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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gin Jubiläum.

dieses Zustandes standen der Wiener Politik verschiedne Mittel zu Gebote, n. a. der
Einfluß der katholischen Kirche und die Gewohnheit des süd- und mittelstaat¬
lichen Adels, seine Söhne im österreichischen Heere dienen zu lassen, wodurch
er an das österreichische Interesse gefesselt wurde. Regierungen, welche nicht
gutwillig sich zur Verfügung stellten, wurden durch Druck und Drohung dazu
gezwungen. So durfte man in Wien, als Bismarck in Frankfurt war, der
Majorität am Bunde auf längere Zeit sicher sein und auf mehr als dieses
hoffen, d. h. auf vollständige Lähmung Preußens und auf Erniedrigung des¬
selben zu derselben Vasallenschaft, in die sich die übrigen Staaten Deutschlands
begeben hatten. Dem ein Ende zu machen, ehe es zu spät sei, bezeichnet das
"Kleine Buch" als die dringendste Aufgabe Preußens. Preußen muß -- so er¬
klärt der Verfasser -- eine selbständige deutsche Politik treiben und alles daran
setzen, sich von den Einflüssen, die gegenwärtig seine Bewegung hindern, zu be¬
freien. Kann es das bei den vorliegenden Machtverhältnissen nicht durch eigne
Mittel ins Werk setzen, so muß es sich, je nach den Umständen und Ereignissen,
auf die eine oder die andre Verbindung einlassen, Österreich gegen den Bund
oder diesen gegen jenes ausspielen. Vor allem darf es nicht empfindsame Re¬
gungen in sich Herr werden lassen; einzig und allein die Frage nach dem eignen
Vorteile hat ihm bei seinen Betrachtungen und Entschlüssen das Maß zu geben.
Es muß die Führung der deutschen Politik in die Hand nehmen, Österreich bei¬
seite schieben und den Bund unschädlich machen, indem es die begonnene Aus¬
bildung der Verfassung desselben zu einer Stärkung der Mittelstaaten ver¬
hindert und mit denselben Interessengemeinschaften herstellt, welche ähnlich wie
der Zollverein vom Bunde unabhängig sind.

Am 12. Mai 1859 richtete Bismarck an sein Ministerium ein Schreiben,
in welchem er u. a. sagte: "Aus den acht Jahren meiner Frankfurter Amts¬
führung habe ich als Ergebnis meiner Erfahrungen die Überzeugung mitge¬
nommen, daß die dermaligen Bundeseinrichtungen für Preußen eine drückende,
in kritischen Zeiten eine lebensgefährliche Fessel bilden, ohne uns dafür dieselben
Äquivalente zu gewähren, welche Österreich bei einem ungleich größeren Maße
eigner freier Bewegung ans ihnen zieht. Beide Großmächte werden von den
Fürsten und Regierungen der kleinern Staaten nicht mit gleichem Maße ge¬
messen; die Auslegung des Zweckes und der Gesetze des Bundes modifizirt sich
nach den Bedürfnissen der österreichischen Politik. Stets haben wir uns der¬
selben kompakten Majorität, demselben Anspruch auf Preußens Nachgiebigkeit
gegenüber befunden. In der orientalischen Frage ^d. h. während des Krim-
triegcöj bewies sich die Schwerkraft Österreichs der unsrigen so überlegen, daß
selbst die Übereinstimmung der Wünsche und Neigungen der Bundesregierungen
mit den Bestrebungen Preußens ihr nur einen weichenden Damm gegenüber¬
zusetzen vermochte. . . . Ich glaube, wir sollten den Handschuh bereitwillig auf¬
nehmen und kein Unglück, sondern einen Fortschritt der Krisis zur Besserung


Gin Jubiläum.

dieses Zustandes standen der Wiener Politik verschiedne Mittel zu Gebote, n. a. der
Einfluß der katholischen Kirche und die Gewohnheit des süd- und mittelstaat¬
lichen Adels, seine Söhne im österreichischen Heere dienen zu lassen, wodurch
er an das österreichische Interesse gefesselt wurde. Regierungen, welche nicht
gutwillig sich zur Verfügung stellten, wurden durch Druck und Drohung dazu
gezwungen. So durfte man in Wien, als Bismarck in Frankfurt war, der
Majorität am Bunde auf längere Zeit sicher sein und auf mehr als dieses
hoffen, d. h. auf vollständige Lähmung Preußens und auf Erniedrigung des¬
selben zu derselben Vasallenschaft, in die sich die übrigen Staaten Deutschlands
begeben hatten. Dem ein Ende zu machen, ehe es zu spät sei, bezeichnet das
„Kleine Buch" als die dringendste Aufgabe Preußens. Preußen muß — so er¬
klärt der Verfasser — eine selbständige deutsche Politik treiben und alles daran
setzen, sich von den Einflüssen, die gegenwärtig seine Bewegung hindern, zu be¬
freien. Kann es das bei den vorliegenden Machtverhältnissen nicht durch eigne
Mittel ins Werk setzen, so muß es sich, je nach den Umständen und Ereignissen,
auf die eine oder die andre Verbindung einlassen, Österreich gegen den Bund
oder diesen gegen jenes ausspielen. Vor allem darf es nicht empfindsame Re¬
gungen in sich Herr werden lassen; einzig und allein die Frage nach dem eignen
Vorteile hat ihm bei seinen Betrachtungen und Entschlüssen das Maß zu geben.
Es muß die Führung der deutschen Politik in die Hand nehmen, Österreich bei¬
seite schieben und den Bund unschädlich machen, indem es die begonnene Aus¬
bildung der Verfassung desselben zu einer Stärkung der Mittelstaaten ver¬
hindert und mit denselben Interessengemeinschaften herstellt, welche ähnlich wie
der Zollverein vom Bunde unabhängig sind.

Am 12. Mai 1859 richtete Bismarck an sein Ministerium ein Schreiben,
in welchem er u. a. sagte: „Aus den acht Jahren meiner Frankfurter Amts¬
führung habe ich als Ergebnis meiner Erfahrungen die Überzeugung mitge¬
nommen, daß die dermaligen Bundeseinrichtungen für Preußen eine drückende,
in kritischen Zeiten eine lebensgefährliche Fessel bilden, ohne uns dafür dieselben
Äquivalente zu gewähren, welche Österreich bei einem ungleich größeren Maße
eigner freier Bewegung ans ihnen zieht. Beide Großmächte werden von den
Fürsten und Regierungen der kleinern Staaten nicht mit gleichem Maße ge¬
messen; die Auslegung des Zweckes und der Gesetze des Bundes modifizirt sich
nach den Bedürfnissen der österreichischen Politik. Stets haben wir uns der¬
selben kompakten Majorität, demselben Anspruch auf Preußens Nachgiebigkeit
gegenüber befunden. In der orientalischen Frage ^d. h. während des Krim-
triegcöj bewies sich die Schwerkraft Österreichs der unsrigen so überlegen, daß
selbst die Übereinstimmung der Wünsche und Neigungen der Bundesregierungen
mit den Bestrebungen Preußens ihr nur einen weichenden Damm gegenüber¬
zusetzen vermochte. . . . Ich glaube, wir sollten den Handschuh bereitwillig auf¬
nehmen und kein Unglück, sondern einen Fortschritt der Krisis zur Besserung


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[0115] Gin Jubiläum. dieses Zustandes standen der Wiener Politik verschiedne Mittel zu Gebote, n. a. der Einfluß der katholischen Kirche und die Gewohnheit des süd- und mittelstaat¬ lichen Adels, seine Söhne im österreichischen Heere dienen zu lassen, wodurch er an das österreichische Interesse gefesselt wurde. Regierungen, welche nicht gutwillig sich zur Verfügung stellten, wurden durch Druck und Drohung dazu gezwungen. So durfte man in Wien, als Bismarck in Frankfurt war, der Majorität am Bunde auf längere Zeit sicher sein und auf mehr als dieses hoffen, d. h. auf vollständige Lähmung Preußens und auf Erniedrigung des¬ selben zu derselben Vasallenschaft, in die sich die übrigen Staaten Deutschlands begeben hatten. Dem ein Ende zu machen, ehe es zu spät sei, bezeichnet das „Kleine Buch" als die dringendste Aufgabe Preußens. Preußen muß — so er¬ klärt der Verfasser — eine selbständige deutsche Politik treiben und alles daran setzen, sich von den Einflüssen, die gegenwärtig seine Bewegung hindern, zu be¬ freien. Kann es das bei den vorliegenden Machtverhältnissen nicht durch eigne Mittel ins Werk setzen, so muß es sich, je nach den Umständen und Ereignissen, auf die eine oder die andre Verbindung einlassen, Österreich gegen den Bund oder diesen gegen jenes ausspielen. Vor allem darf es nicht empfindsame Re¬ gungen in sich Herr werden lassen; einzig und allein die Frage nach dem eignen Vorteile hat ihm bei seinen Betrachtungen und Entschlüssen das Maß zu geben. Es muß die Führung der deutschen Politik in die Hand nehmen, Österreich bei¬ seite schieben und den Bund unschädlich machen, indem es die begonnene Aus¬ bildung der Verfassung desselben zu einer Stärkung der Mittelstaaten ver¬ hindert und mit denselben Interessengemeinschaften herstellt, welche ähnlich wie der Zollverein vom Bunde unabhängig sind. Am 12. Mai 1859 richtete Bismarck an sein Ministerium ein Schreiben, in welchem er u. a. sagte: „Aus den acht Jahren meiner Frankfurter Amts¬ führung habe ich als Ergebnis meiner Erfahrungen die Überzeugung mitge¬ nommen, daß die dermaligen Bundeseinrichtungen für Preußen eine drückende, in kritischen Zeiten eine lebensgefährliche Fessel bilden, ohne uns dafür dieselben Äquivalente zu gewähren, welche Österreich bei einem ungleich größeren Maße eigner freier Bewegung ans ihnen zieht. Beide Großmächte werden von den Fürsten und Regierungen der kleinern Staaten nicht mit gleichem Maße ge¬ messen; die Auslegung des Zweckes und der Gesetze des Bundes modifizirt sich nach den Bedürfnissen der österreichischen Politik. Stets haben wir uns der¬ selben kompakten Majorität, demselben Anspruch auf Preußens Nachgiebigkeit gegenüber befunden. In der orientalischen Frage ^d. h. während des Krim- triegcöj bewies sich die Schwerkraft Österreichs der unsrigen so überlegen, daß selbst die Übereinstimmung der Wünsche und Neigungen der Bundesregierungen mit den Bestrebungen Preußens ihr nur einen weichenden Damm gegenüber¬ zusetzen vermochte. . . . Ich glaube, wir sollten den Handschuh bereitwillig auf¬ nehmen und kein Unglück, sondern einen Fortschritt der Krisis zur Besserung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/115>, abgerufen am 22.07.2024.