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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Febr, hat in einer Reihe von Bildnissen, Studienköpsen und Genrebildern gezeigt,
welcher Energie und Schärfe der Darstellung die Pastelltechnik fähig ist, wenn
sie nur von den richtigen Händen geübt wird. Seine Schöpfungen beweisen,
daß die Pastellmalerei keineswegs ihre höchsten Wirkungen erreicht, wenn sie
sich in den Dienst flüchtigen Sinnenreizes stellt. Gelingt es erst, den Schmetter¬
lingsstaub, welchen die Pastellstifte auf Papier oder Leinwand niederlassen,
dauernd festzuhalten, wird auch diese Technik im Organismus der "neuen Kunst"
gute und wichtige Dienste leisten.

"Ihr alle, die ihr vor uns gezeichnet und gemalt habt -- sagen die Ver¬
treter der neuen Kunst --, ihr seid Schönfärber und Gewaltmenschen gewesen,
weil ihr die Natur nach euerm subjektiven Empfinden, nach euerm ererbten
Schönheitsdusel umgestaltet und für gleichgestimmte Käuferseelen mundgerecht
gemacht habt. Wir wollen euch zeigen, daß ihr samt und sonders gelogen
habt, und wie die Romanschriftsteller feierlich erklärt haben, daß es nun genug
ist mit unverstandenen Komtessen und problematischen "Rittern des Geistes"
und daß man das Volk bei der Arbeit aufsuchen müsse, so wollen auch wir
nicht mehr die Natur in ihrem Feierkleide, dem sonnigen Süden, den erhabenen
Regionen des Hochgebirges mit und ohne Alpenglühen zu dem bevorzugten
Gegenstande unsrer Schilderungen machen, sondern anch einmal das Aschen¬
brödel Natur in ihrem Wcrkeltagsgewande zeigen." Dieses Manifest bedeutet
nichts andres als eine Kriegserklärung des Naturalismus gegen die Romantik,
eine Neuerung, die, wie so viele andre, ihren Ursprung nicht in Deutschland,
sondern in Frankreich hat. Seit zwanzig Jahren -- länger beschäftigen sich
die Franzosen noch nicht mit deutscher Kunst -- haben wir in französischen Zeit¬
schriften gelesen, daß die deutsche Landschaftsmalerei jenseits des Rheines nicht
das geringste Verständnis findet. Die Lanoschaftsmalcrei und das Erwachen
des Naturgefüyls, welches sie zur Voraussetzung hat, ist in keinem Kulturlande
so spät gekommen wie in Frankreich. Die Franzosen teilen mit allen roma¬
nischen Völkerschaften den Mangel, daß die Natur in ihren darstellenden Künsten
zu kurz kommt, weil sie ihnen zu nahe auf den Leib gerückt ist, d. h. weil sie
mit der sie umgebenden Natur in viel zu engem Zusammenhange stehen, als
daß sie ihnen malerischer Wiedergabe würdig erschiene, und weil ihnen ander¬
seits diese Natur so viele Reize bietet, daß ihnen ein durch Reisen herbeizu¬
führender Wechsel nicht so zum Bedürfnis wird wie dem Nordländer. Bei den
Franzosen ist die Landschaftsmalerei erst um die Mitte der fünfziger Jahre
durch geniale Meister wie Rousseau, Dupre und Troyon zu einigem Ansehen
gelangt, und da diese, ohne auf die Überlieferung zu achten, sogleich natura¬
listisch auftraten, war die notwendige Folge, daß die französische Landschafts¬
malerei, wenn sie sich überhaupt halten wollte, keine andern Wege einschlagen
durfte. Nach diesem Entwicklungsgange hat sich auch der Urteilskanon der
Kritik und der Geschmack des Publikums gebildet, und erstere thut deshalb alle


Febr, hat in einer Reihe von Bildnissen, Studienköpsen und Genrebildern gezeigt,
welcher Energie und Schärfe der Darstellung die Pastelltechnik fähig ist, wenn
sie nur von den richtigen Händen geübt wird. Seine Schöpfungen beweisen,
daß die Pastellmalerei keineswegs ihre höchsten Wirkungen erreicht, wenn sie
sich in den Dienst flüchtigen Sinnenreizes stellt. Gelingt es erst, den Schmetter¬
lingsstaub, welchen die Pastellstifte auf Papier oder Leinwand niederlassen,
dauernd festzuhalten, wird auch diese Technik im Organismus der „neuen Kunst"
gute und wichtige Dienste leisten.

„Ihr alle, die ihr vor uns gezeichnet und gemalt habt — sagen die Ver¬
treter der neuen Kunst —, ihr seid Schönfärber und Gewaltmenschen gewesen,
weil ihr die Natur nach euerm subjektiven Empfinden, nach euerm ererbten
Schönheitsdusel umgestaltet und für gleichgestimmte Käuferseelen mundgerecht
gemacht habt. Wir wollen euch zeigen, daß ihr samt und sonders gelogen
habt, und wie die Romanschriftsteller feierlich erklärt haben, daß es nun genug
ist mit unverstandenen Komtessen und problematischen «Rittern des Geistes«
und daß man das Volk bei der Arbeit aufsuchen müsse, so wollen auch wir
nicht mehr die Natur in ihrem Feierkleide, dem sonnigen Süden, den erhabenen
Regionen des Hochgebirges mit und ohne Alpenglühen zu dem bevorzugten
Gegenstande unsrer Schilderungen machen, sondern anch einmal das Aschen¬
brödel Natur in ihrem Wcrkeltagsgewande zeigen." Dieses Manifest bedeutet
nichts andres als eine Kriegserklärung des Naturalismus gegen die Romantik,
eine Neuerung, die, wie so viele andre, ihren Ursprung nicht in Deutschland,
sondern in Frankreich hat. Seit zwanzig Jahren — länger beschäftigen sich
die Franzosen noch nicht mit deutscher Kunst — haben wir in französischen Zeit¬
schriften gelesen, daß die deutsche Landschaftsmalerei jenseits des Rheines nicht
das geringste Verständnis findet. Die Lanoschaftsmalcrei und das Erwachen
des Naturgefüyls, welches sie zur Voraussetzung hat, ist in keinem Kulturlande
so spät gekommen wie in Frankreich. Die Franzosen teilen mit allen roma¬
nischen Völkerschaften den Mangel, daß die Natur in ihren darstellenden Künsten
zu kurz kommt, weil sie ihnen zu nahe auf den Leib gerückt ist, d. h. weil sie
mit der sie umgebenden Natur in viel zu engem Zusammenhange stehen, als
daß sie ihnen malerischer Wiedergabe würdig erschiene, und weil ihnen ander¬
seits diese Natur so viele Reize bietet, daß ihnen ein durch Reisen herbeizu¬
führender Wechsel nicht so zum Bedürfnis wird wie dem Nordländer. Bei den
Franzosen ist die Landschaftsmalerei erst um die Mitte der fünfziger Jahre
durch geniale Meister wie Rousseau, Dupre und Troyon zu einigem Ansehen
gelangt, und da diese, ohne auf die Überlieferung zu achten, sogleich natura¬
listisch auftraten, war die notwendige Folge, daß die französische Landschafts¬
malerei, wenn sie sich überhaupt halten wollte, keine andern Wege einschlagen
durfte. Nach diesem Entwicklungsgange hat sich auch der Urteilskanon der
Kritik und der Geschmack des Publikums gebildet, und erstere thut deshalb alle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/592>, abgerufen am 23.07.2024.