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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Hexameter gelesen," ernstlich auf "Hermann und Dorothea," und wundert sich,
daß dazu das Datum nicht stimmt. Die Ahnung, daß des Philologen Hermann
Schrift Os uietris <ZrÄöczorv.in et Rollmnornin xovtarmri gemeint sei, lag ihm
zu fern; da läßt er lieber unser schönes Epos in Kapitel teilen. Bedeutend
sind W. von Humboldts Briefe aus Rom, höchst liebenswürdig die des jüngern
Bruders und Niebuhrs. Bei letztem staunen wir, daß sie aus demselben Geiste
geflossen sind, der manches so scharfe Urteil über Goethe gefällt. Aber wie tief
ihn die Kunde von Goethes drohendem Ende kurz vor seinem eignen ergriff,
habe ich selbst noch in lebhafter Erinnerung, da er seinen herben Schmerz frisch
vor seinen Zuhörern ergoß.

An diese reiche Stiftung des Goethearchivs schließen sich "Dreizehn Briefe
nebst einem Fragment Goethes." Sie beginnen mit zwei bedeutenden Briefen
Goethes an Höpfner. Sehr eingehend sind die Bemerkungen darüber, in denen
auch ungedruckte Briefe Höpfners an Nicolai mitgeteilt werden. Spaßhaft
nimmt sich dieser Gelehrsamkeit gegenüber die Bemerkung des Erklärers aus:
"Die Rhapsodie von Reinhardt weiß ich nicht nachzuweisen." Daß sie von
Merck ist, war seit fünfzig Jahren kein Geheimnis. Goethes frühe Kenntnis
Spinozas beweist die Äußerung in dem Briefe vom April 1773: "Ihren Spinoza
hat mir Merck gegeben." Hatten wir bisher nur Beispiele, daß Geiger von
andern schon mitgeteilte Briefe für ungedruckt erklärt (eine größere Anzahl
liefern Geigers eigne Berichtigungen vom zweiten bis zum sechsten Bande), so
hat er doch noch stärkeres geleistet. Den anziehenden Brief Goethes an die
Heygendorf (VIII, 128 f.) hat Geiger selbst schon V, 13 f. drucken lassen, aber
es geradezu vergessen! Seine Pflicht als Herausgeber hat Geiger wieder stark
vernachlässigt bei den am Schlüsse gegebenen Versen. Daß sie übersetzt sind,
lehrt zum Überfluß die Schlußbemerkung Goethes selbst: "Alle Übersetzungen
sind tastende Versuche." Es bedürfte keines Scharfsinns, um zu entdecken, daß
sie aus Mauzonis (üoutö all, Lg-rinÄ^mois I, 2 stammen; ja Goethes Übersetzung
des Anfangs dieses Auftritts konnte Geiger in meiner Ausgabe der Gedichte
lesen. Allein so etwas braucht Geiger nicht zu wissen!

Manches für die Zeit des Druckes von Goethes Zeitschriften und andern
Werken bieten die von H. Frommann mitgeteilten Geschäftsbriefe Goethes an den
Buchdrucker Fr. Frommann aus den Jahren 1816 bis 1824. Ans Geigers Wunsch
hatte der Mitteiler auch einen Nekrolog des Adressaten geliefert; die daselbst
gemachten Bemerkungen über die Briefe hätten aber dort gestrichen und zu den
Briefen selbst gesetzt werden müssen. H. Frommann hatte darauf hingewiesen,
daß die bisher gedruckten Briefe nur zwei auf Druckereiangelegenheiten bezüg¬
liche Stellen enthalten. Unbekannt war ihm, und auch Geiger weiß es nicht,
daß auch zwei im Goethe-Jahrbuch erschienene nicht adressirte Briefe gleichfalls
des Druckes wegen an Frommann gerichtet sind (IV, 217, 17 und 388, 23);
von dem letztern hatte Geiger dies selbst nachträglich auf meine Mahnung an-


Hexameter gelesen," ernstlich auf „Hermann und Dorothea," und wundert sich,
daß dazu das Datum nicht stimmt. Die Ahnung, daß des Philologen Hermann
Schrift Os uietris <ZrÄöczorv.in et Rollmnornin xovtarmri gemeint sei, lag ihm
zu fern; da läßt er lieber unser schönes Epos in Kapitel teilen. Bedeutend
sind W. von Humboldts Briefe aus Rom, höchst liebenswürdig die des jüngern
Bruders und Niebuhrs. Bei letztem staunen wir, daß sie aus demselben Geiste
geflossen sind, der manches so scharfe Urteil über Goethe gefällt. Aber wie tief
ihn die Kunde von Goethes drohendem Ende kurz vor seinem eignen ergriff,
habe ich selbst noch in lebhafter Erinnerung, da er seinen herben Schmerz frisch
vor seinen Zuhörern ergoß.

An diese reiche Stiftung des Goethearchivs schließen sich „Dreizehn Briefe
nebst einem Fragment Goethes." Sie beginnen mit zwei bedeutenden Briefen
Goethes an Höpfner. Sehr eingehend sind die Bemerkungen darüber, in denen
auch ungedruckte Briefe Höpfners an Nicolai mitgeteilt werden. Spaßhaft
nimmt sich dieser Gelehrsamkeit gegenüber die Bemerkung des Erklärers aus:
„Die Rhapsodie von Reinhardt weiß ich nicht nachzuweisen." Daß sie von
Merck ist, war seit fünfzig Jahren kein Geheimnis. Goethes frühe Kenntnis
Spinozas beweist die Äußerung in dem Briefe vom April 1773: „Ihren Spinoza
hat mir Merck gegeben." Hatten wir bisher nur Beispiele, daß Geiger von
andern schon mitgeteilte Briefe für ungedruckt erklärt (eine größere Anzahl
liefern Geigers eigne Berichtigungen vom zweiten bis zum sechsten Bande), so
hat er doch noch stärkeres geleistet. Den anziehenden Brief Goethes an die
Heygendorf (VIII, 128 f.) hat Geiger selbst schon V, 13 f. drucken lassen, aber
es geradezu vergessen! Seine Pflicht als Herausgeber hat Geiger wieder stark
vernachlässigt bei den am Schlüsse gegebenen Versen. Daß sie übersetzt sind,
lehrt zum Überfluß die Schlußbemerkung Goethes selbst: „Alle Übersetzungen
sind tastende Versuche." Es bedürfte keines Scharfsinns, um zu entdecken, daß
sie aus Mauzonis (üoutö all, Lg-rinÄ^mois I, 2 stammen; ja Goethes Übersetzung
des Anfangs dieses Auftritts konnte Geiger in meiner Ausgabe der Gedichte
lesen. Allein so etwas braucht Geiger nicht zu wissen!

Manches für die Zeit des Druckes von Goethes Zeitschriften und andern
Werken bieten die von H. Frommann mitgeteilten Geschäftsbriefe Goethes an den
Buchdrucker Fr. Frommann aus den Jahren 1816 bis 1824. Ans Geigers Wunsch
hatte der Mitteiler auch einen Nekrolog des Adressaten geliefert; die daselbst
gemachten Bemerkungen über die Briefe hätten aber dort gestrichen und zu den
Briefen selbst gesetzt werden müssen. H. Frommann hatte darauf hingewiesen,
daß die bisher gedruckten Briefe nur zwei auf Druckereiangelegenheiten bezüg¬
liche Stellen enthalten. Unbekannt war ihm, und auch Geiger weiß es nicht,
daß auch zwei im Goethe-Jahrbuch erschienene nicht adressirte Briefe gleichfalls
des Druckes wegen an Frommann gerichtet sind (IV, 217, 17 und 388, 23);
von dem letztern hatte Geiger dies selbst nachträglich auf meine Mahnung an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/90>, abgerufen am 06.07.2024.