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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Das Goethe-Jahrbuch,

ihm als Herausgeber fordert, für "Lappalien"; die Wissenschaft kennt aber solche
überhaupt nicht. Und was den wohlfeil mir vorgeworfenen Undank betrifft,
so könnte man doch fragen, ob ich in meiner Ausgabe Fielitz mehr zu ver¬
danken habe oder Fielitz meinen ausgedehnten frühern Forschungen. Wir haben
uns gegenseitig den gebührenden Dank ausgesprochen, aber, wie Fielitz, obgleich
er mich, wie billig, stark ausnutzt, nicht auf das Recht verzichtet, mich zu be¬
richtigen, so wenig durfte ich es. Ich bezweifle, daß Geiger weiß, was
ich für Frau von Stein geleistet habe, aber geurteilt muß sein, und so weg¬
werfend als möglich, da er einmal sein böses Auge auf mich geworfen hat.
Bei meinen Ausgaben der Gedichte und des Divan ist er weit entfernt, das
viele von mir gebrachte Neue (wie bei deu Gedichten nach dem neugriechischen,
bei den Abhandlungen zum Divan), hervorzuheben, er will bloß tadeln; nichts
ist ihm widerwärtiger als mir gerecht zu werden. So hat er denn mich den nicht
beneidenswerten Mut, von meiner Darstellung der Dichterin Amalie von Jmhoff
zu bemerken: "Neues Material ist nicht benutzt. Bekanntes wird mit großer
Weitschweifigkeit vorgetragen." Kennt Geiger etwa das Material und hat er
sich die Lebensbeschreibungen der Dichterin von Döring und in der Allgemeinen
deutschen Biographie zur Vergleichung angesehen? Was ich geleistet habe,
wissen Kundige, und über Weitschweifigkeit wird sich wohl nnr Geiger beklagen,
der, so oft er auf mich zu sprechen kommt, in die Farbentöpfe tunkt, die Breite,
Nörgelei. Schulmeisteret und andre schöne Dinge dieser Art enthalten. Als
Berichterstatter hätte er wenigstens erwähnen sollen, daß wir bisher kein Bild
der jugendlichen Dichterin besessen haben, wogegen meiner Darstellung drei un¬
zweifelhaft echte beigegeben find. Auch aus dem, was er über meine sehr viel
neues bringenden Erläuterungen von Goethes Maskenzügen sagt, kann kein
Mensch die Bedeutung dieser Arbeit ersehen -- und keiner soll es!

Wenn ich in der Schilderung der Leistungen des Goethe-Jahrbuches so
ausführlich gewesen bin, so sollte diese meine Überzeugung begründen, daß in
der Leitung dieses bedeutenden Unternehmens Wandel geschafft werden muß.
Die Willkür, Sorglosigkeit und Ungenauigkeit in der Mitteilung ungedruckter
Briefe muß gewissenhafter Prüfung, ob ein Brief wirklich ungedruckt sei, der
genauen Forschung nach der Nichtigkeit oder der Bestimmung des Datums und
der Adresse, der kurzen und bestimmten Erklärung aller thatsächlichen Be¬
ziehungen und dem fehlerlosen Abdrucke weichen, und dabei muß die umfassendste
Kenntnis zu Gebote stehen, die Geiger eben abgeht. Dieselbe würdige Behandlung
sollte den oft fehlerhaft im Jahrbuch abgedruckten Mitteilungen der Zeitgenossen
über Goethe zu Teil werden, in deren Auswahl überdies größere Strenge zu
empfehlen wäre. Keine Aufsätze sollten Aufnahme finden, die nicht das Ergebnis
reifer Prüfung sind, wenn auch der Standpunkt ein verschiedner sein darf.
Auch mit nichtigen Miscellen sollten die Leser verschont bleiben. Besondre
Sorgfalt ist auf die Bibliographie zu verwenden, wenn diese überhaupt noch


Das Goethe-Jahrbuch,

ihm als Herausgeber fordert, für „Lappalien"; die Wissenschaft kennt aber solche
überhaupt nicht. Und was den wohlfeil mir vorgeworfenen Undank betrifft,
so könnte man doch fragen, ob ich in meiner Ausgabe Fielitz mehr zu ver¬
danken habe oder Fielitz meinen ausgedehnten frühern Forschungen. Wir haben
uns gegenseitig den gebührenden Dank ausgesprochen, aber, wie Fielitz, obgleich
er mich, wie billig, stark ausnutzt, nicht auf das Recht verzichtet, mich zu be¬
richtigen, so wenig durfte ich es. Ich bezweifle, daß Geiger weiß, was
ich für Frau von Stein geleistet habe, aber geurteilt muß sein, und so weg¬
werfend als möglich, da er einmal sein böses Auge auf mich geworfen hat.
Bei meinen Ausgaben der Gedichte und des Divan ist er weit entfernt, das
viele von mir gebrachte Neue (wie bei deu Gedichten nach dem neugriechischen,
bei den Abhandlungen zum Divan), hervorzuheben, er will bloß tadeln; nichts
ist ihm widerwärtiger als mir gerecht zu werden. So hat er denn mich den nicht
beneidenswerten Mut, von meiner Darstellung der Dichterin Amalie von Jmhoff
zu bemerken: „Neues Material ist nicht benutzt. Bekanntes wird mit großer
Weitschweifigkeit vorgetragen." Kennt Geiger etwa das Material und hat er
sich die Lebensbeschreibungen der Dichterin von Döring und in der Allgemeinen
deutschen Biographie zur Vergleichung angesehen? Was ich geleistet habe,
wissen Kundige, und über Weitschweifigkeit wird sich wohl nnr Geiger beklagen,
der, so oft er auf mich zu sprechen kommt, in die Farbentöpfe tunkt, die Breite,
Nörgelei. Schulmeisteret und andre schöne Dinge dieser Art enthalten. Als
Berichterstatter hätte er wenigstens erwähnen sollen, daß wir bisher kein Bild
der jugendlichen Dichterin besessen haben, wogegen meiner Darstellung drei un¬
zweifelhaft echte beigegeben find. Auch aus dem, was er über meine sehr viel
neues bringenden Erläuterungen von Goethes Maskenzügen sagt, kann kein
Mensch die Bedeutung dieser Arbeit ersehen — und keiner soll es!

Wenn ich in der Schilderung der Leistungen des Goethe-Jahrbuches so
ausführlich gewesen bin, so sollte diese meine Überzeugung begründen, daß in
der Leitung dieses bedeutenden Unternehmens Wandel geschafft werden muß.
Die Willkür, Sorglosigkeit und Ungenauigkeit in der Mitteilung ungedruckter
Briefe muß gewissenhafter Prüfung, ob ein Brief wirklich ungedruckt sei, der
genauen Forschung nach der Nichtigkeit oder der Bestimmung des Datums und
der Adresse, der kurzen und bestimmten Erklärung aller thatsächlichen Be¬
ziehungen und dem fehlerlosen Abdrucke weichen, und dabei muß die umfassendste
Kenntnis zu Gebote stehen, die Geiger eben abgeht. Dieselbe würdige Behandlung
sollte den oft fehlerhaft im Jahrbuch abgedruckten Mitteilungen der Zeitgenossen
über Goethe zu Teil werden, in deren Auswahl überdies größere Strenge zu
empfehlen wäre. Keine Aufsätze sollten Aufnahme finden, die nicht das Ergebnis
reifer Prüfung sind, wenn auch der Standpunkt ein verschiedner sein darf.
Auch mit nichtigen Miscellen sollten die Leser verschont bleiben. Besondre
Sorgfalt ist auf die Bibliographie zu verwenden, wenn diese überhaupt noch


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[0093] Das Goethe-Jahrbuch, ihm als Herausgeber fordert, für „Lappalien"; die Wissenschaft kennt aber solche überhaupt nicht. Und was den wohlfeil mir vorgeworfenen Undank betrifft, so könnte man doch fragen, ob ich in meiner Ausgabe Fielitz mehr zu ver¬ danken habe oder Fielitz meinen ausgedehnten frühern Forschungen. Wir haben uns gegenseitig den gebührenden Dank ausgesprochen, aber, wie Fielitz, obgleich er mich, wie billig, stark ausnutzt, nicht auf das Recht verzichtet, mich zu be¬ richtigen, so wenig durfte ich es. Ich bezweifle, daß Geiger weiß, was ich für Frau von Stein geleistet habe, aber geurteilt muß sein, und so weg¬ werfend als möglich, da er einmal sein böses Auge auf mich geworfen hat. Bei meinen Ausgaben der Gedichte und des Divan ist er weit entfernt, das viele von mir gebrachte Neue (wie bei deu Gedichten nach dem neugriechischen, bei den Abhandlungen zum Divan), hervorzuheben, er will bloß tadeln; nichts ist ihm widerwärtiger als mir gerecht zu werden. So hat er denn mich den nicht beneidenswerten Mut, von meiner Darstellung der Dichterin Amalie von Jmhoff zu bemerken: „Neues Material ist nicht benutzt. Bekanntes wird mit großer Weitschweifigkeit vorgetragen." Kennt Geiger etwa das Material und hat er sich die Lebensbeschreibungen der Dichterin von Döring und in der Allgemeinen deutschen Biographie zur Vergleichung angesehen? Was ich geleistet habe, wissen Kundige, und über Weitschweifigkeit wird sich wohl nnr Geiger beklagen, der, so oft er auf mich zu sprechen kommt, in die Farbentöpfe tunkt, die Breite, Nörgelei. Schulmeisteret und andre schöne Dinge dieser Art enthalten. Als Berichterstatter hätte er wenigstens erwähnen sollen, daß wir bisher kein Bild der jugendlichen Dichterin besessen haben, wogegen meiner Darstellung drei un¬ zweifelhaft echte beigegeben find. Auch aus dem, was er über meine sehr viel neues bringenden Erläuterungen von Goethes Maskenzügen sagt, kann kein Mensch die Bedeutung dieser Arbeit ersehen — und keiner soll es! Wenn ich in der Schilderung der Leistungen des Goethe-Jahrbuches so ausführlich gewesen bin, so sollte diese meine Überzeugung begründen, daß in der Leitung dieses bedeutenden Unternehmens Wandel geschafft werden muß. Die Willkür, Sorglosigkeit und Ungenauigkeit in der Mitteilung ungedruckter Briefe muß gewissenhafter Prüfung, ob ein Brief wirklich ungedruckt sei, der genauen Forschung nach der Nichtigkeit oder der Bestimmung des Datums und der Adresse, der kurzen und bestimmten Erklärung aller thatsächlichen Be¬ ziehungen und dem fehlerlosen Abdrucke weichen, und dabei muß die umfassendste Kenntnis zu Gebote stehen, die Geiger eben abgeht. Dieselbe würdige Behandlung sollte den oft fehlerhaft im Jahrbuch abgedruckten Mitteilungen der Zeitgenossen über Goethe zu Teil werden, in deren Auswahl überdies größere Strenge zu empfehlen wäre. Keine Aufsätze sollten Aufnahme finden, die nicht das Ergebnis reifer Prüfung sind, wenn auch der Standpunkt ein verschiedner sein darf. Auch mit nichtigen Miscellen sollten die Leser verschont bleiben. Besondre Sorgfalt ist auf die Bibliographie zu verwenden, wenn diese überhaupt noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/93>, abgerufen am 23.07.2024.