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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssession,

Deutschland, ist geblieben und wird auch noch bis 1890 bleiben. Herr Bou-
langer ist gegangen, aber das neue deutsche Septeunat besteht fort." Es bedarf
nicht des Hinweises auf die sechzehn Regimenter, darunter vierzehn neu gebildeten,
die jüngst wieder zur Verstärkung der Besatzungen an die deutsche Grenze gelegt
worden sind, um zu sagen, daß ärgeres als solche freisinnige Sprache auch ein
französisches Nevancheblatt dem deutschen Reichstage und dem deutschen Volke
nicht an den Kopf werfen kann. Wie denken doch diese Deutschfreisinnigen von
ihrem deutschen Volke, sobald es nicht auf ihre Lockstimme hört!

Im übrigen ließen trotz des deutlichen Urteils, das durch die Wahlen
über sie gesprochen worden war, die Freisinnigen nicht von den aufdringlichsten
Versuchen ab. immer wieder den Wählern beweisen zu wollen, wie unrecht diese
gehabt hätten, sie in die Minderheit zu verweisen. Da war denn die Ablehnung
des Septennats richtig, das sollte der Sturz Boulangers zeigen; daß die fried¬
lichere Lage ganz allein herbeigeführt worden war durch die Mehrheit des
neuen Reichstages, verschwiegen die freisinnigen Fälscher. Auch mit ihrem Ver¬
halten in der Polenausweisungsfrage waren sie im Rechte; das sollte der
russische Jmmobilienukas zeigen, wenn mich die Polenauswcisungen mit dieser
Maßregel gar nichts zu thun haben. Das freisinnige Verhalten in der Kolonial¬
politik war richtig, denn die kolonialen Versuche hatten uach zwei Jahren noch
keinen greifbaren Vorteil; der Widerspruch gegen die Unterstützung der Dampfer¬
linie war begründet, denn der Weg des Reichspostdampfers nach Asien über
Trieft erwies sich lohnender für die Engländer als für die Deutschen. Vor
allem fühlte Bcunberger bei der Debatte über Abänderung des Rcichspvstdampfer-
gesctzes bezüglich der Richtung über Triest wieder einmal das Bedürfnis, der
Nation darzuthun, daß seine Feindschaft gegen die Hebung des deutschen Handels¬
verkehrs immer noch fortbestehe. Besonders aber sollte die Opposition des
Freisinns gegen die Branntweinsteuererhöhling eine volkscrwcckcnde That sein;
wenn der Schnaps teurer wird, so muß der kleine Mann, der schon so viele
male durch die Kornzölle zu Grunde gegangen ist, noch einmal zu Grunde
gehen. Kurz, die großen Propheten des Freisinns, der edle Richter und der
Volksfreund Bamberger, haben immer Recht gehabt, und das dumme Volk, das
von ihnen nichts mehr wissen will, hat Unrecht.

Dabei gaben sich die Fortschrittsmänner alle mögliche Mühe, glücklicher¬
weise vergebens, das Defizit in den Staatskassen aufrecht zu erhalten; daher
ihr Versuch, den Kaffeezvll aufzuheben. Es wird eben die Popularitätshascherei
fort und fort als bestes Stück ihrer Staatskunst betrieben. Daß der Kaffeezvll
nur von den Kaufleuten eingesteckt würde, wäre ihnen gerade recht; der Staat
könnte immerhin um die fünfzig Millionen gebracht werden. Was schadet das?
Durch die Beseitigung dieses Zolles würden doch dem Reiche die Mittel für
die Altersversorgung der Arbeiter entzogen. Wenn man nun das sogar unter
der Firma "Verbesserung der Lebenslage der Arbeiter" kann, was ist da für


Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssession,

Deutschland, ist geblieben und wird auch noch bis 1890 bleiben. Herr Bou-
langer ist gegangen, aber das neue deutsche Septeunat besteht fort." Es bedarf
nicht des Hinweises auf die sechzehn Regimenter, darunter vierzehn neu gebildeten,
die jüngst wieder zur Verstärkung der Besatzungen an die deutsche Grenze gelegt
worden sind, um zu sagen, daß ärgeres als solche freisinnige Sprache auch ein
französisches Nevancheblatt dem deutschen Reichstage und dem deutschen Volke
nicht an den Kopf werfen kann. Wie denken doch diese Deutschfreisinnigen von
ihrem deutschen Volke, sobald es nicht auf ihre Lockstimme hört!

Im übrigen ließen trotz des deutlichen Urteils, das durch die Wahlen
über sie gesprochen worden war, die Freisinnigen nicht von den aufdringlichsten
Versuchen ab. immer wieder den Wählern beweisen zu wollen, wie unrecht diese
gehabt hätten, sie in die Minderheit zu verweisen. Da war denn die Ablehnung
des Septennats richtig, das sollte der Sturz Boulangers zeigen; daß die fried¬
lichere Lage ganz allein herbeigeführt worden war durch die Mehrheit des
neuen Reichstages, verschwiegen die freisinnigen Fälscher. Auch mit ihrem Ver¬
halten in der Polenausweisungsfrage waren sie im Rechte; das sollte der
russische Jmmobilienukas zeigen, wenn mich die Polenauswcisungen mit dieser
Maßregel gar nichts zu thun haben. Das freisinnige Verhalten in der Kolonial¬
politik war richtig, denn die kolonialen Versuche hatten uach zwei Jahren noch
keinen greifbaren Vorteil; der Widerspruch gegen die Unterstützung der Dampfer¬
linie war begründet, denn der Weg des Reichspostdampfers nach Asien über
Trieft erwies sich lohnender für die Engländer als für die Deutschen. Vor
allem fühlte Bcunberger bei der Debatte über Abänderung des Rcichspvstdampfer-
gesctzes bezüglich der Richtung über Triest wieder einmal das Bedürfnis, der
Nation darzuthun, daß seine Feindschaft gegen die Hebung des deutschen Handels¬
verkehrs immer noch fortbestehe. Besonders aber sollte die Opposition des
Freisinns gegen die Branntweinsteuererhöhling eine volkscrwcckcnde That sein;
wenn der Schnaps teurer wird, so muß der kleine Mann, der schon so viele
male durch die Kornzölle zu Grunde gegangen ist, noch einmal zu Grunde
gehen. Kurz, die großen Propheten des Freisinns, der edle Richter und der
Volksfreund Bamberger, haben immer Recht gehabt, und das dumme Volk, das
von ihnen nichts mehr wissen will, hat Unrecht.

Dabei gaben sich die Fortschrittsmänner alle mögliche Mühe, glücklicher¬
weise vergebens, das Defizit in den Staatskassen aufrecht zu erhalten; daher
ihr Versuch, den Kaffeezvll aufzuheben. Es wird eben die Popularitätshascherei
fort und fort als bestes Stück ihrer Staatskunst betrieben. Daß der Kaffeezvll
nur von den Kaufleuten eingesteckt würde, wäre ihnen gerade recht; der Staat
könnte immerhin um die fünfzig Millionen gebracht werden. Was schadet das?
Durch die Beseitigung dieses Zolles würden doch dem Reiche die Mittel für
die Altersversorgung der Arbeiter entzogen. Wenn man nun das sogar unter
der Firma „Verbesserung der Lebenslage der Arbeiter" kann, was ist da für


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[0310] Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssession, Deutschland, ist geblieben und wird auch noch bis 1890 bleiben. Herr Bou- langer ist gegangen, aber das neue deutsche Septeunat besteht fort." Es bedarf nicht des Hinweises auf die sechzehn Regimenter, darunter vierzehn neu gebildeten, die jüngst wieder zur Verstärkung der Besatzungen an die deutsche Grenze gelegt worden sind, um zu sagen, daß ärgeres als solche freisinnige Sprache auch ein französisches Nevancheblatt dem deutschen Reichstage und dem deutschen Volke nicht an den Kopf werfen kann. Wie denken doch diese Deutschfreisinnigen von ihrem deutschen Volke, sobald es nicht auf ihre Lockstimme hört! Im übrigen ließen trotz des deutlichen Urteils, das durch die Wahlen über sie gesprochen worden war, die Freisinnigen nicht von den aufdringlichsten Versuchen ab. immer wieder den Wählern beweisen zu wollen, wie unrecht diese gehabt hätten, sie in die Minderheit zu verweisen. Da war denn die Ablehnung des Septennats richtig, das sollte der Sturz Boulangers zeigen; daß die fried¬ lichere Lage ganz allein herbeigeführt worden war durch die Mehrheit des neuen Reichstages, verschwiegen die freisinnigen Fälscher. Auch mit ihrem Ver¬ halten in der Polenausweisungsfrage waren sie im Rechte; das sollte der russische Jmmobilienukas zeigen, wenn mich die Polenauswcisungen mit dieser Maßregel gar nichts zu thun haben. Das freisinnige Verhalten in der Kolonial¬ politik war richtig, denn die kolonialen Versuche hatten uach zwei Jahren noch keinen greifbaren Vorteil; der Widerspruch gegen die Unterstützung der Dampfer¬ linie war begründet, denn der Weg des Reichspostdampfers nach Asien über Trieft erwies sich lohnender für die Engländer als für die Deutschen. Vor allem fühlte Bcunberger bei der Debatte über Abänderung des Rcichspvstdampfer- gesctzes bezüglich der Richtung über Triest wieder einmal das Bedürfnis, der Nation darzuthun, daß seine Feindschaft gegen die Hebung des deutschen Handels¬ verkehrs immer noch fortbestehe. Besonders aber sollte die Opposition des Freisinns gegen die Branntweinsteuererhöhling eine volkscrwcckcnde That sein; wenn der Schnaps teurer wird, so muß der kleine Mann, der schon so viele male durch die Kornzölle zu Grunde gegangen ist, noch einmal zu Grunde gehen. Kurz, die großen Propheten des Freisinns, der edle Richter und der Volksfreund Bamberger, haben immer Recht gehabt, und das dumme Volk, das von ihnen nichts mehr wissen will, hat Unrecht. Dabei gaben sich die Fortschrittsmänner alle mögliche Mühe, glücklicher¬ weise vergebens, das Defizit in den Staatskassen aufrecht zu erhalten; daher ihr Versuch, den Kaffeezvll aufzuheben. Es wird eben die Popularitätshascherei fort und fort als bestes Stück ihrer Staatskunst betrieben. Daß der Kaffeezvll nur von den Kaufleuten eingesteckt würde, wäre ihnen gerade recht; der Staat könnte immerhin um die fünfzig Millionen gebracht werden. Was schadet das? Durch die Beseitigung dieses Zolles würden doch dem Reiche die Mittel für die Altersversorgung der Arbeiter entzogen. Wenn man nun das sogar unter der Firma „Verbesserung der Lebenslage der Arbeiter" kann, was ist da für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/310>, abgerufen am 22.07.2024.