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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Das wormser Volkstheater.

stützen. Die gefüllten Theatergalerien bei Aufführung klassischer Stücke beweisen
freilich nicht gar viel, da ein Teil des Galeriepublikums nur in Anbetracht
des Geldbeutels "Volk" ist. Wer es aber schon beobachtet hat, wie bei billigen
oder unentgeltlichen Musikaufführungen die Menge aufhorchte und andächtiger
wurde, wenn ein Stück von Haydn oder Beethoven erklang, der merkte es
schon den Gesichtern der Leute an, daß sie, ohne sich von der Bedeutung des
Kunstwerkes Rechenschaft geben zu können, diese doch instinktiv ahnten und ein
dunkles Gefühl in sich trugen, daß es trotz Mühe und Schmutz des Werktages,
außer der Sountagskirche und der Pflichterfüllung, deren erlösende Bedeutung
beim heißen Kampf ums Dasein weniger zum Bewußtsein kommen mag, auf
Erden noch etwas giebt, was erhebt und befreit. Das wahre Kunstwerk hat
noch immer beim Volke verfangen, wenn man ihm den Genuß desselben in
angemessener Weise darbot. An der Bühne, als der eigentlichen Kunststätte
des Volkes, sind also die Hebel einzusetzen. Diese Quelle kann dem Volke den
Wcrktagsstaub vom Gemüt abspülen und die idealen Keime seines Wesens be¬
fruchten. Man muß es Männern wie Schön und Herrig danken, wenn sie,
mit dem Herkommen brechend, es unternehmen, für Worms diese Quelle zu er¬
schließen und so vielleicht andre Kreise zur Nachahmung reizen.

Das Wormser Theater als das Mittel zum ethischen Zwecke und seine
Verwaltung soll, wie selbstverständlich und in seinen Folgen doch so befremdlich
für manche, ganz dem idealen Zwecke gemäß eingerichtet werden. Daraus folgt
alles Besondre. Es erfüllt schon mit großer Zuversicht am Gelingen, wenn
ein geschäftskundiger Mann, bevor er an die Verwirklichung seiner Ideale geht,
sich die Frage vorlegt, ob Geldmittel und Teilnahme der Mitbürger genug
vorhanden sein werden, um das Werk vor einem Mißerfolge zu bewahren.
Denn es ist für die gute Sache schädlicher, wenn ein idealer Plan an äußeren
Verhältnissen scheitert, als wenn er einstweilen unausgesprochen bleibt. Im
ersteren Falle haben die Gegner Oberwasser, die Kleinmütigen und die Männer
des IlNszgr Mer werden noch gleichgiltiger und philiströser, und man ist weiter
als je zuvor von einer Verbesserung des Bestehenden entfernt. Schön hat sich,
wie er berichtet, schon seit Jahren, seit dem von ihm angeregten und so trefflich
gelungenen Lutherfestspiele, mit der Frage beschäftigt. Sein offenes Hervortreten
siel zusammen mit ihrer völligen materiellen Sicherung. Alles ist vorbereitet
und organisch angelegt, und es muß gelingen, wenn nur das Publikum selbst
es will.

Wenn nicht der Keim des Verderbens dem jungen Unternehmen mitgegeben,
^- h. wenn es nicht ein Theater wie andre werden sollte, so mußten finanzielle
Interessen von ihm schlechterdings und von vornherein ausgeschlossen sein, es
"uißte gleich auf eignen Füßen stehen. Nur ideale Erwägungen durften bei
Gründung und Leitung maßgebend sein. Wohin die Bühnen gelangen, denen
die Geldfrage die oberste ist, kann man ja oft beobachten. Das Verlangen und


Das wormser Volkstheater.

stützen. Die gefüllten Theatergalerien bei Aufführung klassischer Stücke beweisen
freilich nicht gar viel, da ein Teil des Galeriepublikums nur in Anbetracht
des Geldbeutels „Volk" ist. Wer es aber schon beobachtet hat, wie bei billigen
oder unentgeltlichen Musikaufführungen die Menge aufhorchte und andächtiger
wurde, wenn ein Stück von Haydn oder Beethoven erklang, der merkte es
schon den Gesichtern der Leute an, daß sie, ohne sich von der Bedeutung des
Kunstwerkes Rechenschaft geben zu können, diese doch instinktiv ahnten und ein
dunkles Gefühl in sich trugen, daß es trotz Mühe und Schmutz des Werktages,
außer der Sountagskirche und der Pflichterfüllung, deren erlösende Bedeutung
beim heißen Kampf ums Dasein weniger zum Bewußtsein kommen mag, auf
Erden noch etwas giebt, was erhebt und befreit. Das wahre Kunstwerk hat
noch immer beim Volke verfangen, wenn man ihm den Genuß desselben in
angemessener Weise darbot. An der Bühne, als der eigentlichen Kunststätte
des Volkes, sind also die Hebel einzusetzen. Diese Quelle kann dem Volke den
Wcrktagsstaub vom Gemüt abspülen und die idealen Keime seines Wesens be¬
fruchten. Man muß es Männern wie Schön und Herrig danken, wenn sie,
mit dem Herkommen brechend, es unternehmen, für Worms diese Quelle zu er¬
schließen und so vielleicht andre Kreise zur Nachahmung reizen.

Das Wormser Theater als das Mittel zum ethischen Zwecke und seine
Verwaltung soll, wie selbstverständlich und in seinen Folgen doch so befremdlich
für manche, ganz dem idealen Zwecke gemäß eingerichtet werden. Daraus folgt
alles Besondre. Es erfüllt schon mit großer Zuversicht am Gelingen, wenn
ein geschäftskundiger Mann, bevor er an die Verwirklichung seiner Ideale geht,
sich die Frage vorlegt, ob Geldmittel und Teilnahme der Mitbürger genug
vorhanden sein werden, um das Werk vor einem Mißerfolge zu bewahren.
Denn es ist für die gute Sache schädlicher, wenn ein idealer Plan an äußeren
Verhältnissen scheitert, als wenn er einstweilen unausgesprochen bleibt. Im
ersteren Falle haben die Gegner Oberwasser, die Kleinmütigen und die Männer
des IlNszgr Mer werden noch gleichgiltiger und philiströser, und man ist weiter
als je zuvor von einer Verbesserung des Bestehenden entfernt. Schön hat sich,
wie er berichtet, schon seit Jahren, seit dem von ihm angeregten und so trefflich
gelungenen Lutherfestspiele, mit der Frage beschäftigt. Sein offenes Hervortreten
siel zusammen mit ihrer völligen materiellen Sicherung. Alles ist vorbereitet
und organisch angelegt, und es muß gelingen, wenn nur das Publikum selbst
es will.

Wenn nicht der Keim des Verderbens dem jungen Unternehmen mitgegeben,
^- h. wenn es nicht ein Theater wie andre werden sollte, so mußten finanzielle
Interessen von ihm schlechterdings und von vornherein ausgeschlossen sein, es
"uißte gleich auf eignen Füßen stehen. Nur ideale Erwägungen durften bei
Gründung und Leitung maßgebend sein. Wohin die Bühnen gelangen, denen
die Geldfrage die oberste ist, kann man ja oft beobachten. Das Verlangen und


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[0347] Das wormser Volkstheater. stützen. Die gefüllten Theatergalerien bei Aufführung klassischer Stücke beweisen freilich nicht gar viel, da ein Teil des Galeriepublikums nur in Anbetracht des Geldbeutels „Volk" ist. Wer es aber schon beobachtet hat, wie bei billigen oder unentgeltlichen Musikaufführungen die Menge aufhorchte und andächtiger wurde, wenn ein Stück von Haydn oder Beethoven erklang, der merkte es schon den Gesichtern der Leute an, daß sie, ohne sich von der Bedeutung des Kunstwerkes Rechenschaft geben zu können, diese doch instinktiv ahnten und ein dunkles Gefühl in sich trugen, daß es trotz Mühe und Schmutz des Werktages, außer der Sountagskirche und der Pflichterfüllung, deren erlösende Bedeutung beim heißen Kampf ums Dasein weniger zum Bewußtsein kommen mag, auf Erden noch etwas giebt, was erhebt und befreit. Das wahre Kunstwerk hat noch immer beim Volke verfangen, wenn man ihm den Genuß desselben in angemessener Weise darbot. An der Bühne, als der eigentlichen Kunststätte des Volkes, sind also die Hebel einzusetzen. Diese Quelle kann dem Volke den Wcrktagsstaub vom Gemüt abspülen und die idealen Keime seines Wesens be¬ fruchten. Man muß es Männern wie Schön und Herrig danken, wenn sie, mit dem Herkommen brechend, es unternehmen, für Worms diese Quelle zu er¬ schließen und so vielleicht andre Kreise zur Nachahmung reizen. Das Wormser Theater als das Mittel zum ethischen Zwecke und seine Verwaltung soll, wie selbstverständlich und in seinen Folgen doch so befremdlich für manche, ganz dem idealen Zwecke gemäß eingerichtet werden. Daraus folgt alles Besondre. Es erfüllt schon mit großer Zuversicht am Gelingen, wenn ein geschäftskundiger Mann, bevor er an die Verwirklichung seiner Ideale geht, sich die Frage vorlegt, ob Geldmittel und Teilnahme der Mitbürger genug vorhanden sein werden, um das Werk vor einem Mißerfolge zu bewahren. Denn es ist für die gute Sache schädlicher, wenn ein idealer Plan an äußeren Verhältnissen scheitert, als wenn er einstweilen unausgesprochen bleibt. Im ersteren Falle haben die Gegner Oberwasser, die Kleinmütigen und die Männer des IlNszgr Mer werden noch gleichgiltiger und philiströser, und man ist weiter als je zuvor von einer Verbesserung des Bestehenden entfernt. Schön hat sich, wie er berichtet, schon seit Jahren, seit dem von ihm angeregten und so trefflich gelungenen Lutherfestspiele, mit der Frage beschäftigt. Sein offenes Hervortreten siel zusammen mit ihrer völligen materiellen Sicherung. Alles ist vorbereitet und organisch angelegt, und es muß gelingen, wenn nur das Publikum selbst es will. Wenn nicht der Keim des Verderbens dem jungen Unternehmen mitgegeben, ^- h. wenn es nicht ein Theater wie andre werden sollte, so mußten finanzielle Interessen von ihm schlechterdings und von vornherein ausgeschlossen sein, es "uißte gleich auf eignen Füßen stehen. Nur ideale Erwägungen durften bei Gründung und Leitung maßgebend sein. Wohin die Bühnen gelangen, denen die Geldfrage die oberste ist, kann man ja oft beobachten. Das Verlangen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/347>, abgerufen am 22.07.2024.