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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosoxhen.

Zusammen eine Kraft erwächst, von der nicht etwa vor dem Zusammen jeder
schon die Hälfte besessen hat, sodaß nur addirt wurde, sondern eine Kraft den
Schwierigkeiten und Aufgaben des Lebens gegenüber, die ohne ihr Zusammen
für sie und ihren Lebenskreis gar nicht da sein würde, wie aneinander geriebene
Hölzer Wärme und Feuer geben können, die jedes für sich kalt waren: so in
jeder Gemeinschaft, deren Kräfte nicht nur neben einander leben oder gar gegen
einander, sondern in zusammengehender Richtung auf ein Ziel, das nur durch
das Zusammen entsteht, wie die Kraft es zu ergreifen auch. Wie man von
einem gelungenen Gesellschaftsspiel aus der Lust eine Auffrischung und Steige¬
rung seines Lebens mit fortnimmt, die auch der Arbeit des andern Tages noch
zu gute kommt, so geht man von einem gelungenen Vereinsabend, der mit Ernst
zu thun hatte, mit einer gesteigerten Lebenskraft fort, die noch Tage lang alle
Schwierigkeiten der Lage, um die sichs handelt, nicht nur wie ein Licht be¬
leuchtet, fondern auch wie von einem erstiegenen höheren Stande beherrscht, zu
dem der Einzelne aus sich nie gekommen wäre. Und wie sich das steigern kann,
wenn sichs wirklich um großes Leben handelt, nun das haben wir im Jahre 1870
in vollem Maße erfahren, um auch ähnliche Erscheinungen in der Geschichte
daran begreifen zu können, z. B. auch die Leistungen und den Geist des Schle-
sischen Heeres damals in den Kämpfen mit dem eigentlichen Napoleon.

Damals konnte man auch erfahren, was das Zusammenleben im Großen
bedeutet und wie es möglich ist. Schon im Kleinen kann man es erfahren
z. B. im Badeleben, wenn da Leute in Verkehr kommen aus den entlegensten
Gegenden und sich, von der befreienden Stimmung des freien Lebens dort ge¬
tragen, rasch nähern. Da werden wohl auch beliebte Lieder zu singen vor¬
genommen ans dem reichen Schatze, dessen wir uns rühmen können, und die
Leute singen zusammen, als wären sie seit Jahre" zusammen gewesen, die sich
doch gestern etwa zuerst gesehen haben. Es ist da ein Können von Wort und
Weise, das sie alle aus ihrer Trennung mitbringen, eine Stimmung, die sie in
sich an einander entwickeln und als Keim in den Seelen niedergelegt auch schon
mitbrachten, kurz, eine fertige Einheit ist da, mitgebracht aus der Trennung: ist
das nicht ein Zusammenleben, das eigentlich schon vorher vorhanden gewesen ist,
ehe es jetzt ins Leben, in die Erscheinung tritt? Und so mit Zeitfragen, die
da zwischen den Männern auftauchen, politische, sociale, religiöse oder sonst
welche große Tagesfragen; wie ist man da oft in der Antwort oder doch in
der rechten Fragstellung schon einig gewesen, ehe man sich gesehen hat, und wie
stärkt das mit Mut und Freude, d. h. steigert das Leben des Einzelnen ans
dem Leben des Ganzen heraus, das man da einmal näher fühlt als sonst, das
aber wiederum dadurch selbst gesteigert und gesichert wird, denn solche Fülle
können an einem Tage zu Hunderten vorgehen über das Vaterland hin, ohne
äußern und doch mit innerm Zusammenhang. Es ist durch das Ganze hin
ein Zusammenleben da, unsichtbar in gewöhnlichen Zeiten, aber still wachsend


Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosoxhen.

Zusammen eine Kraft erwächst, von der nicht etwa vor dem Zusammen jeder
schon die Hälfte besessen hat, sodaß nur addirt wurde, sondern eine Kraft den
Schwierigkeiten und Aufgaben des Lebens gegenüber, die ohne ihr Zusammen
für sie und ihren Lebenskreis gar nicht da sein würde, wie aneinander geriebene
Hölzer Wärme und Feuer geben können, die jedes für sich kalt waren: so in
jeder Gemeinschaft, deren Kräfte nicht nur neben einander leben oder gar gegen
einander, sondern in zusammengehender Richtung auf ein Ziel, das nur durch
das Zusammen entsteht, wie die Kraft es zu ergreifen auch. Wie man von
einem gelungenen Gesellschaftsspiel aus der Lust eine Auffrischung und Steige¬
rung seines Lebens mit fortnimmt, die auch der Arbeit des andern Tages noch
zu gute kommt, so geht man von einem gelungenen Vereinsabend, der mit Ernst
zu thun hatte, mit einer gesteigerten Lebenskraft fort, die noch Tage lang alle
Schwierigkeiten der Lage, um die sichs handelt, nicht nur wie ein Licht be¬
leuchtet, fondern auch wie von einem erstiegenen höheren Stande beherrscht, zu
dem der Einzelne aus sich nie gekommen wäre. Und wie sich das steigern kann,
wenn sichs wirklich um großes Leben handelt, nun das haben wir im Jahre 1870
in vollem Maße erfahren, um auch ähnliche Erscheinungen in der Geschichte
daran begreifen zu können, z. B. auch die Leistungen und den Geist des Schle-
sischen Heeres damals in den Kämpfen mit dem eigentlichen Napoleon.

Damals konnte man auch erfahren, was das Zusammenleben im Großen
bedeutet und wie es möglich ist. Schon im Kleinen kann man es erfahren
z. B. im Badeleben, wenn da Leute in Verkehr kommen aus den entlegensten
Gegenden und sich, von der befreienden Stimmung des freien Lebens dort ge¬
tragen, rasch nähern. Da werden wohl auch beliebte Lieder zu singen vor¬
genommen ans dem reichen Schatze, dessen wir uns rühmen können, und die
Leute singen zusammen, als wären sie seit Jahre» zusammen gewesen, die sich
doch gestern etwa zuerst gesehen haben. Es ist da ein Können von Wort und
Weise, das sie alle aus ihrer Trennung mitbringen, eine Stimmung, die sie in
sich an einander entwickeln und als Keim in den Seelen niedergelegt auch schon
mitbrachten, kurz, eine fertige Einheit ist da, mitgebracht aus der Trennung: ist
das nicht ein Zusammenleben, das eigentlich schon vorher vorhanden gewesen ist,
ehe es jetzt ins Leben, in die Erscheinung tritt? Und so mit Zeitfragen, die
da zwischen den Männern auftauchen, politische, sociale, religiöse oder sonst
welche große Tagesfragen; wie ist man da oft in der Antwort oder doch in
der rechten Fragstellung schon einig gewesen, ehe man sich gesehen hat, und wie
stärkt das mit Mut und Freude, d. h. steigert das Leben des Einzelnen ans
dem Leben des Ganzen heraus, das man da einmal näher fühlt als sonst, das
aber wiederum dadurch selbst gesteigert und gesichert wird, denn solche Fülle
können an einem Tage zu Hunderten vorgehen über das Vaterland hin, ohne
äußern und doch mit innerm Zusammenhang. Es ist durch das Ganze hin
ein Zusammenleben da, unsichtbar in gewöhnlichen Zeiten, aber still wachsend


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[0335] Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosoxhen. Zusammen eine Kraft erwächst, von der nicht etwa vor dem Zusammen jeder schon die Hälfte besessen hat, sodaß nur addirt wurde, sondern eine Kraft den Schwierigkeiten und Aufgaben des Lebens gegenüber, die ohne ihr Zusammen für sie und ihren Lebenskreis gar nicht da sein würde, wie aneinander geriebene Hölzer Wärme und Feuer geben können, die jedes für sich kalt waren: so in jeder Gemeinschaft, deren Kräfte nicht nur neben einander leben oder gar gegen einander, sondern in zusammengehender Richtung auf ein Ziel, das nur durch das Zusammen entsteht, wie die Kraft es zu ergreifen auch. Wie man von einem gelungenen Gesellschaftsspiel aus der Lust eine Auffrischung und Steige¬ rung seines Lebens mit fortnimmt, die auch der Arbeit des andern Tages noch zu gute kommt, so geht man von einem gelungenen Vereinsabend, der mit Ernst zu thun hatte, mit einer gesteigerten Lebenskraft fort, die noch Tage lang alle Schwierigkeiten der Lage, um die sichs handelt, nicht nur wie ein Licht be¬ leuchtet, fondern auch wie von einem erstiegenen höheren Stande beherrscht, zu dem der Einzelne aus sich nie gekommen wäre. Und wie sich das steigern kann, wenn sichs wirklich um großes Leben handelt, nun das haben wir im Jahre 1870 in vollem Maße erfahren, um auch ähnliche Erscheinungen in der Geschichte daran begreifen zu können, z. B. auch die Leistungen und den Geist des Schle- sischen Heeres damals in den Kämpfen mit dem eigentlichen Napoleon. Damals konnte man auch erfahren, was das Zusammenleben im Großen bedeutet und wie es möglich ist. Schon im Kleinen kann man es erfahren z. B. im Badeleben, wenn da Leute in Verkehr kommen aus den entlegensten Gegenden und sich, von der befreienden Stimmung des freien Lebens dort ge¬ tragen, rasch nähern. Da werden wohl auch beliebte Lieder zu singen vor¬ genommen ans dem reichen Schatze, dessen wir uns rühmen können, und die Leute singen zusammen, als wären sie seit Jahre» zusammen gewesen, die sich doch gestern etwa zuerst gesehen haben. Es ist da ein Können von Wort und Weise, das sie alle aus ihrer Trennung mitbringen, eine Stimmung, die sie in sich an einander entwickeln und als Keim in den Seelen niedergelegt auch schon mitbrachten, kurz, eine fertige Einheit ist da, mitgebracht aus der Trennung: ist das nicht ein Zusammenleben, das eigentlich schon vorher vorhanden gewesen ist, ehe es jetzt ins Leben, in die Erscheinung tritt? Und so mit Zeitfragen, die da zwischen den Männern auftauchen, politische, sociale, religiöse oder sonst welche große Tagesfragen; wie ist man da oft in der Antwort oder doch in der rechten Fragstellung schon einig gewesen, ehe man sich gesehen hat, und wie stärkt das mit Mut und Freude, d. h. steigert das Leben des Einzelnen ans dem Leben des Ganzen heraus, das man da einmal näher fühlt als sonst, das aber wiederum dadurch selbst gesteigert und gesichert wird, denn solche Fülle können an einem Tage zu Hunderten vorgehen über das Vaterland hin, ohne äußern und doch mit innerm Zusammenhang. Es ist durch das Ganze hin ein Zusammenleben da, unsichtbar in gewöhnlichen Zeiten, aber still wachsend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/335>, abgerufen am 29.06.2024.