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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

deutsche Landschaften aus der Schweiz, den bäuerischen Alpen, Norwegen, Italien
und Spanien kurzweg als "romantisch," "theatralisch" und "melodramatisch,"
d. h. naturwidrig ab. Zum Dank dafür haben deutsche Landschaftsmaler die
poesielose, platte Auffassung der Natur angenommen, welche namentlich durch
Daubigny in Frankreich als maßgebend verbreitet worden ist.

Wir wollen nicht sagen, daß diese Auffassung schlechterdings verwerflich
sei. Wenn unsre Maler nicht zugleich die leichtfertige Behandlungsart Dau-
bignys annehmen, wie es z. B. der in Düsseldorf ansässige Norweger Muuthe
thut, so muß es ihnen unbenommen bleiben, auch reizlose Gegenstände darzu¬
stellen, wie Sanddünen, Haideland, mit Steinen und Domengestrüpp besetzte
Felder, oder Herbst- und Frühlingsstimmuugen festzuhalten, welche aller poetischen
Reize bar sind. Wir besitzen eine ganze Reihe von hervorragenden Malern,
die gerade aus solchen Motiven ernste und gediegene Kunstmerke gehoben haben.
Wir nennen nur die Namen Oeder, Ducker, Bracht, Scherres, Lier und Weng-
lein, dessen Jsarlandschaften zur Herbsteszeit auch jetzt wieder einen Glanzpunkt
der Berliner Ausstellung bilden. Auch die Bilder aus der ägyptischen Wüste,
welche Ernst Körner in Berlin ausgestellt hat, die Ausgrabung der Sphinx
und die Ruinen des Tempels der Königin Hcitasu, gehören in diese Klasse, da
nach Abzug der archäologisch und ethnographisch interessanten Züge nur der
vegetationslose Wüstensand, also die Natur in ihrer tiefsten Armut, übrig bleibt.

Aber die Wüste und das von der Sonne ausgedörrte Nilthal zeigen nicht
zu allen Tages- und Jahreszeiten dasselbe Gesicht. Es giebt Zeiten, wo sich
auch die Uferstrecken des Nil mit einer saftig-grünen Vegetation überziehen, wo
die Reflexe des Sonnen- oder Mondlichts zauberische Wirkungen hervorbringen,
unter denen selbst der formlose Sand und das wüste Gestein poetische Reize
gewinnen. Wenn der Maler solche Augenblicke erfaßt, braucht er noch nicht
um Haaresbreite von der Wahrheit abzuweichen, und er bleibt ebenso gut Na¬
turalist, als wenn er die tote Wüste unter den glühenden Strahlen der Mit¬
tagssonne malt. Körner und Gentz haben solche Nillandschaftcn bei Morgen-
und Abendstimmung ausgestellt, die man leicht für poetische Erfindungen halten
könnte, wenn die Wahrheitsliebe der beiden Maler nicht über jeden Zweifel er¬
haben wäre. Das Poetische in der Natur ist, auch wenn es nicht von jeder¬
mann gleich stark empfunden oder überhaupt verstanden wird, unzweifelhaft
etwas objektiv Vorhandenes und nicht von dem Subjekt hineingetragen. Diese
Thatsache stößt die Theorie der Naturalisten um, welche jedes poetische Element
als eine gemachte Zuthat verdammen. Wenn man dann noch die äußersten
Folgen aus ihrer Theorie zieht, müßte man Mondscheinlandschaften, nächtliche
Feuersbrünste, im allgemeinen Nachtstücke aus der Kunst ausschließen, weil man
während der Nacht im Freien nicht malen kann. Das ist durch mehrfache Ver¬
suche bewiesen worden, die entweder gar kein Ergebnis oder doch nur ein sehr
unbefriedigendes gehabt haben. In solchen Fällen ivird immer die Phantasie


Grenzboten III. 1837. 74
Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

deutsche Landschaften aus der Schweiz, den bäuerischen Alpen, Norwegen, Italien
und Spanien kurzweg als „romantisch," „theatralisch" und „melodramatisch,"
d. h. naturwidrig ab. Zum Dank dafür haben deutsche Landschaftsmaler die
poesielose, platte Auffassung der Natur angenommen, welche namentlich durch
Daubigny in Frankreich als maßgebend verbreitet worden ist.

Wir wollen nicht sagen, daß diese Auffassung schlechterdings verwerflich
sei. Wenn unsre Maler nicht zugleich die leichtfertige Behandlungsart Dau-
bignys annehmen, wie es z. B. der in Düsseldorf ansässige Norweger Muuthe
thut, so muß es ihnen unbenommen bleiben, auch reizlose Gegenstände darzu¬
stellen, wie Sanddünen, Haideland, mit Steinen und Domengestrüpp besetzte
Felder, oder Herbst- und Frühlingsstimmuugen festzuhalten, welche aller poetischen
Reize bar sind. Wir besitzen eine ganze Reihe von hervorragenden Malern,
die gerade aus solchen Motiven ernste und gediegene Kunstmerke gehoben haben.
Wir nennen nur die Namen Oeder, Ducker, Bracht, Scherres, Lier und Weng-
lein, dessen Jsarlandschaften zur Herbsteszeit auch jetzt wieder einen Glanzpunkt
der Berliner Ausstellung bilden. Auch die Bilder aus der ägyptischen Wüste,
welche Ernst Körner in Berlin ausgestellt hat, die Ausgrabung der Sphinx
und die Ruinen des Tempels der Königin Hcitasu, gehören in diese Klasse, da
nach Abzug der archäologisch und ethnographisch interessanten Züge nur der
vegetationslose Wüstensand, also die Natur in ihrer tiefsten Armut, übrig bleibt.

Aber die Wüste und das von der Sonne ausgedörrte Nilthal zeigen nicht
zu allen Tages- und Jahreszeiten dasselbe Gesicht. Es giebt Zeiten, wo sich
auch die Uferstrecken des Nil mit einer saftig-grünen Vegetation überziehen, wo
die Reflexe des Sonnen- oder Mondlichts zauberische Wirkungen hervorbringen,
unter denen selbst der formlose Sand und das wüste Gestein poetische Reize
gewinnen. Wenn der Maler solche Augenblicke erfaßt, braucht er noch nicht
um Haaresbreite von der Wahrheit abzuweichen, und er bleibt ebenso gut Na¬
turalist, als wenn er die tote Wüste unter den glühenden Strahlen der Mit¬
tagssonne malt. Körner und Gentz haben solche Nillandschaftcn bei Morgen-
und Abendstimmung ausgestellt, die man leicht für poetische Erfindungen halten
könnte, wenn die Wahrheitsliebe der beiden Maler nicht über jeden Zweifel er¬
haben wäre. Das Poetische in der Natur ist, auch wenn es nicht von jeder¬
mann gleich stark empfunden oder überhaupt verstanden wird, unzweifelhaft
etwas objektiv Vorhandenes und nicht von dem Subjekt hineingetragen. Diese
Thatsache stößt die Theorie der Naturalisten um, welche jedes poetische Element
als eine gemachte Zuthat verdammen. Wenn man dann noch die äußersten
Folgen aus ihrer Theorie zieht, müßte man Mondscheinlandschaften, nächtliche
Feuersbrünste, im allgemeinen Nachtstücke aus der Kunst ausschließen, weil man
während der Nacht im Freien nicht malen kann. Das ist durch mehrfache Ver¬
suche bewiesen worden, die entweder gar kein Ergebnis oder doch nur ein sehr
unbefriedigendes gehabt haben. In solchen Fällen ivird immer die Phantasie


Grenzboten III. 1837. 74
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[0593] Die akademische Kunstausstellung in Berlin. deutsche Landschaften aus der Schweiz, den bäuerischen Alpen, Norwegen, Italien und Spanien kurzweg als „romantisch," „theatralisch" und „melodramatisch," d. h. naturwidrig ab. Zum Dank dafür haben deutsche Landschaftsmaler die poesielose, platte Auffassung der Natur angenommen, welche namentlich durch Daubigny in Frankreich als maßgebend verbreitet worden ist. Wir wollen nicht sagen, daß diese Auffassung schlechterdings verwerflich sei. Wenn unsre Maler nicht zugleich die leichtfertige Behandlungsart Dau- bignys annehmen, wie es z. B. der in Düsseldorf ansässige Norweger Muuthe thut, so muß es ihnen unbenommen bleiben, auch reizlose Gegenstände darzu¬ stellen, wie Sanddünen, Haideland, mit Steinen und Domengestrüpp besetzte Felder, oder Herbst- und Frühlingsstimmuugen festzuhalten, welche aller poetischen Reize bar sind. Wir besitzen eine ganze Reihe von hervorragenden Malern, die gerade aus solchen Motiven ernste und gediegene Kunstmerke gehoben haben. Wir nennen nur die Namen Oeder, Ducker, Bracht, Scherres, Lier und Weng- lein, dessen Jsarlandschaften zur Herbsteszeit auch jetzt wieder einen Glanzpunkt der Berliner Ausstellung bilden. Auch die Bilder aus der ägyptischen Wüste, welche Ernst Körner in Berlin ausgestellt hat, die Ausgrabung der Sphinx und die Ruinen des Tempels der Königin Hcitasu, gehören in diese Klasse, da nach Abzug der archäologisch und ethnographisch interessanten Züge nur der vegetationslose Wüstensand, also die Natur in ihrer tiefsten Armut, übrig bleibt. Aber die Wüste und das von der Sonne ausgedörrte Nilthal zeigen nicht zu allen Tages- und Jahreszeiten dasselbe Gesicht. Es giebt Zeiten, wo sich auch die Uferstrecken des Nil mit einer saftig-grünen Vegetation überziehen, wo die Reflexe des Sonnen- oder Mondlichts zauberische Wirkungen hervorbringen, unter denen selbst der formlose Sand und das wüste Gestein poetische Reize gewinnen. Wenn der Maler solche Augenblicke erfaßt, braucht er noch nicht um Haaresbreite von der Wahrheit abzuweichen, und er bleibt ebenso gut Na¬ turalist, als wenn er die tote Wüste unter den glühenden Strahlen der Mit¬ tagssonne malt. Körner und Gentz haben solche Nillandschaftcn bei Morgen- und Abendstimmung ausgestellt, die man leicht für poetische Erfindungen halten könnte, wenn die Wahrheitsliebe der beiden Maler nicht über jeden Zweifel er¬ haben wäre. Das Poetische in der Natur ist, auch wenn es nicht von jeder¬ mann gleich stark empfunden oder überhaupt verstanden wird, unzweifelhaft etwas objektiv Vorhandenes und nicht von dem Subjekt hineingetragen. Diese Thatsache stößt die Theorie der Naturalisten um, welche jedes poetische Element als eine gemachte Zuthat verdammen. Wenn man dann noch die äußersten Folgen aus ihrer Theorie zieht, müßte man Mondscheinlandschaften, nächtliche Feuersbrünste, im allgemeinen Nachtstücke aus der Kunst ausschließen, weil man während der Nacht im Freien nicht malen kann. Das ist durch mehrfache Ver¬ suche bewiesen worden, die entweder gar kein Ergebnis oder doch nur ein sehr unbefriedigendes gehabt haben. In solchen Fällen ivird immer die Phantasie Grenzboten III. 1837. 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/593>, abgerufen am 23.07.2024.