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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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kriegerische Velleitäten bedeuten würde. Hat Frankreich nun militärisch derartige
Fortschritte gemacht, daß eine Regierung mit solchen Zielen mit gutem Grunde
glauben könnte, es sei dem Gegner im Osten allein gewachsen? Bei aller An¬
erkennung dessen, was in den letzten Jahren für die Reorganisation der franzö¬
sischen Wehrkraft geschehen ist, meinen wir das verneinen zu müssen. Es fragt
sich daher: Haben in der letzten Zeit die Aussichten Frankreichs sich gebessert,
bei einem Angriffe auf das deutsche Reich auswärtigen Beistand zu finden,
welcher seine verhältnismäßige Schwäche auszugleichen geeignet wäre? Mit
andern Worten: Ist Frankreich in dieser Zeit stetiger, zuverlässiger und damit
bündnisfähiger geworden als früher? Nur insofern interessirt uns seine innere
Politik mit ihren Folgen.

Wenn jemand sich nach dem Frankfurter Frieden gefragt hätte, was
Frankreich jetzt nach dem Verluste Elsaß-Lothringens und der Zahlung der
schweren Kriegsentschädigung für die nächsten Jahre thun und lassen werde, so
würde er, falls er verständigen Sinnes, sicher geraten haben, es werde Ruhe
halten, sich in. Innern sammeln und festigen und nach außen hin so viel Freunde
und so wenig Feinde zu machen suchen, als sich mit seinen Lebensinteressen irgend
vertrüge. Diese sehr natürliche Vermutung ist durch den Gang der Dinge nicht
gerechtfertigt worden. Die republikanische Form, welche am 4. September 1879
dem Lande durch Überraschung aufgedrängt wurde, hat sich befestigt, aber
wesentlich infolge der Uneinigkeit der monarchischen Parteien und der Unfähigkeit
ihrer Prätendenten. Nicht einmal die Republikaner vermochten sich unter ein¬
ander zu einigen und eine feste Regierung zu schaffen. Die "Republik der acht
baren Leute" ist nicht bloß nach ihrer finanziellen Seite hin eine Herrschaft
der Leute, welche Geld haben oder Geld in Gestalt von Stellen und Gehalten
für sich und ihre Freunde erstreben, die Demokratie in wichtigen Beziehungen,
ganz ähnlich wie in den Vereinigten Staaten, eine Plutokratie, die sich des
Parlamentarismus zur Erreichung selbstsüchtiger Zwecke bedient. Trägt man
dabei Doktrinen zur Schau, so ist es eben bei den meisten nur Mantel und
Schein, und Minister werden nicht sowohl wegen ihrer Politik angefochten und
gestürzt, als weil sie dem Ehrgeiz und der Habsucht von Parteiführern im
Wege sind, welche nach ihrem Posten und damit zugleich nach der Befugnis
streben, das Heer von Stellenjägem, das in der Partei hinter ihnen herzieht,
in der Presse für sie und sich selbst wirkt, bei den Wahlen das Stimmvieh mit
Redensarten blendet und einfängt, ans Kosten des gemeinen Wesens ebenfalls
mit mehr oder minder einträglichen Posten zu versorgen. Das ist die eine
Strömung in der Sache: rührige und aufgeweckte Advokaten mit weitem Ge¬
wissen und erfahren in Parteikünsten in erster, ähnlich geartete Zeitungsschreiber
in zweiter Reihe sind die Politiker, die bei dieser Jagd die Hauptrollen spielen.
Daneben aber geht eine andre Strömung her, die man als unterirdisch be¬
zeichnen kann, obwohl sie nicht selten offen zu Tage tritt: der Einfluß der


kriegerische Velleitäten bedeuten würde. Hat Frankreich nun militärisch derartige
Fortschritte gemacht, daß eine Regierung mit solchen Zielen mit gutem Grunde
glauben könnte, es sei dem Gegner im Osten allein gewachsen? Bei aller An¬
erkennung dessen, was in den letzten Jahren für die Reorganisation der franzö¬
sischen Wehrkraft geschehen ist, meinen wir das verneinen zu müssen. Es fragt
sich daher: Haben in der letzten Zeit die Aussichten Frankreichs sich gebessert,
bei einem Angriffe auf das deutsche Reich auswärtigen Beistand zu finden,
welcher seine verhältnismäßige Schwäche auszugleichen geeignet wäre? Mit
andern Worten: Ist Frankreich in dieser Zeit stetiger, zuverlässiger und damit
bündnisfähiger geworden als früher? Nur insofern interessirt uns seine innere
Politik mit ihren Folgen.

Wenn jemand sich nach dem Frankfurter Frieden gefragt hätte, was
Frankreich jetzt nach dem Verluste Elsaß-Lothringens und der Zahlung der
schweren Kriegsentschädigung für die nächsten Jahre thun und lassen werde, so
würde er, falls er verständigen Sinnes, sicher geraten haben, es werde Ruhe
halten, sich in. Innern sammeln und festigen und nach außen hin so viel Freunde
und so wenig Feinde zu machen suchen, als sich mit seinen Lebensinteressen irgend
vertrüge. Diese sehr natürliche Vermutung ist durch den Gang der Dinge nicht
gerechtfertigt worden. Die republikanische Form, welche am 4. September 1879
dem Lande durch Überraschung aufgedrängt wurde, hat sich befestigt, aber
wesentlich infolge der Uneinigkeit der monarchischen Parteien und der Unfähigkeit
ihrer Prätendenten. Nicht einmal die Republikaner vermochten sich unter ein¬
ander zu einigen und eine feste Regierung zu schaffen. Die „Republik der acht
baren Leute" ist nicht bloß nach ihrer finanziellen Seite hin eine Herrschaft
der Leute, welche Geld haben oder Geld in Gestalt von Stellen und Gehalten
für sich und ihre Freunde erstreben, die Demokratie in wichtigen Beziehungen,
ganz ähnlich wie in den Vereinigten Staaten, eine Plutokratie, die sich des
Parlamentarismus zur Erreichung selbstsüchtiger Zwecke bedient. Trägt man
dabei Doktrinen zur Schau, so ist es eben bei den meisten nur Mantel und
Schein, und Minister werden nicht sowohl wegen ihrer Politik angefochten und
gestürzt, als weil sie dem Ehrgeiz und der Habsucht von Parteiführern im
Wege sind, welche nach ihrem Posten und damit zugleich nach der Befugnis
streben, das Heer von Stellenjägem, das in der Partei hinter ihnen herzieht,
in der Presse für sie und sich selbst wirkt, bei den Wahlen das Stimmvieh mit
Redensarten blendet und einfängt, ans Kosten des gemeinen Wesens ebenfalls
mit mehr oder minder einträglichen Posten zu versorgen. Das ist die eine
Strömung in der Sache: rührige und aufgeweckte Advokaten mit weitem Ge¬
wissen und erfahren in Parteikünsten in erster, ähnlich geartete Zeitungsschreiber
in zweiter Reihe sind die Politiker, die bei dieser Jagd die Hauptrollen spielen.
Daneben aber geht eine andre Strömung her, die man als unterirdisch be¬
zeichnen kann, obwohl sie nicht selten offen zu Tage tritt: der Einfluß der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/258>, abgerufen am 22.07.2024.