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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

die prächtige Analyse von Shakespeares Romeo und Julie, sind größtenteils
von ihr entworfen. Daneben diente sie geduldig als unermüdliche Abschreiberin.

Aber diese friedliche Betriebsamkeit ging bald in die bekannte romantische
Streitfcrtigleit über. Friedrich Schlegel begann sich an Schiller zu reiben. Mög¬
lich, ja wahrscheinlich ist es, daß dabei zunächst persönliche Empfindlichkeit mit¬
wirkte. Schiller hatte einen ihm für die Hören dargebotenen geschichtlichen Aufsatz
von Friedrich, "Cäsar und Alexander," zurückgewiesen. Jedenfalls konnte der junge
Kritiker der Versuchung nicht widerstehen, dem Dichter der Räuber eine altkluge
Belehrung zu Teil werden zu lassen. Wie sehr auch sein kühler denkender Bruder
abriet, Friedrich ließ in Reinharts Deutschland eine Rezension über Schillers
Musenalmanach für 1796 veröffentlichen, die von beleidigenden Ausfällen strotzte;
da wird nicht allein von "erhabener Unmüszigkeit," sondern auch von ,,unheilbar
zerrütteter Gesundheit der Einbildungskraft," von dem "Krampf der Verzweif¬
lung, der sich absichtlich berauscht," von vernachlässigter Erziehung, welche die
innere Humanität unterdrückte," geredet; der übermütige Scherz: die "Würde der
Frauen" könne nur gewinnen, "wenn man das Gedicht strophenweise rückwärts
lese," gehört heute noch zu den Anekdoten, die gelegentlich belacht werden. Es
mag sein, daß Friedrich Schlegel in und mit dieser Rezension, nebenbei wenigstens,
die Bürger durch Schillers Rezension seiner Gedichte widerfahrene Härte rächen
wollte, allein es war ihm doch nicht wohl zu Mute, als er deu Pfeil losge¬
drückt hatte. Er suchte einzulenken. In der Vorrede und im Schlüsse der Ab¬
handlung "Über das Studium" ergeht er sich absichtlich in einem überschwcing-
lichen Lobe Schillers/") Aber er hatte den Löwen gereizt, und in den Zceuien
des Musenalmanachs von 1797 traf der Dichter den frechen Rezensenten em¬
pfindlich. Alle Übertreibungen, Einseitigkeiten und voreiligen Behauptungen
Friedrich Schlegels werden gegeißelt, ganz besonders die überschwängliche Ver¬
herrlichung der Griechen:


Kaum hat das kalte Fieber der Gallomanie uns verlassen,
Bricht in der Gräcvmanie gar noch ein hitziges aus.

Nun glaubte auch Schlegel jede Rücksicht beiseite setzen zu müssen. Reinharts
Deutschland bot ihm seine Spalten als Kampfplatz an. Der Tenienalmanach
nicht nur, auch die Hören mußten seine giftigsten Geschosse aushalten. Und um
Hieb und Stich noch empfindlicher zu machen, wurde Goethe als der Erhabene
hingestellt, dem allein das Prädikat der Meisterschaft gebühre. Der "dreiste
Patroklus," der in den Tenien frohlocke mit dem großen Peliden verwechselt
zu werden, konnte dadurch umso besser in die Schranken zurückgewiesen werden.
Es war natürlich, daß Schiller nunmehr mit dem "Lassen," der ihm seinen
Weg kreuzte, gänzlich brach. Aber auch August Wilhelm Schlegel wurde aus



^) R. Haym in seinem bekannten Werke "Die romantische Schule" weist S, 204 aus
die Zeit der Abfassung dieser Abhandlung ausdrücklich hin.
Dichterfreundinnen.

die prächtige Analyse von Shakespeares Romeo und Julie, sind größtenteils
von ihr entworfen. Daneben diente sie geduldig als unermüdliche Abschreiberin.

Aber diese friedliche Betriebsamkeit ging bald in die bekannte romantische
Streitfcrtigleit über. Friedrich Schlegel begann sich an Schiller zu reiben. Mög¬
lich, ja wahrscheinlich ist es, daß dabei zunächst persönliche Empfindlichkeit mit¬
wirkte. Schiller hatte einen ihm für die Hören dargebotenen geschichtlichen Aufsatz
von Friedrich, „Cäsar und Alexander," zurückgewiesen. Jedenfalls konnte der junge
Kritiker der Versuchung nicht widerstehen, dem Dichter der Räuber eine altkluge
Belehrung zu Teil werden zu lassen. Wie sehr auch sein kühler denkender Bruder
abriet, Friedrich ließ in Reinharts Deutschland eine Rezension über Schillers
Musenalmanach für 1796 veröffentlichen, die von beleidigenden Ausfällen strotzte;
da wird nicht allein von „erhabener Unmüszigkeit," sondern auch von ,,unheilbar
zerrütteter Gesundheit der Einbildungskraft," von dem „Krampf der Verzweif¬
lung, der sich absichtlich berauscht," von vernachlässigter Erziehung, welche die
innere Humanität unterdrückte," geredet; der übermütige Scherz: die „Würde der
Frauen" könne nur gewinnen, „wenn man das Gedicht strophenweise rückwärts
lese," gehört heute noch zu den Anekdoten, die gelegentlich belacht werden. Es
mag sein, daß Friedrich Schlegel in und mit dieser Rezension, nebenbei wenigstens,
die Bürger durch Schillers Rezension seiner Gedichte widerfahrene Härte rächen
wollte, allein es war ihm doch nicht wohl zu Mute, als er deu Pfeil losge¬
drückt hatte. Er suchte einzulenken. In der Vorrede und im Schlüsse der Ab¬
handlung „Über das Studium" ergeht er sich absichtlich in einem überschwcing-
lichen Lobe Schillers/") Aber er hatte den Löwen gereizt, und in den Zceuien
des Musenalmanachs von 1797 traf der Dichter den frechen Rezensenten em¬
pfindlich. Alle Übertreibungen, Einseitigkeiten und voreiligen Behauptungen
Friedrich Schlegels werden gegeißelt, ganz besonders die überschwängliche Ver¬
herrlichung der Griechen:


Kaum hat das kalte Fieber der Gallomanie uns verlassen,
Bricht in der Gräcvmanie gar noch ein hitziges aus.

Nun glaubte auch Schlegel jede Rücksicht beiseite setzen zu müssen. Reinharts
Deutschland bot ihm seine Spalten als Kampfplatz an. Der Tenienalmanach
nicht nur, auch die Hören mußten seine giftigsten Geschosse aushalten. Und um
Hieb und Stich noch empfindlicher zu machen, wurde Goethe als der Erhabene
hingestellt, dem allein das Prädikat der Meisterschaft gebühre. Der „dreiste
Patroklus," der in den Tenien frohlocke mit dem großen Peliden verwechselt
zu werden, konnte dadurch umso besser in die Schranken zurückgewiesen werden.
Es war natürlich, daß Schiller nunmehr mit dem „Lassen," der ihm seinen
Weg kreuzte, gänzlich brach. Aber auch August Wilhelm Schlegel wurde aus



^) R. Haym in seinem bekannten Werke „Die romantische Schule" weist S, 204 aus
die Zeit der Abfassung dieser Abhandlung ausdrücklich hin.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/232>, abgerufen am 24.08.2024.