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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Geheimbundsprozesse in Deutschland.

spielt bei den Zwecken dieser Verbindungen die Verbreitung des "Sozial-
demokraten," des bekannten, gewissermaßen amtlichen Organs der deutschen
Sozialdemokratin Die Verbreitung andrer in Deutschland auf Grund des
Gesetzes vom 21. Oktober 1878 verbotenen Schriften tritt gegenüber derjenigen
der ebengenannten periodischen Druckschrift zurück.

Ein Einschreiten gegen solche Personen, welche Mitglieder einer im Aus¬
lande bestehenden und dort gestatteten, in Deutschland aber verbotenen Ver¬
bindung sind, ermöglichte ein weiteres Urteil des Reichsgerichts, das Erkenntnis
vom 20. Mai 1886. Hierdurch sind die Behörden in die Lage versetzt, gegen
solche Personen auf Grund der obigen Bestimmungen strafrechtlich vorzugehen,
die während ihres Aufenthaltes im Auslande Mitglieder der Internationalen
Arbeiterassoziation werden und nach ihrer Rückkehr in das Gebiet des deutschen
Reiches ihre Mitgliedschaft nicht in einer jeden Zweifel beseitigenden Weise
aufheben, was in praktischer Beziehung ungemein wichtig ist, namentlich im
Hinblick auf die in der Schweiz bestehenden internationalen Arbeiterverbände.

Die Hauptthätigkeit der geheimen Verbindungen bestand, wie schon bemerkt,
in der Verbreitung des "Sozicildemokratcn." Der Einzelne, welcher diese Zeitung
in Zürich bei dem Verleger bestellt, ohne sie andern Personen mitzuteilen, war
bisher nur dann strafbar, wenn sich nachweisen ließ, daß die Versendung den
Zweck einer geheimen Verbindung in dem durch das Reichsgericht festgestellten
Sinne bildete. Ein Urteil des Reichsgerichts vom 24. Mai 1887 hat aber
auch in dieser Beziehung eine praktisch sehr wichtige Änderung in der bisherigen
Auffassung hervorgerufen, indem der Gerichtshof darin aussprach, daß der
Besteller als Teilnehmer an der verbotenen Verbreitung zu bestrafen sei. Wird
diese Rechtsanschauung vom Reichsgerichte auch in Zukunft festgehalten, so wird
die Zahl der Strafuntersuchuugeu gegen die Mitglieder der sozialdemokratischen
Partei bedeutend wachsen, folgerichtig werden dann freilich auch die Polizci-
und Regierungsbehörden, welche den "Sozialdemokraten" behufs Beobachtung
der sozialdemokratischen Bewegung beziehen, auf die Zusendung desselben ver¬
zichten müssen.

Wenn infolge der im Vorstehenden gezeichneten Änderung der Recht¬
sprechung die Geheimbundsprozesse in den größern Städten des Reiches jetzt an
der Tagesordnung sind, so ist dies doch noch kein Beweis dafür, wie man von
mancher Seite behauptet hat, daß der deutsche Volkscharakter in den letzten
Jahren eine schlimme Veränderung erfahren habe, kein Beweis, daß die Neigung
zur Geheimbündelei, die Lust zu geheimen, verwerflichen Zettelungen und Ver¬
schwörungen in unserm die Offenheit so sehr liebenden Volke feste Wurzeln
geschlagen habe. Die anarchistischen Gruppenbildungen, wie sie von England
und Amerika aus in Deutschland versucht wurden, blieben zwar nicht ganz er¬
folglos, aber an dem offenen und geraden, aller Heimlichkeit und Verschwörungs-
kuust abgeneigten Wesen der Mehrheit der deutschen Arbeiter scheiterten die Be-


Die Geheimbundsprozesse in Deutschland.

spielt bei den Zwecken dieser Verbindungen die Verbreitung des „Sozial-
demokraten," des bekannten, gewissermaßen amtlichen Organs der deutschen
Sozialdemokratin Die Verbreitung andrer in Deutschland auf Grund des
Gesetzes vom 21. Oktober 1878 verbotenen Schriften tritt gegenüber derjenigen
der ebengenannten periodischen Druckschrift zurück.

Ein Einschreiten gegen solche Personen, welche Mitglieder einer im Aus¬
lande bestehenden und dort gestatteten, in Deutschland aber verbotenen Ver¬
bindung sind, ermöglichte ein weiteres Urteil des Reichsgerichts, das Erkenntnis
vom 20. Mai 1886. Hierdurch sind die Behörden in die Lage versetzt, gegen
solche Personen auf Grund der obigen Bestimmungen strafrechtlich vorzugehen,
die während ihres Aufenthaltes im Auslande Mitglieder der Internationalen
Arbeiterassoziation werden und nach ihrer Rückkehr in das Gebiet des deutschen
Reiches ihre Mitgliedschaft nicht in einer jeden Zweifel beseitigenden Weise
aufheben, was in praktischer Beziehung ungemein wichtig ist, namentlich im
Hinblick auf die in der Schweiz bestehenden internationalen Arbeiterverbände.

Die Hauptthätigkeit der geheimen Verbindungen bestand, wie schon bemerkt,
in der Verbreitung des „Sozicildemokratcn." Der Einzelne, welcher diese Zeitung
in Zürich bei dem Verleger bestellt, ohne sie andern Personen mitzuteilen, war
bisher nur dann strafbar, wenn sich nachweisen ließ, daß die Versendung den
Zweck einer geheimen Verbindung in dem durch das Reichsgericht festgestellten
Sinne bildete. Ein Urteil des Reichsgerichts vom 24. Mai 1887 hat aber
auch in dieser Beziehung eine praktisch sehr wichtige Änderung in der bisherigen
Auffassung hervorgerufen, indem der Gerichtshof darin aussprach, daß der
Besteller als Teilnehmer an der verbotenen Verbreitung zu bestrafen sei. Wird
diese Rechtsanschauung vom Reichsgerichte auch in Zukunft festgehalten, so wird
die Zahl der Strafuntersuchuugeu gegen die Mitglieder der sozialdemokratischen
Partei bedeutend wachsen, folgerichtig werden dann freilich auch die Polizci-
und Regierungsbehörden, welche den „Sozialdemokraten" behufs Beobachtung
der sozialdemokratischen Bewegung beziehen, auf die Zusendung desselben ver¬
zichten müssen.

Wenn infolge der im Vorstehenden gezeichneten Änderung der Recht¬
sprechung die Geheimbundsprozesse in den größern Städten des Reiches jetzt an
der Tagesordnung sind, so ist dies doch noch kein Beweis dafür, wie man von
mancher Seite behauptet hat, daß der deutsche Volkscharakter in den letzten
Jahren eine schlimme Veränderung erfahren habe, kein Beweis, daß die Neigung
zur Geheimbündelei, die Lust zu geheimen, verwerflichen Zettelungen und Ver¬
schwörungen in unserm die Offenheit so sehr liebenden Volke feste Wurzeln
geschlagen habe. Die anarchistischen Gruppenbildungen, wie sie von England
und Amerika aus in Deutschland versucht wurden, blieben zwar nicht ganz er¬
folglos, aber an dem offenen und geraden, aller Heimlichkeit und Verschwörungs-
kuust abgeneigten Wesen der Mehrheit der deutschen Arbeiter scheiterten die Be-


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[0176] Die Geheimbundsprozesse in Deutschland. spielt bei den Zwecken dieser Verbindungen die Verbreitung des „Sozial- demokraten," des bekannten, gewissermaßen amtlichen Organs der deutschen Sozialdemokratin Die Verbreitung andrer in Deutschland auf Grund des Gesetzes vom 21. Oktober 1878 verbotenen Schriften tritt gegenüber derjenigen der ebengenannten periodischen Druckschrift zurück. Ein Einschreiten gegen solche Personen, welche Mitglieder einer im Aus¬ lande bestehenden und dort gestatteten, in Deutschland aber verbotenen Ver¬ bindung sind, ermöglichte ein weiteres Urteil des Reichsgerichts, das Erkenntnis vom 20. Mai 1886. Hierdurch sind die Behörden in die Lage versetzt, gegen solche Personen auf Grund der obigen Bestimmungen strafrechtlich vorzugehen, die während ihres Aufenthaltes im Auslande Mitglieder der Internationalen Arbeiterassoziation werden und nach ihrer Rückkehr in das Gebiet des deutschen Reiches ihre Mitgliedschaft nicht in einer jeden Zweifel beseitigenden Weise aufheben, was in praktischer Beziehung ungemein wichtig ist, namentlich im Hinblick auf die in der Schweiz bestehenden internationalen Arbeiterverbände. Die Hauptthätigkeit der geheimen Verbindungen bestand, wie schon bemerkt, in der Verbreitung des „Sozicildemokratcn." Der Einzelne, welcher diese Zeitung in Zürich bei dem Verleger bestellt, ohne sie andern Personen mitzuteilen, war bisher nur dann strafbar, wenn sich nachweisen ließ, daß die Versendung den Zweck einer geheimen Verbindung in dem durch das Reichsgericht festgestellten Sinne bildete. Ein Urteil des Reichsgerichts vom 24. Mai 1887 hat aber auch in dieser Beziehung eine praktisch sehr wichtige Änderung in der bisherigen Auffassung hervorgerufen, indem der Gerichtshof darin aussprach, daß der Besteller als Teilnehmer an der verbotenen Verbreitung zu bestrafen sei. Wird diese Rechtsanschauung vom Reichsgerichte auch in Zukunft festgehalten, so wird die Zahl der Strafuntersuchuugeu gegen die Mitglieder der sozialdemokratischen Partei bedeutend wachsen, folgerichtig werden dann freilich auch die Polizci- und Regierungsbehörden, welche den „Sozialdemokraten" behufs Beobachtung der sozialdemokratischen Bewegung beziehen, auf die Zusendung desselben ver¬ zichten müssen. Wenn infolge der im Vorstehenden gezeichneten Änderung der Recht¬ sprechung die Geheimbundsprozesse in den größern Städten des Reiches jetzt an der Tagesordnung sind, so ist dies doch noch kein Beweis dafür, wie man von mancher Seite behauptet hat, daß der deutsche Volkscharakter in den letzten Jahren eine schlimme Veränderung erfahren habe, kein Beweis, daß die Neigung zur Geheimbündelei, die Lust zu geheimen, verwerflichen Zettelungen und Ver¬ schwörungen in unserm die Offenheit so sehr liebenden Volke feste Wurzeln geschlagen habe. Die anarchistischen Gruppenbildungen, wie sie von England und Amerika aus in Deutschland versucht wurden, blieben zwar nicht ganz er¬ folglos, aber an dem offenen und geraden, aller Heimlichkeit und Verschwörungs- kuust abgeneigten Wesen der Mehrheit der deutschen Arbeiter scheiterten die Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/176>, abgerufen am 23.06.2024.