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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Grient.

von seinen Genossen gemeinschaftlich gewisse Segcnsformeln sür den Propheten,
seine Gefährten und Verwandten in langsamem Nezitativ gesungen wurden.
Vor dem Altar stand der Scheik des Klosters, ni" Mann mit edelm, arabischem
Gesicht, langem, herabfallenden Haar und dunkelschwarzem Bart. Er beugte
ein wenig bei dem Gebet das Haupt, und hatte immer hoheitsvoll die Ehr¬
furchtsbezeugungen abzuwehren, die ihm von den Eintretenden gezollt wurden,
welche vor ihm die Kniee beugten und ihm Hände, Mantel und Füße küßten
Kam ein angesehener Mann und beugte sich vor dem Scheik, so beeilte sich
dieser, den Ankömmling aufzuheben und ihm die Wange zum Kuß zu reichen.
Gegenüber dem Altar hatten sich in einer Reihe, einer hart an dem andern,
vierzehn Männer aufgestellt, nicht nur Derwische, sondern anch Leute aus dem
Volke, darunter fünf Neger. Mitten in dem eintönigen Gesänge klatschte der
Leiter in die Hände, und nun begannen jene Männer im Takt, und indem sie
bei feststehendem Unterkörper mit jeder Silbe eine Beugung nach rechts, vorn
und links mit dem Oberkörper machten, das mohammedanische Glaubens¬
bekenntnis: IuÄ i1Z.er ills, '1Ig,it (außer Gott ist kein Gott) auszusprechen. Das
geschah mit lauter, schreiender Stimme, während dessen der leitende Imam mit
seinen Anreden fortfuhr und, wenn die Henkerbeil zu ermatten drohten, sie durch
Geberden und Händeklcnschen aufs neue antrieb. Zuweilen trat der Scheik auf
einige Minuten in die Reihe der Heuler, ohne jedoch in seinen Beugungen die
fanatischen Verrenkungen der andern nachzumachen. Das Heulen wurde immer
heftiger und es schien, als ob die Hölle eine Anzahl Dämonen nusgesandt hätte,
die Verrenkungen wurden immer grausiger, und nur ab und zu mengte sich ein
Chorgesang der ans der Erde sitzenden in jene Heulrufe, die immer unartiku-
lirter wurden. Draußen waren mehr als fünfundzwanzig Grad, und die Hitze
im Saale war unerträglich, denn eine Menge Zuschauer aus dem Volke hatte
sich eingefunden; Frauen, welche hinter dem Gitter saßen, Knaben und Mädchen,
welche im Saale selbst die Bewegungen und Rufe der Heuler nachahmten.
Von diesen goß sich bald der Schweiß in Strömen auf den Boden, aber immer
noch war kein Ende abzusehen, zuletzt stießen sie nur noch die Worte: lind.
(er ist es) aus, aber der leitende Imam ließ mit seinen anspornender Gebeten
uicht nach. Die Augen traten aus den Höhlen, die Gesichter verzerrten sich,
Und zuletzt stürzte ein alter Derwisch mit Schaum vor dem Munde zur Erde.
Er wurde von hiuzuspringenden Derwischen weggetragen und in einem Winkel
des Saales niedergelegt, während die andern in ihrer Besessenheit sich nicht
stören ließen. Ob der Hingefallene das höchste Ziel erreicht und seinen in
dieser Zeremonie herbeigesehnten Tod gefunden hat, weiß ich nicht. Ist es
aber geschehen und hat er noch vor seinem Ende einige Augenblicke Bewußtsein
erlangt, dann ist er mit dem beseligenden Gefühle geschieden, bald die Herrlich¬
keiten des Paradieses zu genießen -- und dies ist ja, wie ihr wißt, in der
mohammedanischen Welt ganz besonders ausgestattet. Aber ich hoffe, daß bei


Grenzboten IV. 1887. Z?
Line Fahrt in den Grient.

von seinen Genossen gemeinschaftlich gewisse Segcnsformeln sür den Propheten,
seine Gefährten und Verwandten in langsamem Nezitativ gesungen wurden.
Vor dem Altar stand der Scheik des Klosters, ni» Mann mit edelm, arabischem
Gesicht, langem, herabfallenden Haar und dunkelschwarzem Bart. Er beugte
ein wenig bei dem Gebet das Haupt, und hatte immer hoheitsvoll die Ehr¬
furchtsbezeugungen abzuwehren, die ihm von den Eintretenden gezollt wurden,
welche vor ihm die Kniee beugten und ihm Hände, Mantel und Füße küßten
Kam ein angesehener Mann und beugte sich vor dem Scheik, so beeilte sich
dieser, den Ankömmling aufzuheben und ihm die Wange zum Kuß zu reichen.
Gegenüber dem Altar hatten sich in einer Reihe, einer hart an dem andern,
vierzehn Männer aufgestellt, nicht nur Derwische, sondern anch Leute aus dem
Volke, darunter fünf Neger. Mitten in dem eintönigen Gesänge klatschte der
Leiter in die Hände, und nun begannen jene Männer im Takt, und indem sie
bei feststehendem Unterkörper mit jeder Silbe eine Beugung nach rechts, vorn
und links mit dem Oberkörper machten, das mohammedanische Glaubens¬
bekenntnis: IuÄ i1Z.er ills, '1Ig,it (außer Gott ist kein Gott) auszusprechen. Das
geschah mit lauter, schreiender Stimme, während dessen der leitende Imam mit
seinen Anreden fortfuhr und, wenn die Henkerbeil zu ermatten drohten, sie durch
Geberden und Händeklcnschen aufs neue antrieb. Zuweilen trat der Scheik auf
einige Minuten in die Reihe der Heuler, ohne jedoch in seinen Beugungen die
fanatischen Verrenkungen der andern nachzumachen. Das Heulen wurde immer
heftiger und es schien, als ob die Hölle eine Anzahl Dämonen nusgesandt hätte,
die Verrenkungen wurden immer grausiger, und nur ab und zu mengte sich ein
Chorgesang der ans der Erde sitzenden in jene Heulrufe, die immer unartiku-
lirter wurden. Draußen waren mehr als fünfundzwanzig Grad, und die Hitze
im Saale war unerträglich, denn eine Menge Zuschauer aus dem Volke hatte
sich eingefunden; Frauen, welche hinter dem Gitter saßen, Knaben und Mädchen,
welche im Saale selbst die Bewegungen und Rufe der Heuler nachahmten.
Von diesen goß sich bald der Schweiß in Strömen auf den Boden, aber immer
noch war kein Ende abzusehen, zuletzt stießen sie nur noch die Worte: lind.
(er ist es) aus, aber der leitende Imam ließ mit seinen anspornender Gebeten
uicht nach. Die Augen traten aus den Höhlen, die Gesichter verzerrten sich,
Und zuletzt stürzte ein alter Derwisch mit Schaum vor dem Munde zur Erde.
Er wurde von hiuzuspringenden Derwischen weggetragen und in einem Winkel
des Saales niedergelegt, während die andern in ihrer Besessenheit sich nicht
stören ließen. Ob der Hingefallene das höchste Ziel erreicht und seinen in
dieser Zeremonie herbeigesehnten Tod gefunden hat, weiß ich nicht. Ist es
aber geschehen und hat er noch vor seinem Ende einige Augenblicke Bewußtsein
erlangt, dann ist er mit dem beseligenden Gefühle geschieden, bald die Herrlich¬
keiten des Paradieses zu genießen — und dies ist ja, wie ihr wißt, in der
mohammedanischen Welt ganz besonders ausgestattet. Aber ich hoffe, daß bei


Grenzboten IV. 1887. Z?
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/297>, abgerufen am 22.07.2024.