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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Staatsprüfung im Reiche der Mitte.

Soweit die Darstellung des Berichterstatters Blackmvods, die auch mit den
vom Berichterstatter der offiziellen preußisch-chinesischen Expedition seiner Zeit
gegebenen Auszeichungen durchaus übereinstimmen. Es läßt sich daraus in Ver¬
bindung mit so manchem andern leicht erkennen, wie die tausendjährige Abschlie-
ßung, der hartnäckige Widerstand gegen Fortschritte und neue Ideen weniger
in der Natur und dem Charakter des Volkes, als in dem System begründet sind,
nach welchem seine Geschicke geleitet werden. Daß die Abschließung durch den
gewaltigen Umfang eines Reiches, welches in allen Dingen sich selbst zu genügen
vermag, wesentlich gefördert wurde, liegt auf der Hand. Daß ein Widerstreben
gegen Neuerungen vorhanden ist. namentlich wenn sie von den sogenannten "Bar¬
baren des Westens" gebracht werden, ist auch unzweifelhaft; nur ist man allzu
geneigt, den Ursprung und die innere Natur dieses Widerstrebens zu verkennen.
Es war nach dem ersten englischen Krieg"' im Anfang der vierziger Jahre,
und nachdem der Friede von Nangking geschlossen war, eine bemerkenswerte
Erscheinung, daß, als Chusau von den Engländern geräumt werden sollte, die
ganze chinesische Bevölkerung dieser Inselgruppe, einschließlich der untergeord¬
neten Mandarine, damit sehr unzufrieden war. Sie hatten während der ver¬
hältnismäßig langen Besetzung (sie dauerte etwas über fünf Jahre) einen Zustand
kennen gelernt, in welchem sie der früher gewohnten Aufsangung und Knech-
tung durch die obern Mandarine entzogen waren, und der Verkehr zwischen Ein¬
heimischen und Fremden in den fünf Vertragshäfen, namentlich in Shang-Han,
Umoi und Kanton, hatte sich allmählich zu einem sehr freundschaftlichen gestaltet,
was von den obern chinesischen Beamten nur ungern beobachtet wurde.

Das größte Mißgeschick für das Land liegt in dem ihm gewaltsam auf¬
erlegten Unglück des Opiumhandels. Dieser ist nur zu wenig geeignet, dem
althergebrachten Vorurteil der Söhne des himmlischen Reiches gegen den "barba¬
rischen Westen" Einhalt zu thun, und leider hat dieser unselige Handel durch
den neuerdings mit Frankreich geschlossenen Vertrag eine verhängnisvolle Aus¬
dehnung gewonnen.


L. F. Barsch.


Line Staatsprüfung im Reiche der Mitte.

Soweit die Darstellung des Berichterstatters Blackmvods, die auch mit den
vom Berichterstatter der offiziellen preußisch-chinesischen Expedition seiner Zeit
gegebenen Auszeichungen durchaus übereinstimmen. Es läßt sich daraus in Ver¬
bindung mit so manchem andern leicht erkennen, wie die tausendjährige Abschlie-
ßung, der hartnäckige Widerstand gegen Fortschritte und neue Ideen weniger
in der Natur und dem Charakter des Volkes, als in dem System begründet sind,
nach welchem seine Geschicke geleitet werden. Daß die Abschließung durch den
gewaltigen Umfang eines Reiches, welches in allen Dingen sich selbst zu genügen
vermag, wesentlich gefördert wurde, liegt auf der Hand. Daß ein Widerstreben
gegen Neuerungen vorhanden ist. namentlich wenn sie von den sogenannten „Bar¬
baren des Westens" gebracht werden, ist auch unzweifelhaft; nur ist man allzu
geneigt, den Ursprung und die innere Natur dieses Widerstrebens zu verkennen.
Es war nach dem ersten englischen Krieg«' im Anfang der vierziger Jahre,
und nachdem der Friede von Nangking geschlossen war, eine bemerkenswerte
Erscheinung, daß, als Chusau von den Engländern geräumt werden sollte, die
ganze chinesische Bevölkerung dieser Inselgruppe, einschließlich der untergeord¬
neten Mandarine, damit sehr unzufrieden war. Sie hatten während der ver¬
hältnismäßig langen Besetzung (sie dauerte etwas über fünf Jahre) einen Zustand
kennen gelernt, in welchem sie der früher gewohnten Aufsangung und Knech-
tung durch die obern Mandarine entzogen waren, und der Verkehr zwischen Ein¬
heimischen und Fremden in den fünf Vertragshäfen, namentlich in Shang-Han,
Umoi und Kanton, hatte sich allmählich zu einem sehr freundschaftlichen gestaltet,
was von den obern chinesischen Beamten nur ungern beobachtet wurde.

Das größte Mißgeschick für das Land liegt in dem ihm gewaltsam auf¬
erlegten Unglück des Opiumhandels. Dieser ist nur zu wenig geeignet, dem
althergebrachten Vorurteil der Söhne des himmlischen Reiches gegen den „barba¬
rischen Westen" Einhalt zu thun, und leider hat dieser unselige Handel durch
den neuerdings mit Frankreich geschlossenen Vertrag eine verhängnisvolle Aus¬
dehnung gewonnen.


L. F. Barsch.


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[0100] Line Staatsprüfung im Reiche der Mitte. Soweit die Darstellung des Berichterstatters Blackmvods, die auch mit den vom Berichterstatter der offiziellen preußisch-chinesischen Expedition seiner Zeit gegebenen Auszeichungen durchaus übereinstimmen. Es läßt sich daraus in Ver¬ bindung mit so manchem andern leicht erkennen, wie die tausendjährige Abschlie- ßung, der hartnäckige Widerstand gegen Fortschritte und neue Ideen weniger in der Natur und dem Charakter des Volkes, als in dem System begründet sind, nach welchem seine Geschicke geleitet werden. Daß die Abschließung durch den gewaltigen Umfang eines Reiches, welches in allen Dingen sich selbst zu genügen vermag, wesentlich gefördert wurde, liegt auf der Hand. Daß ein Widerstreben gegen Neuerungen vorhanden ist. namentlich wenn sie von den sogenannten „Bar¬ baren des Westens" gebracht werden, ist auch unzweifelhaft; nur ist man allzu geneigt, den Ursprung und die innere Natur dieses Widerstrebens zu verkennen. Es war nach dem ersten englischen Krieg«' im Anfang der vierziger Jahre, und nachdem der Friede von Nangking geschlossen war, eine bemerkenswerte Erscheinung, daß, als Chusau von den Engländern geräumt werden sollte, die ganze chinesische Bevölkerung dieser Inselgruppe, einschließlich der untergeord¬ neten Mandarine, damit sehr unzufrieden war. Sie hatten während der ver¬ hältnismäßig langen Besetzung (sie dauerte etwas über fünf Jahre) einen Zustand kennen gelernt, in welchem sie der früher gewohnten Aufsangung und Knech- tung durch die obern Mandarine entzogen waren, und der Verkehr zwischen Ein¬ heimischen und Fremden in den fünf Vertragshäfen, namentlich in Shang-Han, Umoi und Kanton, hatte sich allmählich zu einem sehr freundschaftlichen gestaltet, was von den obern chinesischen Beamten nur ungern beobachtet wurde. Das größte Mißgeschick für das Land liegt in dem ihm gewaltsam auf¬ erlegten Unglück des Opiumhandels. Dieser ist nur zu wenig geeignet, dem althergebrachten Vorurteil der Söhne des himmlischen Reiches gegen den „barba¬ rischen Westen" Einhalt zu thun, und leider hat dieser unselige Handel durch den neuerdings mit Frankreich geschlossenen Vertrag eine verhängnisvolle Aus¬ dehnung gewonnen. L. F. Barsch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/100>, abgerufen am 22.07.2024.