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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Das wormser Volkstheater.

bildet -- die nimmt denn die Darstellung mit s, 1a t-Ms ä'unes, sei der Bissen
gut oder schlecht. Man ist unterwegs; vertreibt man sich Hunger oder Lange¬
weile, ist man zufrieden," möchte mit einigen Einschränkungen auch von Berlin
gelten. Diese Meinung erhält jetzt gerade eine eigentümliche Bestätigung durch
die Zeitungsnachricht, man wolle in Berlin ein internationales Theater gründen.
Das wäre schlimm! Wer bestimmt auch die Richtung und Haltung der
Theater in Weltstädten? Das durch Mehrheit und Kapital herrschende
"Boulevardpublikum" mit seiner Vorliebe für das "Aktuelle" und seiner Empor¬
kömmlingsbildung, über die vor kurzem die "Tägliche Rundschau," selbst ein
Berliner Blatt, einen trefflichen Aufsatz brachte. Da kann durchgreifende
Besserung nicht aufkommen. Jedenfalls wird in Worms, wo einer thatkräftigen
Bürgerschaft die große geschichtliche Vergangenheit der Vaterstadt ein Sporn
zu eigner Tüchtigkeit ist, in eigenartigen Verhältnissen Eigenartiges geschaffen
werden. Neu ist dort nicht die Theorie -- Herr Schön, der Urheber jener
Bestrebungen, will in seiner Schrift "Ein städtisches Volkstheater" (1887) gar
nichts neues gesagt haben; er hat die Begeisterung für das Schöne in der Kunst
und die Erkenntnis seiner Bedeutung für das Volksleben von unsern großen
Dichtern geholt und stützt sich auf deren Anschauungen und Gründe. Neuer
dürfte schon der heiße Wunsch sein, dem Volke die Teilnahme an dem zu
ermöglichen, was ihn selbst begeistert und erhebt, und der feste Glaube an
dieselbe Wirkung bei dem gemeinen Manne. Das allerneueste aber ist, daß
Herr Schön seine Gedanken und Wünsche, als sei dies selbstverständlich,
alsbald in Thaten umsetzt. Treffliche Gedanken und Wünsche haben wir in
Deutschland in Masse gehabt, weniger groß war der Überfluß an jenen ent-
schiednen und opferwilligen Männern, und nun gar auf diesem Gebiete. Klagt
doch Herrig mit Recht darüber, daß gerade der Gebildeten und Gebildetsten
Interesse am Theater und ihre Einsicht in seine Bedeutung für das Volks¬
leben oft recht gering sei. Herr Schön ist ein begeisterter Verehrer von
R. Wagner, und sicherlich hat die Begeisterung sür seine Idee und der Wille,
für sie zu wirken, im Wagnerschen Kreise und durch Wagners Schriften die
stärkste Anregung erhalten. Das Wormser Werk geht mittelbar auf Wagner
zurück. Schön hat dieselbe hohe Meinung von der Bedeutung des Theaters
wie Wagner. Man hat Wagner vorgeworfen, daß diese Meinung zu über-
schwcinglich sei. Von der Bedeutung des bestehenden Theaters? Schwerlich!
Denn dieses bekämpfte er. Also von der Bedeutung des verbesserten, noch nicht
vorhandenen, wie es nach seiner Meinung notthat. Dann aber steht Be¬
hauptung gegen Behauptung, und man muß die Zukunft entscheiden lassen.
Einstweilen wollen wir für unsre Person den Einfluß der richtig geleiteten
Bühne auf das Volksleben für recht groß halten. Auch Schön wird bei seinem
Werke nicht vorzugsweise durch ästhetische, sondern mehr noch durch ethische
Beweggründe geleitet. Er spricht darüber selbst in seiner Gelegenheitsschrift und


Das wormser Volkstheater.

bildet — die nimmt denn die Darstellung mit s, 1a t-Ms ä'unes, sei der Bissen
gut oder schlecht. Man ist unterwegs; vertreibt man sich Hunger oder Lange¬
weile, ist man zufrieden," möchte mit einigen Einschränkungen auch von Berlin
gelten. Diese Meinung erhält jetzt gerade eine eigentümliche Bestätigung durch
die Zeitungsnachricht, man wolle in Berlin ein internationales Theater gründen.
Das wäre schlimm! Wer bestimmt auch die Richtung und Haltung der
Theater in Weltstädten? Das durch Mehrheit und Kapital herrschende
„Boulevardpublikum" mit seiner Vorliebe für das „Aktuelle" und seiner Empor¬
kömmlingsbildung, über die vor kurzem die „Tägliche Rundschau," selbst ein
Berliner Blatt, einen trefflichen Aufsatz brachte. Da kann durchgreifende
Besserung nicht aufkommen. Jedenfalls wird in Worms, wo einer thatkräftigen
Bürgerschaft die große geschichtliche Vergangenheit der Vaterstadt ein Sporn
zu eigner Tüchtigkeit ist, in eigenartigen Verhältnissen Eigenartiges geschaffen
werden. Neu ist dort nicht die Theorie — Herr Schön, der Urheber jener
Bestrebungen, will in seiner Schrift „Ein städtisches Volkstheater" (1887) gar
nichts neues gesagt haben; er hat die Begeisterung für das Schöne in der Kunst
und die Erkenntnis seiner Bedeutung für das Volksleben von unsern großen
Dichtern geholt und stützt sich auf deren Anschauungen und Gründe. Neuer
dürfte schon der heiße Wunsch sein, dem Volke die Teilnahme an dem zu
ermöglichen, was ihn selbst begeistert und erhebt, und der feste Glaube an
dieselbe Wirkung bei dem gemeinen Manne. Das allerneueste aber ist, daß
Herr Schön seine Gedanken und Wünsche, als sei dies selbstverständlich,
alsbald in Thaten umsetzt. Treffliche Gedanken und Wünsche haben wir in
Deutschland in Masse gehabt, weniger groß war der Überfluß an jenen ent-
schiednen und opferwilligen Männern, und nun gar auf diesem Gebiete. Klagt
doch Herrig mit Recht darüber, daß gerade der Gebildeten und Gebildetsten
Interesse am Theater und ihre Einsicht in seine Bedeutung für das Volks¬
leben oft recht gering sei. Herr Schön ist ein begeisterter Verehrer von
R. Wagner, und sicherlich hat die Begeisterung sür seine Idee und der Wille,
für sie zu wirken, im Wagnerschen Kreise und durch Wagners Schriften die
stärkste Anregung erhalten. Das Wormser Werk geht mittelbar auf Wagner
zurück. Schön hat dieselbe hohe Meinung von der Bedeutung des Theaters
wie Wagner. Man hat Wagner vorgeworfen, daß diese Meinung zu über-
schwcinglich sei. Von der Bedeutung des bestehenden Theaters? Schwerlich!
Denn dieses bekämpfte er. Also von der Bedeutung des verbesserten, noch nicht
vorhandenen, wie es nach seiner Meinung notthat. Dann aber steht Be¬
hauptung gegen Behauptung, und man muß die Zukunft entscheiden lassen.
Einstweilen wollen wir für unsre Person den Einfluß der richtig geleiteten
Bühne auf das Volksleben für recht groß halten. Auch Schön wird bei seinem
Werke nicht vorzugsweise durch ästhetische, sondern mehr noch durch ethische
Beweggründe geleitet. Er spricht darüber selbst in seiner Gelegenheitsschrift und


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[0344] Das wormser Volkstheater. bildet — die nimmt denn die Darstellung mit s, 1a t-Ms ä'unes, sei der Bissen gut oder schlecht. Man ist unterwegs; vertreibt man sich Hunger oder Lange¬ weile, ist man zufrieden," möchte mit einigen Einschränkungen auch von Berlin gelten. Diese Meinung erhält jetzt gerade eine eigentümliche Bestätigung durch die Zeitungsnachricht, man wolle in Berlin ein internationales Theater gründen. Das wäre schlimm! Wer bestimmt auch die Richtung und Haltung der Theater in Weltstädten? Das durch Mehrheit und Kapital herrschende „Boulevardpublikum" mit seiner Vorliebe für das „Aktuelle" und seiner Empor¬ kömmlingsbildung, über die vor kurzem die „Tägliche Rundschau," selbst ein Berliner Blatt, einen trefflichen Aufsatz brachte. Da kann durchgreifende Besserung nicht aufkommen. Jedenfalls wird in Worms, wo einer thatkräftigen Bürgerschaft die große geschichtliche Vergangenheit der Vaterstadt ein Sporn zu eigner Tüchtigkeit ist, in eigenartigen Verhältnissen Eigenartiges geschaffen werden. Neu ist dort nicht die Theorie — Herr Schön, der Urheber jener Bestrebungen, will in seiner Schrift „Ein städtisches Volkstheater" (1887) gar nichts neues gesagt haben; er hat die Begeisterung für das Schöne in der Kunst und die Erkenntnis seiner Bedeutung für das Volksleben von unsern großen Dichtern geholt und stützt sich auf deren Anschauungen und Gründe. Neuer dürfte schon der heiße Wunsch sein, dem Volke die Teilnahme an dem zu ermöglichen, was ihn selbst begeistert und erhebt, und der feste Glaube an dieselbe Wirkung bei dem gemeinen Manne. Das allerneueste aber ist, daß Herr Schön seine Gedanken und Wünsche, als sei dies selbstverständlich, alsbald in Thaten umsetzt. Treffliche Gedanken und Wünsche haben wir in Deutschland in Masse gehabt, weniger groß war der Überfluß an jenen ent- schiednen und opferwilligen Männern, und nun gar auf diesem Gebiete. Klagt doch Herrig mit Recht darüber, daß gerade der Gebildeten und Gebildetsten Interesse am Theater und ihre Einsicht in seine Bedeutung für das Volks¬ leben oft recht gering sei. Herr Schön ist ein begeisterter Verehrer von R. Wagner, und sicherlich hat die Begeisterung sür seine Idee und der Wille, für sie zu wirken, im Wagnerschen Kreise und durch Wagners Schriften die stärkste Anregung erhalten. Das Wormser Werk geht mittelbar auf Wagner zurück. Schön hat dieselbe hohe Meinung von der Bedeutung des Theaters wie Wagner. Man hat Wagner vorgeworfen, daß diese Meinung zu über- schwcinglich sei. Von der Bedeutung des bestehenden Theaters? Schwerlich! Denn dieses bekämpfte er. Also von der Bedeutung des verbesserten, noch nicht vorhandenen, wie es nach seiner Meinung notthat. Dann aber steht Be¬ hauptung gegen Behauptung, und man muß die Zukunft entscheiden lassen. Einstweilen wollen wir für unsre Person den Einfluß der richtig geleiteten Bühne auf das Volksleben für recht groß halten. Auch Schön wird bei seinem Werke nicht vorzugsweise durch ästhetische, sondern mehr noch durch ethische Beweggründe geleitet. Er spricht darüber selbst in seiner Gelegenheitsschrift und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/344>, abgerufen am 22.07.2024.