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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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rissen und zuerst in eine wenn auch noch so lockere Vereinigung gebracht.
Zugleich begann die Festsetzung des Christentums, zwei folgenreiche Ereignisse
für den Volkscharakter.

- Ungerechtfertigt wäre es, aus der Unterwerfung nnter die Franken auf
eine Abnahme der frühern Tapferkeit und Waffcnfertigkeit zu schließen. Der
Anschluß an das fränkische Reich konnte nicht als Fremdherrschaft augesehen
werden und war auch so locker, daß er doch immer wieder aufgefrischt werden
mußte. Er beschränkte sich im wesentlichen auf die Anerkennung der Hoheit
und auf kriegerische Hilfsleistung, ohne zunächst die gewohnten Einrichtungen
anzutasten. Da dieses Zusammenrücken auch schon bei der Bildung der Stämme,
der Schwaben und Vaiern und Sachsen stattgefunden und dnrch die Lage des
fränkischen Stammes in der Mitte, wenigstens seit dessen Ausbreitung über das
Mittelrhein- und Maingebiet, ein Beispiel und Vorbild hatte, konnte es auch
nicht als Bruch mit der Vergangenheit betrachtet werden. So treten auch die
Folgen auf die Umstimmung des nationalen Charakters erst nach Jahrhunderten
deutlich hervor.

So auch die Folgen der Einführung des Christentums und der Ver¬
drängung des einheimischen Heidentums. Denn bei der Art seiner Einführung
kann mau nicht eine ticfinnerliche Wirkuug erwarten, wie etwa Luther von
einem neuen Adam sprach, der an die Stelle des natürlichen Menschen treten
soll. Der Einzelne kann aus einem Saulus ein Paulus werden, aber nicht ein
ganzes Volk. Das Christentum als Organisation, als Kirche mit ihren sicht¬
baren Einrichtungen, mit ihren Gottesdiensten in lateinischer Sprache, die, wenn
auch nicht mehr als die der alten Feinde, aber doch bei allem Anspruch auf
Heiligkeit als eine fremde, unverständliche erschien, fand mit mancher andern Habe
der Kultur wie dem Steinhaus und Weinbau Aufnahme. Aber unmöglich war
es, daß ein Volk von Ackerbauern für die Lehre der Kirche, wie sie innerhalb
der städtischen Kultur der Griechen und Römer sich entwickelt hatte, ein Ver¬
ständnis hätte gewinnen solle"; dem stellte sich schon die Ausbildung ihrer
Sprache als unübersteigliches Hindernis entgegen. Dazu kam noch ein andres.
Was die christlichen Priester zu bekämpfen hatten, war zwar nichts weniger
als ein Religionssystem wie das der Ägypter oder Griechen oder Römer -- dazu
mangelte die plastische oder theoretische Ausgestaltung der Götter, der Kultus
und ein Pncsterstand mit eigner Bildung oder Standesbewußtsein --, dennoch
waren die Verkündiger des Christentums weit entfernt, den Göttcrglauben der
Germanen, im wesentlichen eine Mythologie der Naturerscheinungen, verbunden
mit einer Mertragung der irdischen Geschäfte, des Kampfes, des Ackerbaues ?c.
als eine Phantasieschöpfung zu behandeln, die jeder Gegenständlichkeit ermangle.
Indem sie vielmehr die Wirklichkeit der heidnischen Götter nicht antasteten,
nur ihre Macht bestritten, stellten sie sie als böse Dämonen hin im Gegensatz
zu dem wahren Gotte und brachten so einen Zwiespalt in die religiösen An-


rissen und zuerst in eine wenn auch noch so lockere Vereinigung gebracht.
Zugleich begann die Festsetzung des Christentums, zwei folgenreiche Ereignisse
für den Volkscharakter.

- Ungerechtfertigt wäre es, aus der Unterwerfung nnter die Franken auf
eine Abnahme der frühern Tapferkeit und Waffcnfertigkeit zu schließen. Der
Anschluß an das fränkische Reich konnte nicht als Fremdherrschaft augesehen
werden und war auch so locker, daß er doch immer wieder aufgefrischt werden
mußte. Er beschränkte sich im wesentlichen auf die Anerkennung der Hoheit
und auf kriegerische Hilfsleistung, ohne zunächst die gewohnten Einrichtungen
anzutasten. Da dieses Zusammenrücken auch schon bei der Bildung der Stämme,
der Schwaben und Vaiern und Sachsen stattgefunden und dnrch die Lage des
fränkischen Stammes in der Mitte, wenigstens seit dessen Ausbreitung über das
Mittelrhein- und Maingebiet, ein Beispiel und Vorbild hatte, konnte es auch
nicht als Bruch mit der Vergangenheit betrachtet werden. So treten auch die
Folgen auf die Umstimmung des nationalen Charakters erst nach Jahrhunderten
deutlich hervor.

So auch die Folgen der Einführung des Christentums und der Ver¬
drängung des einheimischen Heidentums. Denn bei der Art seiner Einführung
kann mau nicht eine ticfinnerliche Wirkuug erwarten, wie etwa Luther von
einem neuen Adam sprach, der an die Stelle des natürlichen Menschen treten
soll. Der Einzelne kann aus einem Saulus ein Paulus werden, aber nicht ein
ganzes Volk. Das Christentum als Organisation, als Kirche mit ihren sicht¬
baren Einrichtungen, mit ihren Gottesdiensten in lateinischer Sprache, die, wenn
auch nicht mehr als die der alten Feinde, aber doch bei allem Anspruch auf
Heiligkeit als eine fremde, unverständliche erschien, fand mit mancher andern Habe
der Kultur wie dem Steinhaus und Weinbau Aufnahme. Aber unmöglich war
es, daß ein Volk von Ackerbauern für die Lehre der Kirche, wie sie innerhalb
der städtischen Kultur der Griechen und Römer sich entwickelt hatte, ein Ver¬
ständnis hätte gewinnen solle»; dem stellte sich schon die Ausbildung ihrer
Sprache als unübersteigliches Hindernis entgegen. Dazu kam noch ein andres.
Was die christlichen Priester zu bekämpfen hatten, war zwar nichts weniger
als ein Religionssystem wie das der Ägypter oder Griechen oder Römer — dazu
mangelte die plastische oder theoretische Ausgestaltung der Götter, der Kultus
und ein Pncsterstand mit eigner Bildung oder Standesbewußtsein —, dennoch
waren die Verkündiger des Christentums weit entfernt, den Göttcrglauben der
Germanen, im wesentlichen eine Mythologie der Naturerscheinungen, verbunden
mit einer Mertragung der irdischen Geschäfte, des Kampfes, des Ackerbaues ?c.
als eine Phantasieschöpfung zu behandeln, die jeder Gegenständlichkeit ermangle.
Indem sie vielmehr die Wirklichkeit der heidnischen Götter nicht antasteten,
nur ihre Macht bestritten, stellten sie sie als böse Dämonen hin im Gegensatz
zu dem wahren Gotte und brachten so einen Zwiespalt in die religiösen An-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/83>, abgerufen am 23.07.2024.