
Parademarsches, in der nachlässigen französischen Weise. Bemerkenswert war
von den verschiednen Regimentern ein solches, welches mit Einschluß des Obersten
und aller Offiziere aus Negern bestand, die sich auch noch dadurch auszeichneten,
daß sie um den Fez einen grünen turbanartigen Wulst trugen. Dem Regiment
vorauf gingen vier schwarze Sappeure, wahre Hünengestalten mit malerischem,
wildblickendem Gesicht, würdig, von einem Horace Vernet gemalt zu werden.
Den Schluß bildete das tscherkessische Reiterregiment, gleich ausgezeichnet durch
die Schönheit der Pferde wie der Menschen. Dem Sultan war unterdes das
Pferd sowie ein zierlicher, ihm vom deutschen Kaiser geschenkter Wagen vor¬
geführt worden; er wählte den letzteren und fuhr selbst kutschirend im Trabe in
den Garten zurück, hinter ihm folgten Offiziere und Palastbeamte auf inzwischen
herbeigeholten Pferden in rasendem Galopp. Drinnen soll es in alttürkischer
Weise recht wild hergehen, denn jeder sucht von dem Sultan bei dessen Aus¬
steigen noch einen Blick oder Gruß zu erHaschen, und so drängt rücksichtslos
einer den andern. Man springt von den Pferden, und diese, um welche sich
niemand kümmert, rasen wild in dem Garten umher, sodaß eine solche Sultan¬
begleitung für den nicht in türkischer Zivilisation erzogenen nicht ohne Gefahr'
ist. Aber das Kismeth ist hierzulande von einer ganz merkwürdigen Geduld,
bis sich auch für die Bewohner des goldnen Horns das Goethische Wort erfüllt:


Aber sie trcibens toll,
Ich fürcht', es breche,
Nicht jeden Wochenschluß
Macht Gott die Zeche.



9. Umgebungen. — Bujukdere. — <Lin türkisches Theater. — Beglerbeg.

Wem Gewühl, Lärm und Hitze, Schmutz und Geruch das Leben in Pera
unerträglich machen, der besteigt einen Dampfer und findet sich in kaum einer
Stunde in einer der Villeggiaturen, ähnlich denen, wie sie der Genfer oder
Comer See so entzückend dem Fremden zu bieten pflegen. Wir folgten gern
einer solchen Einladung in der Hoffnung, von den vielen Anstrengungen der
letzten Tage einmal der Ruhe zu genießen. Nach dem Selamlik war es er¬
frischend, als uns der Dampfer von Pera in den Bosporus führte; er hielt
sich ganz nahe dem europäischen Ufer und gab uns Gelegenheit mit Muße zu
betrachten, was unter den vielen auf uns einstürmenden Eindrücken der ersten
Einfahrt nur flüchtig hatte gestreift werden können. Die prächtigen Paläste
von Dolma-Bagtsche und Tschiragan mit ihren zahlreichen Haremliks ließen uns
nicht vergessen, daß wir uns noch im Orient befinden, namentlich der letztere
nicht, der, unnahbar von Patrouillen und Wachen umgeben, dem entthronten
Murad V. zum Aufenthalt dient. Mag auch inwendig eine Pracht herrschen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/356>, abgerufen am 22.07.2024.