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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Weisheit Salomos.

die ich viel zu arm, um meines Dankes Schuld zu zahlen!" So erfahren in
Liebessachen ist indes der weise Salomo auch, um an solchem Kuß kein Genüge
zu finden, aber er hofft, mit der Zeit das Mädchen zu gewinnen. Diese Szene
wird von der Königin Bailis belauscht. Auch sie ist leidenschaftlich erregt in den
Garten gekommen, sich in der Abendkühle zu ergehen. Der Amme Adischa ge¬
steht sie halb widerwillig ihre Liebe zum König. Allein der Anblick des dem
Hirtenmädchen nachgehenden Weisen, die Urteile, die sie von ihm über sich er¬
lauscht, erregen ihre Eifersucht, ihren Neid und Zorn. Sie weckt den Vater
Saphat, teilt ihm die Gefahr mit, in der Sulamith schwebe, und nimmt ihm
das Versprechen ab, die Tochter zu ihr zu schicken; sie werde Sulamith in ihren
Schutz nehmen. So gedenkt sie, die unbequeme Nebenbuhlerin unschädlich zu
machen. Als aber tags darauf die schöne Gärtnerin bei der Königin erscheint,
die nach unruhig verbrachter Nacht in reizbarer Laune auf dem Lager ruht, da
entstehen neue verhängnisvolle Mißverständnisse. Die Gnade der Königin ist
der verliebten Sulamith sehr unwillkommen; sie will nicht in die Fremde, sie
will daheim bei ihrem Volke bleiben. Nein, ruft die Königin;


Gesteh's!
Du hingst dein Herz an einen Einzigen;
Von ihm zu scheiden, dünkte bittrer dir
Als Tod.

Von diesem Scharfblick ist die naive Sulamith ganz verblüfft, und da sie wegen
ihres verbotenen Verkehrs mit Hadad auch ein schlechtes Gewissen hat, bittet sie die
Königin, sie nicht zu verraten. Aber sie nennt Hcidads Namen nicht, die schwärme¬
rische Ausdrucksweise der Verliebten deutet Bailis wieder auf den König als
Liebhaber, und da eben Salomos Besuch angekündigt wird, so muß Ben Jsbah
vorläufig Sulamith im Schlosse selbst verwahren, damit sie nie mehr Gelegenheit
finde, den König zu sehen.

Mühsam beruhigt empfängt Bailis den König. Er ist zerstreut und un¬
empfänglich; ihre ziemlich unverblümte Liebeserklärung will er nicht verstehen
und deutet sie trocken auf ein politisches Bündnis der Völker. Dieses zu schließen,
will er mit ihr in den Tempel gehen. Zuvor entfernt sich Bailis für eine kleine
Weile, um ihren großen Schmuck anzulegen. In dieser Zwischenzeit erkundigt
sich Salomo bei seinem Diener angelegentlich nach Sulamith. Sie ist ent¬
schwunden, sagt man ihm. Dies Verschwinden beschäftigt ihn nun derart, daß
er seine Pflicht, die Königin zu erwarten, vergißt und in Gedanken verloren sich
selbst auf den Weg macht, Sulamith zu suchen. Im größten Staat erscheint
hierauf die Königin von Saba, von der freudigen Hoffnung erfüllt, den leiden¬
schaftlich geliebten Mann zu erobern: da findet sie das Gemach leer. Diese
Beleidigung verletzt ihren Stolz aufs tiefste, und nun will sie sich an dem un¬
höflichen Könige rächen:


Grenzboten III. 1387. 60
Die Weisheit Salomos.

die ich viel zu arm, um meines Dankes Schuld zu zahlen!" So erfahren in
Liebessachen ist indes der weise Salomo auch, um an solchem Kuß kein Genüge
zu finden, aber er hofft, mit der Zeit das Mädchen zu gewinnen. Diese Szene
wird von der Königin Bailis belauscht. Auch sie ist leidenschaftlich erregt in den
Garten gekommen, sich in der Abendkühle zu ergehen. Der Amme Adischa ge¬
steht sie halb widerwillig ihre Liebe zum König. Allein der Anblick des dem
Hirtenmädchen nachgehenden Weisen, die Urteile, die sie von ihm über sich er¬
lauscht, erregen ihre Eifersucht, ihren Neid und Zorn. Sie weckt den Vater
Saphat, teilt ihm die Gefahr mit, in der Sulamith schwebe, und nimmt ihm
das Versprechen ab, die Tochter zu ihr zu schicken; sie werde Sulamith in ihren
Schutz nehmen. So gedenkt sie, die unbequeme Nebenbuhlerin unschädlich zu
machen. Als aber tags darauf die schöne Gärtnerin bei der Königin erscheint,
die nach unruhig verbrachter Nacht in reizbarer Laune auf dem Lager ruht, da
entstehen neue verhängnisvolle Mißverständnisse. Die Gnade der Königin ist
der verliebten Sulamith sehr unwillkommen; sie will nicht in die Fremde, sie
will daheim bei ihrem Volke bleiben. Nein, ruft die Königin;


Gesteh's!
Du hingst dein Herz an einen Einzigen;
Von ihm zu scheiden, dünkte bittrer dir
Als Tod.

Von diesem Scharfblick ist die naive Sulamith ganz verblüfft, und da sie wegen
ihres verbotenen Verkehrs mit Hadad auch ein schlechtes Gewissen hat, bittet sie die
Königin, sie nicht zu verraten. Aber sie nennt Hcidads Namen nicht, die schwärme¬
rische Ausdrucksweise der Verliebten deutet Bailis wieder auf den König als
Liebhaber, und da eben Salomos Besuch angekündigt wird, so muß Ben Jsbah
vorläufig Sulamith im Schlosse selbst verwahren, damit sie nie mehr Gelegenheit
finde, den König zu sehen.

Mühsam beruhigt empfängt Bailis den König. Er ist zerstreut und un¬
empfänglich; ihre ziemlich unverblümte Liebeserklärung will er nicht verstehen
und deutet sie trocken auf ein politisches Bündnis der Völker. Dieses zu schließen,
will er mit ihr in den Tempel gehen. Zuvor entfernt sich Bailis für eine kleine
Weile, um ihren großen Schmuck anzulegen. In dieser Zwischenzeit erkundigt
sich Salomo bei seinem Diener angelegentlich nach Sulamith. Sie ist ent¬
schwunden, sagt man ihm. Dies Verschwinden beschäftigt ihn nun derart, daß
er seine Pflicht, die Königin zu erwarten, vergißt und in Gedanken verloren sich
selbst auf den Weg macht, Sulamith zu suchen. Im größten Staat erscheint
hierauf die Königin von Saba, von der freudigen Hoffnung erfüllt, den leiden¬
schaftlich geliebten Mann zu erobern: da findet sie das Gemach leer. Diese
Beleidigung verletzt ihren Stolz aufs tiefste, und nun will sie sich an dem un¬
höflichen Könige rächen:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/481>, abgerufen am 23.07.2024.