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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Das lvormser Volkstheater.

Wenn nur die Literatur- und Theatergeschichte nicht wären, mit ihren bösen
Berichten über ähnliche Bestrebungen, deren Spuren heute nicht mehr zu
entdecken sind! Doch darf man durch die Erinnerung daran lähmende Zweifel¬
sucht und Mutlosigkeit nicht aufkommen lassen. Grabbe giebt uns ja bei einer
Beurteilung des Frankfurter Theaters den bittersüßen Trost, daß "keine Nation
so oft wie die deutsche von Verirrungen wieder auf den rechten Weg gekommen
ist," und wir wollen hoffen, daß diesmal aus den Ansätzen etwas Gutes und
Dauerndes sich entwickeln werde, weil diese Ansätze von ganz andern Zeit¬
umständen begleitet sind, als die frühern ergebnislosen. Hat des idealistischen
Schillers Ansicht: "Wenn wir es erlebten, eine Nationalbnhne zu haben, so
würden wir auch eine Nation," die Probe auf ihre Nichtigkeit leider nicht be¬
stehen dürfen, so wird vielleicht umgekehrt im Gefolge der endlich errungenen
Nationalität die ersehnte Nationalbühne kommen.

Spät genng erschienen ihre ersten Ansätze immer. Die gewaltige natio¬
nale Erschütterung, welche zur deutschen Einheit führte, hätte in der deut¬
schen Kunst ihre Einwirkung wohl schneller und sichtbarer zeigen und ihr mehr
von deutscher Art geben müssen. "National, deutsch!" war freilich der erste be¬
geisterte Ruf, und was das leichteste war, geschah bald: die Kunst, zumal die
Dichtung, wählte häufiger als früher deutsche Stoffe, und in die "Salons"
schritten mit wuchtigem Tritt unsre stiernackigen Vorfahren aus der Völker¬
wanderung als Helden beliebtester Romane. Deutscher Stil, deutsche Art war
aber damit noch nicht schlechterdings gegeben. Doch es kam dann, wie schon
manchmal, die allgemeine Einsicht, daß Deutsch ein leerer Begriff ist, wenn es
nicht so viel bedeutet, wie volkstümlich, und daß der Baum der deutschen Kunst
nur auf dem Boden deutschen Volkstums erwächst und ans ihm seinen Lebens¬
saft zieht; daß ein einzelnes Kunstwerk als Blüte dieses Baumes wohl den
höchsten Wipfel zieren und scheinbar weit von dem Boden entfernt sein kann,
aber doch nur von diesem ernährt wird und die Stoffe erhält, die ihm die
eigne Farbe und den eignen Duft geben. Und auch die Einsicht ist allgemeiner
geworden, daß, wie das deutsche Staatsleben desto gesünder und widerstands¬
fähiger ist, je mehr Deutsche daran teilnehmen können, was eben die wirtschaft¬
liche Gesetzgebung unsers leitenden Staatsmannes bezweckt, so auch die deutsche
Kunst, wenn sie gesund sein soll, ein Gemeingut des gesamten Volkes sein oder
wenigstens nach der Möglichkeit und Würdigkeit, ein solches zu werden, streben
muß. Im andern Falle ist sie ein zu besteuernder Luxusartikel.

Daß der Ruf nach Volkstümlichkeit besonders laut auf dem Gebiete des
Theaters ertönt und dadurch wohl bald die Spekulation anreizen wird, mit
dreister Hand diese Forderung in ihren Dienst zu stellen, daß hier vornehmlich
das erste Anzeichen für Erfüllung derselben, Einsicht und guter Wille, zu
sehen ist, läßt sich erklären. Gerade die Dichtkunst muß zuerst deutsch sein
wollen als die Kunst, welche am stärksten und nachhaltigsten von allen das


Das lvormser Volkstheater.

Wenn nur die Literatur- und Theatergeschichte nicht wären, mit ihren bösen
Berichten über ähnliche Bestrebungen, deren Spuren heute nicht mehr zu
entdecken sind! Doch darf man durch die Erinnerung daran lähmende Zweifel¬
sucht und Mutlosigkeit nicht aufkommen lassen. Grabbe giebt uns ja bei einer
Beurteilung des Frankfurter Theaters den bittersüßen Trost, daß „keine Nation
so oft wie die deutsche von Verirrungen wieder auf den rechten Weg gekommen
ist," und wir wollen hoffen, daß diesmal aus den Ansätzen etwas Gutes und
Dauerndes sich entwickeln werde, weil diese Ansätze von ganz andern Zeit¬
umständen begleitet sind, als die frühern ergebnislosen. Hat des idealistischen
Schillers Ansicht: „Wenn wir es erlebten, eine Nationalbnhne zu haben, so
würden wir auch eine Nation," die Probe auf ihre Nichtigkeit leider nicht be¬
stehen dürfen, so wird vielleicht umgekehrt im Gefolge der endlich errungenen
Nationalität die ersehnte Nationalbühne kommen.

Spät genng erschienen ihre ersten Ansätze immer. Die gewaltige natio¬
nale Erschütterung, welche zur deutschen Einheit führte, hätte in der deut¬
schen Kunst ihre Einwirkung wohl schneller und sichtbarer zeigen und ihr mehr
von deutscher Art geben müssen. „National, deutsch!" war freilich der erste be¬
geisterte Ruf, und was das leichteste war, geschah bald: die Kunst, zumal die
Dichtung, wählte häufiger als früher deutsche Stoffe, und in die „Salons"
schritten mit wuchtigem Tritt unsre stiernackigen Vorfahren aus der Völker¬
wanderung als Helden beliebtester Romane. Deutscher Stil, deutsche Art war
aber damit noch nicht schlechterdings gegeben. Doch es kam dann, wie schon
manchmal, die allgemeine Einsicht, daß Deutsch ein leerer Begriff ist, wenn es
nicht so viel bedeutet, wie volkstümlich, und daß der Baum der deutschen Kunst
nur auf dem Boden deutschen Volkstums erwächst und ans ihm seinen Lebens¬
saft zieht; daß ein einzelnes Kunstwerk als Blüte dieses Baumes wohl den
höchsten Wipfel zieren und scheinbar weit von dem Boden entfernt sein kann,
aber doch nur von diesem ernährt wird und die Stoffe erhält, die ihm die
eigne Farbe und den eignen Duft geben. Und auch die Einsicht ist allgemeiner
geworden, daß, wie das deutsche Staatsleben desto gesünder und widerstands¬
fähiger ist, je mehr Deutsche daran teilnehmen können, was eben die wirtschaft¬
liche Gesetzgebung unsers leitenden Staatsmannes bezweckt, so auch die deutsche
Kunst, wenn sie gesund sein soll, ein Gemeingut des gesamten Volkes sein oder
wenigstens nach der Möglichkeit und Würdigkeit, ein solches zu werden, streben
muß. Im andern Falle ist sie ein zu besteuernder Luxusartikel.

Daß der Ruf nach Volkstümlichkeit besonders laut auf dem Gebiete des
Theaters ertönt und dadurch wohl bald die Spekulation anreizen wird, mit
dreister Hand diese Forderung in ihren Dienst zu stellen, daß hier vornehmlich
das erste Anzeichen für Erfüllung derselben, Einsicht und guter Wille, zu
sehen ist, läßt sich erklären. Gerade die Dichtkunst muß zuerst deutsch sein
wollen als die Kunst, welche am stärksten und nachhaltigsten von allen das


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[0340] Das lvormser Volkstheater. Wenn nur die Literatur- und Theatergeschichte nicht wären, mit ihren bösen Berichten über ähnliche Bestrebungen, deren Spuren heute nicht mehr zu entdecken sind! Doch darf man durch die Erinnerung daran lähmende Zweifel¬ sucht und Mutlosigkeit nicht aufkommen lassen. Grabbe giebt uns ja bei einer Beurteilung des Frankfurter Theaters den bittersüßen Trost, daß „keine Nation so oft wie die deutsche von Verirrungen wieder auf den rechten Weg gekommen ist," und wir wollen hoffen, daß diesmal aus den Ansätzen etwas Gutes und Dauerndes sich entwickeln werde, weil diese Ansätze von ganz andern Zeit¬ umständen begleitet sind, als die frühern ergebnislosen. Hat des idealistischen Schillers Ansicht: „Wenn wir es erlebten, eine Nationalbnhne zu haben, so würden wir auch eine Nation," die Probe auf ihre Nichtigkeit leider nicht be¬ stehen dürfen, so wird vielleicht umgekehrt im Gefolge der endlich errungenen Nationalität die ersehnte Nationalbühne kommen. Spät genng erschienen ihre ersten Ansätze immer. Die gewaltige natio¬ nale Erschütterung, welche zur deutschen Einheit führte, hätte in der deut¬ schen Kunst ihre Einwirkung wohl schneller und sichtbarer zeigen und ihr mehr von deutscher Art geben müssen. „National, deutsch!" war freilich der erste be¬ geisterte Ruf, und was das leichteste war, geschah bald: die Kunst, zumal die Dichtung, wählte häufiger als früher deutsche Stoffe, und in die „Salons" schritten mit wuchtigem Tritt unsre stiernackigen Vorfahren aus der Völker¬ wanderung als Helden beliebtester Romane. Deutscher Stil, deutsche Art war aber damit noch nicht schlechterdings gegeben. Doch es kam dann, wie schon manchmal, die allgemeine Einsicht, daß Deutsch ein leerer Begriff ist, wenn es nicht so viel bedeutet, wie volkstümlich, und daß der Baum der deutschen Kunst nur auf dem Boden deutschen Volkstums erwächst und ans ihm seinen Lebens¬ saft zieht; daß ein einzelnes Kunstwerk als Blüte dieses Baumes wohl den höchsten Wipfel zieren und scheinbar weit von dem Boden entfernt sein kann, aber doch nur von diesem ernährt wird und die Stoffe erhält, die ihm die eigne Farbe und den eignen Duft geben. Und auch die Einsicht ist allgemeiner geworden, daß, wie das deutsche Staatsleben desto gesünder und widerstands¬ fähiger ist, je mehr Deutsche daran teilnehmen können, was eben die wirtschaft¬ liche Gesetzgebung unsers leitenden Staatsmannes bezweckt, so auch die deutsche Kunst, wenn sie gesund sein soll, ein Gemeingut des gesamten Volkes sein oder wenigstens nach der Möglichkeit und Würdigkeit, ein solches zu werden, streben muß. Im andern Falle ist sie ein zu besteuernder Luxusartikel. Daß der Ruf nach Volkstümlichkeit besonders laut auf dem Gebiete des Theaters ertönt und dadurch wohl bald die Spekulation anreizen wird, mit dreister Hand diese Forderung in ihren Dienst zu stellen, daß hier vornehmlich das erste Anzeichen für Erfüllung derselben, Einsicht und guter Wille, zu sehen ist, läßt sich erklären. Gerade die Dichtkunst muß zuerst deutsch sein wollen als die Kunst, welche am stärksten und nachhaltigsten von allen das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/340>, abgerufen am 24.08.2024.