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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Feinde der deutschen Herrschaft gelangten. Die Protestlerischen elsaß-lothringischen
Abgeordneten benutzten die Redefreiheit zu so herausforderndem Auftreten, daß
der Abgeordnete v. Kardorff der Entrüstung aller deutsch fühlenden nur einen
mäßigen Ausdruck gab, als er die Herren Elsaß-Lothringer ersuchte, im deutscheu
Reichstag einen etwas bescheidneren Ton anzuschlagen. Und was thaten die
Herren vom Freisinn? Bei den gröbsten Angriffen gruppirten sie sich bravo-
rufeud um die deutschfeindlichen Redner und spendeten zusammen mit denen vom
Zentrum, die Windthorst noch beherrscht, den Feinden Deutschlands den lautesten
Beifall. Darunter sind manche, die sonst jede Gelegenheit benutzen, um sich als sehr
deutsch und gut kaiserlich aufzuspielen. Mögen etliche dieser Freisinnigen auch
jetzt noch borg, nah meinen, die echtesten Deutschen zu sein, aber Eugen Richter
und seine eigensten Leute stimmen ihre Geige nach dem Tone, den Windthorst
angiebt und der nach der Melodie geht: "Bismarck kann mich nicht ärgern, ich
aber ärgere Bismarck." Eine prächtige Gesellschaft!

Auch Windthorst spielte meist eine traurige Rolle. Bezeichnend genug für
die Stellung dieses guten Reichsfreundes war es noch zuletzt, daß er not¬
gedrungen für das Branntweinsteuergesetz stimmte. Der Riß wäre sonst gar
zu sichtbar gewesen, der ihn von der Mehrheit seiner Partei trennte. Gegen
den entscheidenden Paragraphen hatte der Welfe gestimmt, gegen das ganze
Gesetz wagte er nicht zu stimmen; er machte nur seine "schweren Bedenken"
geltend. Da aber das eigentlich "schwere Bedenken" von ihm doch nicht gesagt
werden konnte, nämlich dies, daß der finanziellen Schwäche des Reichs mit
einem Schlage ein Ende gemacht wurde, so legte er sich auf seinen Beruf, zu
stärkern. Diesmal suchte er die Süddeutschen gegen das Reich aufzuhetzen. Da
mußte er sich von dem Vertreter Baierns beim Bundesrat sagen lassen, daß er
gar nichts anderes bezwecke, als Mißtrauen zu säen. Als Herr von Lerchenfeld-
Köfering ihm die Pille etwas versüßen wollte und unter Lachen der Rechten
und der Nationalliberalen seine Überzeugung aussprach, daß der Herr Ab¬
geordnete Windthorst "nur Gutes bezwecke," gab Herr Windthorst sofort eine
Probe dieses "Guten" damit, daß er als die Bestrebung der Neichsregierung aus¬
gab, "die Selbständigkeit und Initiative der einzelnen deutschen Regierungen zu
schwächen." Indes steht doch so viel fest, daß Herrn Windthorst in dieser Session
das Handwerk, das Reich zu schädigen, wenigstens für sein Wirken im Reichstag,
gründlich gelegt worden ist; seine Stellung im Reichstage war bisher eine völlig
machtlose, bisweilen sogar unwürdige, wenn man erwägt, daß es ihm nicht
einmal gestattet war, bei der Hauptvorlage nach seinem Herzen abzustimmen,
geschweige denn wie früher den deutschen Reichstag zur Versuchsstation für
welfische und ultramontane Experimente zu machen.

So haben denn Zentrum und Deutschfreisiun in diesem Reichstag ihren
staatsfeindlichen Bestrebungen keinen schädlichen Ausdruck geben können. Unsre
auswärtigen Feinde, die unsre Kraft darnach bemessen, ob wir einig sind oder


Feinde der deutschen Herrschaft gelangten. Die Protestlerischen elsaß-lothringischen
Abgeordneten benutzten die Redefreiheit zu so herausforderndem Auftreten, daß
der Abgeordnete v. Kardorff der Entrüstung aller deutsch fühlenden nur einen
mäßigen Ausdruck gab, als er die Herren Elsaß-Lothringer ersuchte, im deutscheu
Reichstag einen etwas bescheidneren Ton anzuschlagen. Und was thaten die
Herren vom Freisinn? Bei den gröbsten Angriffen gruppirten sie sich bravo-
rufeud um die deutschfeindlichen Redner und spendeten zusammen mit denen vom
Zentrum, die Windthorst noch beherrscht, den Feinden Deutschlands den lautesten
Beifall. Darunter sind manche, die sonst jede Gelegenheit benutzen, um sich als sehr
deutsch und gut kaiserlich aufzuspielen. Mögen etliche dieser Freisinnigen auch
jetzt noch borg, nah meinen, die echtesten Deutschen zu sein, aber Eugen Richter
und seine eigensten Leute stimmen ihre Geige nach dem Tone, den Windthorst
angiebt und der nach der Melodie geht: „Bismarck kann mich nicht ärgern, ich
aber ärgere Bismarck." Eine prächtige Gesellschaft!

Auch Windthorst spielte meist eine traurige Rolle. Bezeichnend genug für
die Stellung dieses guten Reichsfreundes war es noch zuletzt, daß er not¬
gedrungen für das Branntweinsteuergesetz stimmte. Der Riß wäre sonst gar
zu sichtbar gewesen, der ihn von der Mehrheit seiner Partei trennte. Gegen
den entscheidenden Paragraphen hatte der Welfe gestimmt, gegen das ganze
Gesetz wagte er nicht zu stimmen; er machte nur seine „schweren Bedenken"
geltend. Da aber das eigentlich „schwere Bedenken" von ihm doch nicht gesagt
werden konnte, nämlich dies, daß der finanziellen Schwäche des Reichs mit
einem Schlage ein Ende gemacht wurde, so legte er sich auf seinen Beruf, zu
stärkern. Diesmal suchte er die Süddeutschen gegen das Reich aufzuhetzen. Da
mußte er sich von dem Vertreter Baierns beim Bundesrat sagen lassen, daß er
gar nichts anderes bezwecke, als Mißtrauen zu säen. Als Herr von Lerchenfeld-
Köfering ihm die Pille etwas versüßen wollte und unter Lachen der Rechten
und der Nationalliberalen seine Überzeugung aussprach, daß der Herr Ab¬
geordnete Windthorst „nur Gutes bezwecke," gab Herr Windthorst sofort eine
Probe dieses „Guten" damit, daß er als die Bestrebung der Neichsregierung aus¬
gab, „die Selbständigkeit und Initiative der einzelnen deutschen Regierungen zu
schwächen." Indes steht doch so viel fest, daß Herrn Windthorst in dieser Session
das Handwerk, das Reich zu schädigen, wenigstens für sein Wirken im Reichstag,
gründlich gelegt worden ist; seine Stellung im Reichstage war bisher eine völlig
machtlose, bisweilen sogar unwürdige, wenn man erwägt, daß es ihm nicht
einmal gestattet war, bei der Hauptvorlage nach seinem Herzen abzustimmen,
geschweige denn wie früher den deutschen Reichstag zur Versuchsstation für
welfische und ultramontane Experimente zu machen.

So haben denn Zentrum und Deutschfreisiun in diesem Reichstag ihren
staatsfeindlichen Bestrebungen keinen schädlichen Ausdruck geben können. Unsre
auswärtigen Feinde, die unsre Kraft darnach bemessen, ob wir einig sind oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/312>, abgerufen am 23.07.2024.