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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Grient.

Zwar sind auch noch die alten Prachtgemächer und die Schatzkammer erhalten,
aber ihr Besuch erfordert ein besondres Dekret (Jrade) des Kalifen, und wenn
dieses auch durch Vermittelung der Botschaft ermöglicht ist, so werden doch die
Trinkgelder, welche an Offiziere und Palastbeamte zu verschwenden sind, auf so
gewaltige Summen geschätzt, daß wir darauf verzichteten, die innern Säle
zu betreten und einen Blick in den Pavillon zu werfen, in welchem der Mantel
des Propheten verwahrt wird. Wir ließen uns an der Aussicht genügen, die
uns einen entzückenden Blick auf den Bosporus und das goldne Horn gewährt.

Es war gerade Mittag geworden, und so eilten wir zu der heiligen Sophia,
welche gleichsam einen Auszug der Konstantinopolitanischen Geschichte darstellt.
Die herrlichen Marmorsäulen des inneren Baues sind aus dem Tempel der
ephcsischen Diana und aus andern Heiligtümern des Heidentums zusammen¬
getragen, die Säulen des oberen Stockwerkes stammen aus der Justinianischen
Zeit und tragen in ihren Kcipitälen die Monogramme der Provinzen, welche
damals noch, wenn auch in unsicherem Bestände, den Körper des byzantinischen
Reiches bildeten. Endlich haben zu diesem erhabenen Bau auch die Türken das
Ihrige beigetragen, indem sie die herrlichen Mosaiken mit Kalk bewarfen und
mit gelber Tünche überzogen, weil ihre Religion die Darstellung menschlicher
Gestalten verbietet. Aber der Bewurf ist doch nicht überall gelungen, und es
erscheint durch ihn gerade in der Apsis das tiefernste, grämliche Bild eines
großen, alleinherrschenden Christus. Wir kamen vor die Hngia Sophia um die
Zeit des zweiten Gebetes und warteten draußen, bis der Muezzin von der
Galerie des Minarets die Gläubigen mit weichen, melodischen Akkorden zum
Gebet rief und den entfernteren mit einem weißen Tuche das Zeichen gab.
Dies geschieht zu gleicher Zeit auf allen, nahezu 300 Moscheen (Dschamis) und
700 Bethäusern (Mesdschids), die am goldnen Horn liegen, und ich kann nicht
in Abrede stellen, daß dieser Ruf uicht minder feierlich ist als der ernste Klang
unsrer Glocken. Bald strömten auch Beter von allen Seiten herbei, aber nur
Männer, denn die Frauen haben keinen Zutritt zur Moschee. Sie bilden über¬
haupt keinen organischen Teil, auf welchen Religion oder Staat Rücksicht nimmt;
ihr Zweck ist, den Männern zu dienen und Kinder zu geben; das ist alles.

Die Moschee bildet eine zusammenhängende Häusermasse; nicht nur daß
sich in ihnen viele Prunkgemächer für den Sultan und Wohnungen der Priester
befinden, in der Regel ist mit ihnen eine Gelehrtenschule, oft auch eine Bibliothek
und eine Armenkirche oder Wasserspende verbunden. Immer aber liegt vor der
Moschee ein Brunnen, bei welchem die Gläubigen vor ihrem Eintritt in das
Gotteshaus die vorgeschriebenen Waschungen vorzunehmen haben, die sich sehr
gründlich auf Kopf, Mund, Hände und Füße erstrecken und, da alles im Freien
vor sich gut, keinen sehr angenehmen Anblick gewähren. Wer beschuht ist -- und
gerade in Schuhen wird im Orient ein Luxus getrieben, sodaß Barfüßige viel
seltener als in Italien sind -- muß die Schuhe vor der Thür der Moschee


Line Fahrt in den Grient.

Zwar sind auch noch die alten Prachtgemächer und die Schatzkammer erhalten,
aber ihr Besuch erfordert ein besondres Dekret (Jrade) des Kalifen, und wenn
dieses auch durch Vermittelung der Botschaft ermöglicht ist, so werden doch die
Trinkgelder, welche an Offiziere und Palastbeamte zu verschwenden sind, auf so
gewaltige Summen geschätzt, daß wir darauf verzichteten, die innern Säle
zu betreten und einen Blick in den Pavillon zu werfen, in welchem der Mantel
des Propheten verwahrt wird. Wir ließen uns an der Aussicht genügen, die
uns einen entzückenden Blick auf den Bosporus und das goldne Horn gewährt.

Es war gerade Mittag geworden, und so eilten wir zu der heiligen Sophia,
welche gleichsam einen Auszug der Konstantinopolitanischen Geschichte darstellt.
Die herrlichen Marmorsäulen des inneren Baues sind aus dem Tempel der
ephcsischen Diana und aus andern Heiligtümern des Heidentums zusammen¬
getragen, die Säulen des oberen Stockwerkes stammen aus der Justinianischen
Zeit und tragen in ihren Kcipitälen die Monogramme der Provinzen, welche
damals noch, wenn auch in unsicherem Bestände, den Körper des byzantinischen
Reiches bildeten. Endlich haben zu diesem erhabenen Bau auch die Türken das
Ihrige beigetragen, indem sie die herrlichen Mosaiken mit Kalk bewarfen und
mit gelber Tünche überzogen, weil ihre Religion die Darstellung menschlicher
Gestalten verbietet. Aber der Bewurf ist doch nicht überall gelungen, und es
erscheint durch ihn gerade in der Apsis das tiefernste, grämliche Bild eines
großen, alleinherrschenden Christus. Wir kamen vor die Hngia Sophia um die
Zeit des zweiten Gebetes und warteten draußen, bis der Muezzin von der
Galerie des Minarets die Gläubigen mit weichen, melodischen Akkorden zum
Gebet rief und den entfernteren mit einem weißen Tuche das Zeichen gab.
Dies geschieht zu gleicher Zeit auf allen, nahezu 300 Moscheen (Dschamis) und
700 Bethäusern (Mesdschids), die am goldnen Horn liegen, und ich kann nicht
in Abrede stellen, daß dieser Ruf uicht minder feierlich ist als der ernste Klang
unsrer Glocken. Bald strömten auch Beter von allen Seiten herbei, aber nur
Männer, denn die Frauen haben keinen Zutritt zur Moschee. Sie bilden über¬
haupt keinen organischen Teil, auf welchen Religion oder Staat Rücksicht nimmt;
ihr Zweck ist, den Männern zu dienen und Kinder zu geben; das ist alles.

Die Moschee bildet eine zusammenhängende Häusermasse; nicht nur daß
sich in ihnen viele Prunkgemächer für den Sultan und Wohnungen der Priester
befinden, in der Regel ist mit ihnen eine Gelehrtenschule, oft auch eine Bibliothek
und eine Armenkirche oder Wasserspende verbunden. Immer aber liegt vor der
Moschee ein Brunnen, bei welchem die Gläubigen vor ihrem Eintritt in das
Gotteshaus die vorgeschriebenen Waschungen vorzunehmen haben, die sich sehr
gründlich auf Kopf, Mund, Hände und Füße erstrecken und, da alles im Freien
vor sich gut, keinen sehr angenehmen Anblick gewähren. Wer beschuht ist — und
gerade in Schuhen wird im Orient ein Luxus getrieben, sodaß Barfüßige viel
seltener als in Italien sind — muß die Schuhe vor der Thür der Moschee


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[0202] Line Fahrt in den Grient. Zwar sind auch noch die alten Prachtgemächer und die Schatzkammer erhalten, aber ihr Besuch erfordert ein besondres Dekret (Jrade) des Kalifen, und wenn dieses auch durch Vermittelung der Botschaft ermöglicht ist, so werden doch die Trinkgelder, welche an Offiziere und Palastbeamte zu verschwenden sind, auf so gewaltige Summen geschätzt, daß wir darauf verzichteten, die innern Säle zu betreten und einen Blick in den Pavillon zu werfen, in welchem der Mantel des Propheten verwahrt wird. Wir ließen uns an der Aussicht genügen, die uns einen entzückenden Blick auf den Bosporus und das goldne Horn gewährt. Es war gerade Mittag geworden, und so eilten wir zu der heiligen Sophia, welche gleichsam einen Auszug der Konstantinopolitanischen Geschichte darstellt. Die herrlichen Marmorsäulen des inneren Baues sind aus dem Tempel der ephcsischen Diana und aus andern Heiligtümern des Heidentums zusammen¬ getragen, die Säulen des oberen Stockwerkes stammen aus der Justinianischen Zeit und tragen in ihren Kcipitälen die Monogramme der Provinzen, welche damals noch, wenn auch in unsicherem Bestände, den Körper des byzantinischen Reiches bildeten. Endlich haben zu diesem erhabenen Bau auch die Türken das Ihrige beigetragen, indem sie die herrlichen Mosaiken mit Kalk bewarfen und mit gelber Tünche überzogen, weil ihre Religion die Darstellung menschlicher Gestalten verbietet. Aber der Bewurf ist doch nicht überall gelungen, und es erscheint durch ihn gerade in der Apsis das tiefernste, grämliche Bild eines großen, alleinherrschenden Christus. Wir kamen vor die Hngia Sophia um die Zeit des zweiten Gebetes und warteten draußen, bis der Muezzin von der Galerie des Minarets die Gläubigen mit weichen, melodischen Akkorden zum Gebet rief und den entfernteren mit einem weißen Tuche das Zeichen gab. Dies geschieht zu gleicher Zeit auf allen, nahezu 300 Moscheen (Dschamis) und 700 Bethäusern (Mesdschids), die am goldnen Horn liegen, und ich kann nicht in Abrede stellen, daß dieser Ruf uicht minder feierlich ist als der ernste Klang unsrer Glocken. Bald strömten auch Beter von allen Seiten herbei, aber nur Männer, denn die Frauen haben keinen Zutritt zur Moschee. Sie bilden über¬ haupt keinen organischen Teil, auf welchen Religion oder Staat Rücksicht nimmt; ihr Zweck ist, den Männern zu dienen und Kinder zu geben; das ist alles. Die Moschee bildet eine zusammenhängende Häusermasse; nicht nur daß sich in ihnen viele Prunkgemächer für den Sultan und Wohnungen der Priester befinden, in der Regel ist mit ihnen eine Gelehrtenschule, oft auch eine Bibliothek und eine Armenkirche oder Wasserspende verbunden. Immer aber liegt vor der Moschee ein Brunnen, bei welchem die Gläubigen vor ihrem Eintritt in das Gotteshaus die vorgeschriebenen Waschungen vorzunehmen haben, die sich sehr gründlich auf Kopf, Mund, Hände und Füße erstrecken und, da alles im Freien vor sich gut, keinen sehr angenehmen Anblick gewähren. Wer beschuht ist — und gerade in Schuhen wird im Orient ein Luxus getrieben, sodaß Barfüßige viel seltener als in Italien sind — muß die Schuhe vor der Thür der Moschee

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/202>, abgerufen am 21.06.2024.