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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssession.

den Kulturkampf ist die katholische Kirche in Deutschland ungemein gestärkt
worden, und durch die Art, wie dieser Kampf, ohne daß irgend ein Zweck durch
ihn erreicht war, plötzlich abgebrochen wurde, und wie er jetzt beendigt wird,
muß sie noch viel mehr gekräftigt werden." Ganz recht, nur hätte das Kieler
Fortschrittsblatt nicht bereits im Jahre 1874, als Vismarck scharf im Kampfe
gegen den Papst stand, finden sollen, daß im Kulturkampfe doch zu viel Kraft
aufgebracht werde. Diese klugen Politiker meinten damals gelegentlich: wenn
man reale Politik treiben wolle, so müsse man die Hilfe nehmen, woher man
sie bekommen könne. Und so fing der Fortschritt an, zuerst unter allen Parteien
mit dem Zentrum zu buhlen. Diese "reale Politik" hat den Kanzler schließlich
genötigt, sich mit dem Papste auszusöhnen.

Es mag nun noch etwas näher auf das Treiben der Opposition außerhalb
des Reichstages während dieser Zeit eingegangen werden, weil es uns zeigt,
wie richtig das deutsche Volk am 21. Februar geurteilt hat, wenn es dem
Fortschritt seine Mandate entzog. Und da kommen wir auf das Verhalten
wenigstens eines Teiles der freisinnigen Presse in dem Fall Schnäbele zu
sprechen, welches zeigte, wie jeder Gegner Deutschlands bei freisinnigen Blättern
auf ein gewisses Wohlwollen rechnen kann. Die Verhaftung des französischen
Polizeikommissärs war gerichtlich beschlossen worden; die deutschen Behörde"
heilten sich ohne Zweifel Beweisstücke für seine Schuld verschafft, und zwar über¬
zeugende Beweisstücke; die deutschen Beamten, welche mit der Verhaftung be¬
auftragt waren, hatten sich tadellos benommen; sie hatten sich von jedem
Übergriff fern gehalten; die Anklage selbst bezog sich ans Beteiligung an landes¬
verräterischen Umtrieben. Gleichwohl ließ sich bei einer solchen Sachlage die
Vosstsche Zeitung nicht abhalten, mit ihren Mitteilungen aus sogenannten
Privatnachrichten aus Frankreich Partei zu nehmen für Schnäbele gegen die
deutsche Regierung und den Chor der englischen und russischen Hetzstimmen
Zu verstärken. Die französische Presse fand das auch sehr schön, der Pariser
LouLtitutionsl zollte den Berliner Demokraten seinen Beifall in folgender Weise:
"Es ist hocherfrenlich, daß die demokratische Presse in Deutschland immer wieder
scharf gegen die Regierung des Herrn von Bismarck losgeht, weil dieser fort¬
gesetzt Frankreich in unqualisizirbcirer Weise herausfordert und vergewaltigt."
In dieser Schnäbelegcschichte erscholl eine geradezu betäubende Musik deutsch¬
feindlicher Zeitungsstimmen aller Länder; da durften doch die fortschrittlichen
nicht ganz fehlen.

Nun erschien das Ministerium Rouvier. Es kam nur zu stände dadurch,
daß Boulanger nicht wieder als Minister angenommen wurde. Bei dieser Ge¬
legenheit ließ sich Eugen Richters Zeitung in folgender Weise aus: "Boulanger,
der französische Kriegsminister, ist in der abgelaufenen Woche von der politischen
Bildfläche, fast könnte man sagen sang- und klanglos, verschwunden; aber das
Produkt der Angst vor Boulanger, die gegenwärtige Reichstagsmehrheit in


Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssession.

den Kulturkampf ist die katholische Kirche in Deutschland ungemein gestärkt
worden, und durch die Art, wie dieser Kampf, ohne daß irgend ein Zweck durch
ihn erreicht war, plötzlich abgebrochen wurde, und wie er jetzt beendigt wird,
muß sie noch viel mehr gekräftigt werden." Ganz recht, nur hätte das Kieler
Fortschrittsblatt nicht bereits im Jahre 1874, als Vismarck scharf im Kampfe
gegen den Papst stand, finden sollen, daß im Kulturkampfe doch zu viel Kraft
aufgebracht werde. Diese klugen Politiker meinten damals gelegentlich: wenn
man reale Politik treiben wolle, so müsse man die Hilfe nehmen, woher man
sie bekommen könne. Und so fing der Fortschritt an, zuerst unter allen Parteien
mit dem Zentrum zu buhlen. Diese „reale Politik" hat den Kanzler schließlich
genötigt, sich mit dem Papste auszusöhnen.

Es mag nun noch etwas näher auf das Treiben der Opposition außerhalb
des Reichstages während dieser Zeit eingegangen werden, weil es uns zeigt,
wie richtig das deutsche Volk am 21. Februar geurteilt hat, wenn es dem
Fortschritt seine Mandate entzog. Und da kommen wir auf das Verhalten
wenigstens eines Teiles der freisinnigen Presse in dem Fall Schnäbele zu
sprechen, welches zeigte, wie jeder Gegner Deutschlands bei freisinnigen Blättern
auf ein gewisses Wohlwollen rechnen kann. Die Verhaftung des französischen
Polizeikommissärs war gerichtlich beschlossen worden; die deutschen Behörde»
heilten sich ohne Zweifel Beweisstücke für seine Schuld verschafft, und zwar über¬
zeugende Beweisstücke; die deutschen Beamten, welche mit der Verhaftung be¬
auftragt waren, hatten sich tadellos benommen; sie hatten sich von jedem
Übergriff fern gehalten; die Anklage selbst bezog sich ans Beteiligung an landes¬
verräterischen Umtrieben. Gleichwohl ließ sich bei einer solchen Sachlage die
Vosstsche Zeitung nicht abhalten, mit ihren Mitteilungen aus sogenannten
Privatnachrichten aus Frankreich Partei zu nehmen für Schnäbele gegen die
deutsche Regierung und den Chor der englischen und russischen Hetzstimmen
Zu verstärken. Die französische Presse fand das auch sehr schön, der Pariser
LouLtitutionsl zollte den Berliner Demokraten seinen Beifall in folgender Weise:
»Es ist hocherfrenlich, daß die demokratische Presse in Deutschland immer wieder
scharf gegen die Regierung des Herrn von Bismarck losgeht, weil dieser fort¬
gesetzt Frankreich in unqualisizirbcirer Weise herausfordert und vergewaltigt."
In dieser Schnäbelegcschichte erscholl eine geradezu betäubende Musik deutsch¬
feindlicher Zeitungsstimmen aller Länder; da durften doch die fortschrittlichen
nicht ganz fehlen.

Nun erschien das Ministerium Rouvier. Es kam nur zu stände dadurch,
daß Boulanger nicht wieder als Minister angenommen wurde. Bei dieser Ge¬
legenheit ließ sich Eugen Richters Zeitung in folgender Weise aus: „Boulanger,
der französische Kriegsminister, ist in der abgelaufenen Woche von der politischen
Bildfläche, fast könnte man sagen sang- und klanglos, verschwunden; aber das
Produkt der Angst vor Boulanger, die gegenwärtige Reichstagsmehrheit in


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[0309] Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssession. den Kulturkampf ist die katholische Kirche in Deutschland ungemein gestärkt worden, und durch die Art, wie dieser Kampf, ohne daß irgend ein Zweck durch ihn erreicht war, plötzlich abgebrochen wurde, und wie er jetzt beendigt wird, muß sie noch viel mehr gekräftigt werden." Ganz recht, nur hätte das Kieler Fortschrittsblatt nicht bereits im Jahre 1874, als Vismarck scharf im Kampfe gegen den Papst stand, finden sollen, daß im Kulturkampfe doch zu viel Kraft aufgebracht werde. Diese klugen Politiker meinten damals gelegentlich: wenn man reale Politik treiben wolle, so müsse man die Hilfe nehmen, woher man sie bekommen könne. Und so fing der Fortschritt an, zuerst unter allen Parteien mit dem Zentrum zu buhlen. Diese „reale Politik" hat den Kanzler schließlich genötigt, sich mit dem Papste auszusöhnen. Es mag nun noch etwas näher auf das Treiben der Opposition außerhalb des Reichstages während dieser Zeit eingegangen werden, weil es uns zeigt, wie richtig das deutsche Volk am 21. Februar geurteilt hat, wenn es dem Fortschritt seine Mandate entzog. Und da kommen wir auf das Verhalten wenigstens eines Teiles der freisinnigen Presse in dem Fall Schnäbele zu sprechen, welches zeigte, wie jeder Gegner Deutschlands bei freisinnigen Blättern auf ein gewisses Wohlwollen rechnen kann. Die Verhaftung des französischen Polizeikommissärs war gerichtlich beschlossen worden; die deutschen Behörde» heilten sich ohne Zweifel Beweisstücke für seine Schuld verschafft, und zwar über¬ zeugende Beweisstücke; die deutschen Beamten, welche mit der Verhaftung be¬ auftragt waren, hatten sich tadellos benommen; sie hatten sich von jedem Übergriff fern gehalten; die Anklage selbst bezog sich ans Beteiligung an landes¬ verräterischen Umtrieben. Gleichwohl ließ sich bei einer solchen Sachlage die Vosstsche Zeitung nicht abhalten, mit ihren Mitteilungen aus sogenannten Privatnachrichten aus Frankreich Partei zu nehmen für Schnäbele gegen die deutsche Regierung und den Chor der englischen und russischen Hetzstimmen Zu verstärken. Die französische Presse fand das auch sehr schön, der Pariser LouLtitutionsl zollte den Berliner Demokraten seinen Beifall in folgender Weise: »Es ist hocherfrenlich, daß die demokratische Presse in Deutschland immer wieder scharf gegen die Regierung des Herrn von Bismarck losgeht, weil dieser fort¬ gesetzt Frankreich in unqualisizirbcirer Weise herausfordert und vergewaltigt." In dieser Schnäbelegcschichte erscholl eine geradezu betäubende Musik deutsch¬ feindlicher Zeitungsstimmen aller Länder; da durften doch die fortschrittlichen nicht ganz fehlen. Nun erschien das Ministerium Rouvier. Es kam nur zu stände dadurch, daß Boulanger nicht wieder als Minister angenommen wurde. Bei dieser Ge¬ legenheit ließ sich Eugen Richters Zeitung in folgender Weise aus: „Boulanger, der französische Kriegsminister, ist in der abgelaufenen Woche von der politischen Bildfläche, fast könnte man sagen sang- und klanglos, verschwunden; aber das Produkt der Angst vor Boulanger, die gegenwärtige Reichstagsmehrheit in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/309>, abgerufen am 22.07.2024.