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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Geheimbundsprozesse in Deutschland.

Verschwörungen und Geheimbünden sein, die sich bestrebten, den Zweck des
Gesetzes zu vereiteln oder gar aufrührerische Bewegungen vorzubereiten. Die
Geschichte des deutschen Volkes berechtigte ihn zu diesem Ausspruche. In der
That hat die in südlichen Ländern so heimische Unsitte, geheime Verbindungen
zu bilden und durch sie politische oder soziale Umwälzungen anzubahnen, in
Deutschland bisher niemals eine erhebliche Rolle gespielt. Die Verbindungen
der Bauern in Süddeutschland vor Ausbruch des Bauernkrieges, die Ver¬
gatterungen der Gesellen und Handwerker im Mittelalter können ebensowenig
zur Entkräftung dieser Behauptung angeführt werden wie der Tugendbund. Ge¬
heimbünde wie die Hetärie in Griechenland und die Carbonaria in Italien sind
in der deutschen Geschichte unbekannt, und Treitschke war deshalb wohl berechtigt,
dies durch einen Hinweis auf die Eigenartigkeit des deutschen Volkscharakters
zu erklären.

In eigentümlichem Widerspruch mit dieser Thatsache scheinen nun die zahl¬
reichen Untersuchungen gegen Mitglieder der sozialdemokratischen Partei wegen
Bildung geheimer Verbindungen oder Teilnahme an solchen zu stehen, die in
einer großen Anzahl deutscher Städte kürzlich geführt wurden und fast sämtlich
mit mehr oder minder hohen Freiheitsstrafen endeten, und es ist wohl der
Mühe wert, diesem Gegenstande einige Erörterungen zu widmen, wobei alles
rein Juristische, soweit es irgend möglich ist, ferngehalten werden soll.

Das deutsche Strafgesetzbuch verbietet die Teilnahme an einer Verbindung,
deren Dasein, Verfassung oder Zweck vor der Staatsregierung geheim gehalten
werden soll oder in der gegen unbekannte Obere Gehorsam oder gegen bekannte
Obere unbedingter Gehorsam versprochen wird; die Mitglieder trifft eine Ge¬
fängnisstrafe bis zu sechs Monaten, während die Vorsteher und Stifter mit
Gefängnis bis zu einem Jahre bedroht werden. Ferner verbietet das Straf¬
gesetz die Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken und Beschäftigungen
es gehört, Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen durch
ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften; die Strafe beträgt in
diesem Falle bei den Mitgliedern Gefängnis bis zu einem Jahre, bei den Stiftern
und Vorstehern Gefängnis bis zu drei Jahren. Auf Grund dieser Bestimmungen
sind seit Jahresfrist und länger gegen viele Mitglieder der sozialdemokratischen
Partei Verurteilungen ergangen, die freilich nur dadurch möglich wurden, daß
das Reichsgericht den gesetzlichen Vorschriften eine Auslegung gab, die in der
bisherigen Praxis des Strafgesetzbuchs keine Stütze sand.

Das Gesetz erläutert nun nicht näher, was unter einer Verbindung verstanden
werden soll. Von der Thatsache ausgehend, daß dieser Begriff dem allgemeinen
Sprachgebrauche angehöre und deshalb allgemein verständlich sei, hat der Gesetz¬
geber von einer Begriffserläuterung abgesehen und es vorgezogen, die Fest¬
stellung des Begriffes der Rechtsprechung zu überlassen. Bisher hat dies auch
zu keinerlei Schwierigkeiten Anlaß gegeben; man sah eine Verbindung nicht in


Die Geheimbundsprozesse in Deutschland.

Verschwörungen und Geheimbünden sein, die sich bestrebten, den Zweck des
Gesetzes zu vereiteln oder gar aufrührerische Bewegungen vorzubereiten. Die
Geschichte des deutschen Volkes berechtigte ihn zu diesem Ausspruche. In der
That hat die in südlichen Ländern so heimische Unsitte, geheime Verbindungen
zu bilden und durch sie politische oder soziale Umwälzungen anzubahnen, in
Deutschland bisher niemals eine erhebliche Rolle gespielt. Die Verbindungen
der Bauern in Süddeutschland vor Ausbruch des Bauernkrieges, die Ver¬
gatterungen der Gesellen und Handwerker im Mittelalter können ebensowenig
zur Entkräftung dieser Behauptung angeführt werden wie der Tugendbund. Ge¬
heimbünde wie die Hetärie in Griechenland und die Carbonaria in Italien sind
in der deutschen Geschichte unbekannt, und Treitschke war deshalb wohl berechtigt,
dies durch einen Hinweis auf die Eigenartigkeit des deutschen Volkscharakters
zu erklären.

In eigentümlichem Widerspruch mit dieser Thatsache scheinen nun die zahl¬
reichen Untersuchungen gegen Mitglieder der sozialdemokratischen Partei wegen
Bildung geheimer Verbindungen oder Teilnahme an solchen zu stehen, die in
einer großen Anzahl deutscher Städte kürzlich geführt wurden und fast sämtlich
mit mehr oder minder hohen Freiheitsstrafen endeten, und es ist wohl der
Mühe wert, diesem Gegenstande einige Erörterungen zu widmen, wobei alles
rein Juristische, soweit es irgend möglich ist, ferngehalten werden soll.

Das deutsche Strafgesetzbuch verbietet die Teilnahme an einer Verbindung,
deren Dasein, Verfassung oder Zweck vor der Staatsregierung geheim gehalten
werden soll oder in der gegen unbekannte Obere Gehorsam oder gegen bekannte
Obere unbedingter Gehorsam versprochen wird; die Mitglieder trifft eine Ge¬
fängnisstrafe bis zu sechs Monaten, während die Vorsteher und Stifter mit
Gefängnis bis zu einem Jahre bedroht werden. Ferner verbietet das Straf¬
gesetz die Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken und Beschäftigungen
es gehört, Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen durch
ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften; die Strafe beträgt in
diesem Falle bei den Mitgliedern Gefängnis bis zu einem Jahre, bei den Stiftern
und Vorstehern Gefängnis bis zu drei Jahren. Auf Grund dieser Bestimmungen
sind seit Jahresfrist und länger gegen viele Mitglieder der sozialdemokratischen
Partei Verurteilungen ergangen, die freilich nur dadurch möglich wurden, daß
das Reichsgericht den gesetzlichen Vorschriften eine Auslegung gab, die in der
bisherigen Praxis des Strafgesetzbuchs keine Stütze sand.

Das Gesetz erläutert nun nicht näher, was unter einer Verbindung verstanden
werden soll. Von der Thatsache ausgehend, daß dieser Begriff dem allgemeinen
Sprachgebrauche angehöre und deshalb allgemein verständlich sei, hat der Gesetz¬
geber von einer Begriffserläuterung abgesehen und es vorgezogen, die Fest¬
stellung des Begriffes der Rechtsprechung zu überlassen. Bisher hat dies auch
zu keinerlei Schwierigkeiten Anlaß gegeben; man sah eine Verbindung nicht in


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[0174] Die Geheimbundsprozesse in Deutschland. Verschwörungen und Geheimbünden sein, die sich bestrebten, den Zweck des Gesetzes zu vereiteln oder gar aufrührerische Bewegungen vorzubereiten. Die Geschichte des deutschen Volkes berechtigte ihn zu diesem Ausspruche. In der That hat die in südlichen Ländern so heimische Unsitte, geheime Verbindungen zu bilden und durch sie politische oder soziale Umwälzungen anzubahnen, in Deutschland bisher niemals eine erhebliche Rolle gespielt. Die Verbindungen der Bauern in Süddeutschland vor Ausbruch des Bauernkrieges, die Ver¬ gatterungen der Gesellen und Handwerker im Mittelalter können ebensowenig zur Entkräftung dieser Behauptung angeführt werden wie der Tugendbund. Ge¬ heimbünde wie die Hetärie in Griechenland und die Carbonaria in Italien sind in der deutschen Geschichte unbekannt, und Treitschke war deshalb wohl berechtigt, dies durch einen Hinweis auf die Eigenartigkeit des deutschen Volkscharakters zu erklären. In eigentümlichem Widerspruch mit dieser Thatsache scheinen nun die zahl¬ reichen Untersuchungen gegen Mitglieder der sozialdemokratischen Partei wegen Bildung geheimer Verbindungen oder Teilnahme an solchen zu stehen, die in einer großen Anzahl deutscher Städte kürzlich geführt wurden und fast sämtlich mit mehr oder minder hohen Freiheitsstrafen endeten, und es ist wohl der Mühe wert, diesem Gegenstande einige Erörterungen zu widmen, wobei alles rein Juristische, soweit es irgend möglich ist, ferngehalten werden soll. Das deutsche Strafgesetzbuch verbietet die Teilnahme an einer Verbindung, deren Dasein, Verfassung oder Zweck vor der Staatsregierung geheim gehalten werden soll oder in der gegen unbekannte Obere Gehorsam oder gegen bekannte Obere unbedingter Gehorsam versprochen wird; die Mitglieder trifft eine Ge¬ fängnisstrafe bis zu sechs Monaten, während die Vorsteher und Stifter mit Gefängnis bis zu einem Jahre bedroht werden. Ferner verbietet das Straf¬ gesetz die Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken und Beschäftigungen es gehört, Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen durch ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften; die Strafe beträgt in diesem Falle bei den Mitgliedern Gefängnis bis zu einem Jahre, bei den Stiftern und Vorstehern Gefängnis bis zu drei Jahren. Auf Grund dieser Bestimmungen sind seit Jahresfrist und länger gegen viele Mitglieder der sozialdemokratischen Partei Verurteilungen ergangen, die freilich nur dadurch möglich wurden, daß das Reichsgericht den gesetzlichen Vorschriften eine Auslegung gab, die in der bisherigen Praxis des Strafgesetzbuchs keine Stütze sand. Das Gesetz erläutert nun nicht näher, was unter einer Verbindung verstanden werden soll. Von der Thatsache ausgehend, daß dieser Begriff dem allgemeinen Sprachgebrauche angehöre und deshalb allgemein verständlich sei, hat der Gesetz¬ geber von einer Begriffserläuterung abgesehen und es vorgezogen, die Fest¬ stellung des Begriffes der Rechtsprechung zu überlassen. Bisher hat dies auch zu keinerlei Schwierigkeiten Anlaß gegeben; man sah eine Verbindung nicht in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/174>, abgerufen am 30.06.2024.