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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Grient.

ablegen. Wir durften den Betern nicht in den unteren Raum folgen, dagegen
war uns gegen ein Eintrittsgeld von dreißig Piastern gestattet, auf den ehe¬
maligen Frauenchor der griechischen Kirche zu gehen und von dort aus den Betern
zuzusehen. Unser Dragoman zog uns zu diesem Zwecke mitgebrachte Strümpfe
über unsre Stiefel, sodaß auch wir den Anschein erweckte", als ob wir die
Schuhe abgelegt hätten. Ein Priester sah dieser Prozedur zu und hielt wahr¬
scheinlich mit Rücksicht auf das Eintrittsgeld eine solche kleine Täuschung seines
Propheten für gestattet. In dem Innern der Moscheen -- und darin sind alle
gleich -- sind an Stelle der Bilder unsrer Kirchen große Schilder, auf denen in
Goldschrift Koransprüche geschrieben sind; sodann befindet sich in der Richtung
nach Mekka, und daher nicht immer in der Mitte, eine Art Nische, die den
Altar (Mihrah) bezeichnet und oft mit Marmorskulpturen ausgelegt ist. Un¬
weit desselben führt eine kleine Treppe zur Kanzel. In dem eigentlichen Schiff,
dessen Boden mit Teppichen oder Matten belegt ist, finden sich auch einzelne
Tribünen, teils für den Sultan, teils für Vorsänger, Koranvorleser oder andre
Angestellte der Moschee. Bei dem Gebet gruppiren sich die einzelnen Beter in
eine Reihe und beten still für sich. Dann tritt der Vorbeter (Iman) an die
Altarnische, die Reihen drängen ihm nach, und es beginnt ein lautes Vorbeten
des ersteren in langsamem, näselndem Tone, dem ein einsilbiges Antworten
der Versammlung folgt. Diese Worte sind mit verschiedenen Beugungen von
Haupt und Oberkörper, Niederknieen und Hinfallen auf das Angesicht verbunden.
Das dauerte etwa zwanzig Minuten; wir bedauerten, daß wir nichts von dein
Inhalte verstehen konnten, besonders als darauf ein Weltpriester sich nach Art
der englischen Lords auf einen Wollsack setzte und der umherlagernden Menge
von seiner Pilgerfahrt nach Mekka erzählte. Das Ende ist eine Geldsammlung,
die ihn zu neuen Reisen anspornen soll. So war der Gottesdienst in dieser
Moschee, welche dereinst als Tempel der göttlichen Weisheit die heidnischen
Opfer der Griechenpriester darbringen und später das Evangelium predigen sah.
Es wird wohl selten ein Europäer diese Stätte, an der das Blut des Nika-
aufstandes wie das der Eroberung durch die Türken klebt, verlassen, ohne sich
die Frage vorzulegen, wann auch hier wieder das Kreuz den Halbmond ver¬
drängen wird -- eine Frage, deren Lösung im tiefsten Schoße der Götter ruht.

Wir haben dann noch in einem armenischen Speisehause versucht, das
türkische Nationalgericht Pillaw (Reis) mit zähen Hammelstücken zu verzehren,
ließen es aber bei dem Versuche bewenden, und griffen lieber zu den verlockenden
Ananasmelonen und Trauben. Wir haben auch noch verschiedene Sultansgräber,
Zisternen und Moscheen besucht, aber nirgends mehr etwas gesehen, was uns
tiefer als die Sophienmoschee gerührt hätte; sie zeigt nur zu deutlich den Sieg
des Türkentums an. Was also von Kunst am Bosporus und goldnen Horn
enthalten ist, haben wir im großen und ganzen an diesem Tage genossen,
und wir sehnten uns immer wieder nach Natur. Zu diesem Zwecke ließ uns


Line Fahrt in den Grient.

ablegen. Wir durften den Betern nicht in den unteren Raum folgen, dagegen
war uns gegen ein Eintrittsgeld von dreißig Piastern gestattet, auf den ehe¬
maligen Frauenchor der griechischen Kirche zu gehen und von dort aus den Betern
zuzusehen. Unser Dragoman zog uns zu diesem Zwecke mitgebrachte Strümpfe
über unsre Stiefel, sodaß auch wir den Anschein erweckte», als ob wir die
Schuhe abgelegt hätten. Ein Priester sah dieser Prozedur zu und hielt wahr¬
scheinlich mit Rücksicht auf das Eintrittsgeld eine solche kleine Täuschung seines
Propheten für gestattet. In dem Innern der Moscheen — und darin sind alle
gleich — sind an Stelle der Bilder unsrer Kirchen große Schilder, auf denen in
Goldschrift Koransprüche geschrieben sind; sodann befindet sich in der Richtung
nach Mekka, und daher nicht immer in der Mitte, eine Art Nische, die den
Altar (Mihrah) bezeichnet und oft mit Marmorskulpturen ausgelegt ist. Un¬
weit desselben führt eine kleine Treppe zur Kanzel. In dem eigentlichen Schiff,
dessen Boden mit Teppichen oder Matten belegt ist, finden sich auch einzelne
Tribünen, teils für den Sultan, teils für Vorsänger, Koranvorleser oder andre
Angestellte der Moschee. Bei dem Gebet gruppiren sich die einzelnen Beter in
eine Reihe und beten still für sich. Dann tritt der Vorbeter (Iman) an die
Altarnische, die Reihen drängen ihm nach, und es beginnt ein lautes Vorbeten
des ersteren in langsamem, näselndem Tone, dem ein einsilbiges Antworten
der Versammlung folgt. Diese Worte sind mit verschiedenen Beugungen von
Haupt und Oberkörper, Niederknieen und Hinfallen auf das Angesicht verbunden.
Das dauerte etwa zwanzig Minuten; wir bedauerten, daß wir nichts von dein
Inhalte verstehen konnten, besonders als darauf ein Weltpriester sich nach Art
der englischen Lords auf einen Wollsack setzte und der umherlagernden Menge
von seiner Pilgerfahrt nach Mekka erzählte. Das Ende ist eine Geldsammlung,
die ihn zu neuen Reisen anspornen soll. So war der Gottesdienst in dieser
Moschee, welche dereinst als Tempel der göttlichen Weisheit die heidnischen
Opfer der Griechenpriester darbringen und später das Evangelium predigen sah.
Es wird wohl selten ein Europäer diese Stätte, an der das Blut des Nika-
aufstandes wie das der Eroberung durch die Türken klebt, verlassen, ohne sich
die Frage vorzulegen, wann auch hier wieder das Kreuz den Halbmond ver¬
drängen wird — eine Frage, deren Lösung im tiefsten Schoße der Götter ruht.

Wir haben dann noch in einem armenischen Speisehause versucht, das
türkische Nationalgericht Pillaw (Reis) mit zähen Hammelstücken zu verzehren,
ließen es aber bei dem Versuche bewenden, und griffen lieber zu den verlockenden
Ananasmelonen und Trauben. Wir haben auch noch verschiedene Sultansgräber,
Zisternen und Moscheen besucht, aber nirgends mehr etwas gesehen, was uns
tiefer als die Sophienmoschee gerührt hätte; sie zeigt nur zu deutlich den Sieg
des Türkentums an. Was also von Kunst am Bosporus und goldnen Horn
enthalten ist, haben wir im großen und ganzen an diesem Tage genossen,
und wir sehnten uns immer wieder nach Natur. Zu diesem Zwecke ließ uns


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[0203] Line Fahrt in den Grient. ablegen. Wir durften den Betern nicht in den unteren Raum folgen, dagegen war uns gegen ein Eintrittsgeld von dreißig Piastern gestattet, auf den ehe¬ maligen Frauenchor der griechischen Kirche zu gehen und von dort aus den Betern zuzusehen. Unser Dragoman zog uns zu diesem Zwecke mitgebrachte Strümpfe über unsre Stiefel, sodaß auch wir den Anschein erweckte», als ob wir die Schuhe abgelegt hätten. Ein Priester sah dieser Prozedur zu und hielt wahr¬ scheinlich mit Rücksicht auf das Eintrittsgeld eine solche kleine Täuschung seines Propheten für gestattet. In dem Innern der Moscheen — und darin sind alle gleich — sind an Stelle der Bilder unsrer Kirchen große Schilder, auf denen in Goldschrift Koransprüche geschrieben sind; sodann befindet sich in der Richtung nach Mekka, und daher nicht immer in der Mitte, eine Art Nische, die den Altar (Mihrah) bezeichnet und oft mit Marmorskulpturen ausgelegt ist. Un¬ weit desselben führt eine kleine Treppe zur Kanzel. In dem eigentlichen Schiff, dessen Boden mit Teppichen oder Matten belegt ist, finden sich auch einzelne Tribünen, teils für den Sultan, teils für Vorsänger, Koranvorleser oder andre Angestellte der Moschee. Bei dem Gebet gruppiren sich die einzelnen Beter in eine Reihe und beten still für sich. Dann tritt der Vorbeter (Iman) an die Altarnische, die Reihen drängen ihm nach, und es beginnt ein lautes Vorbeten des ersteren in langsamem, näselndem Tone, dem ein einsilbiges Antworten der Versammlung folgt. Diese Worte sind mit verschiedenen Beugungen von Haupt und Oberkörper, Niederknieen und Hinfallen auf das Angesicht verbunden. Das dauerte etwa zwanzig Minuten; wir bedauerten, daß wir nichts von dein Inhalte verstehen konnten, besonders als darauf ein Weltpriester sich nach Art der englischen Lords auf einen Wollsack setzte und der umherlagernden Menge von seiner Pilgerfahrt nach Mekka erzählte. Das Ende ist eine Geldsammlung, die ihn zu neuen Reisen anspornen soll. So war der Gottesdienst in dieser Moschee, welche dereinst als Tempel der göttlichen Weisheit die heidnischen Opfer der Griechenpriester darbringen und später das Evangelium predigen sah. Es wird wohl selten ein Europäer diese Stätte, an der das Blut des Nika- aufstandes wie das der Eroberung durch die Türken klebt, verlassen, ohne sich die Frage vorzulegen, wann auch hier wieder das Kreuz den Halbmond ver¬ drängen wird — eine Frage, deren Lösung im tiefsten Schoße der Götter ruht. Wir haben dann noch in einem armenischen Speisehause versucht, das türkische Nationalgericht Pillaw (Reis) mit zähen Hammelstücken zu verzehren, ließen es aber bei dem Versuche bewenden, und griffen lieber zu den verlockenden Ananasmelonen und Trauben. Wir haben auch noch verschiedene Sultansgräber, Zisternen und Moscheen besucht, aber nirgends mehr etwas gesehen, was uns tiefer als die Sophienmoschee gerührt hätte; sie zeigt nur zu deutlich den Sieg des Türkentums an. Was also von Kunst am Bosporus und goldnen Horn enthalten ist, haben wir im großen und ganzen an diesem Tage genossen, und wir sehnten uns immer wieder nach Natur. Zu diesem Zwecke ließ uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/203>, abgerufen am 25.08.2024.