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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers.

dem es möglich war, einen Gegenstand in Ruhe und objektiv zu besprechen;
das war Herr v. Arneth, ein feiner, liebenswürdiger Mann aus Wien. Dabei
litt die Versammlung sogar an übergroßer Gelehrsamkeit. Es war beschlossen
worden, vor der Verfassung zunächst die Grundrechte des deutschen Volkes zu
beraten, welche das Fundament der Verfassung werden sollten. Wenn nun ein
deutscher Professor irgend einen nichtssagenden Gemeinplatz (wie z. B. "die
Wissenschaft ist frei") als sein Thema verarbeiten konnte, dann fühlte er sich
so recht behaglich und heimisch und konnte stundenlange, einschläfernde Reden
halten, die unsre Geduld auf eine harte Probe stellten, uns aber gleichzeitig
überzeugten, daß auf diesem rein theoretisirender Wege das eigentliche Ziel
niemals erreicht werden würde. Diese Überzeugung drückte denn wie ein Alp
auf uns; mir wurde immer klarer, daß bei den sich so vielfach widersprechenden
Interessen der einzelnen deutsche" Staaten eine so bunte, teils doktrinäre, teils
unerfahrene Versammlung eine Verfassung für das gesamte Deutschland niemals
zu stände bringen würde und daß sich ein solches Ziel wohl nur auf dem
Schlachtfelde würde erreichet? lassen. Zwischeuein wurden dann gelegentlich unsre
Schlafanwandlungen verscheucht, wenn Robert Blum, Schlüssel, Franz Raveau,
Simon von Trier und Genossen ihre staatsmünnische Weisheit zum besten
gaben, und man die Ziele erkannte, auf welche diese Herren eigentlich lossteuerte".
Sie erklärten ganz offen, daß es durchaus notwendig sei, alle Monarchien zu
beseitigen; ganz Europa müsse eine einzige große Republik werden, Adel und
Orden seien abzuschaffen; selbst die Familiennamen seien überflüssig, ja öfters
schädlich, weil z. B. eine Familie, die wiederholt hervorragende Männer ge¬
liefert habe, sich leicht einbilden könnte, sie wäre etwas besseres als eine andre;
statt der Familiennamen würden europäische Nummern genügen. Man erkannte
zwar an, daß die Verwirklichung dieses Ideales auf Schwierigkeiten stoßen
würde. So würde Rußland, dieser unheilvolle Koloß, gewiß den meisten Wider¬
stand leisten; aber man dürfe nicht müde werden, dort eine Umsturzpartei zu
gründen und in Thätigkeit zu setzen, und wenn es derselben erst gelänge, den
Kaiser und das ganze Fürstenhaus zu beseitigen (man sagte: zu zermalmen),
so würde man mit dem Volke schon fertig werden und der Zarenthron würde
fallen. Die spätern Ereignisse haben mich belehrt, daß man in der That nicht
müde geworden ist, an diesem Plane weiter zu arbeiten.

Es ist wohl natürlich, daß man sich nach dem Genusse so vieler und teil¬
weise so abenteuerlicher Reden nach einer Auffrischung unter Gottes freiem
Himmel sehnte. Als daher die Pfingstfeiertage nahten und mit ihnen eine
Unterbrechung unsrer Verhandlungen eintrat, machte ich mit den? Landrat Grafen
Goltz ans Chvdzicsen. dem Landrat Brescius aus Züllichau und dem Ober¬
förster von Massow aus Schlesien (später Oberforstmeister in Potsdam) einen
Ausflug nach der Schweiz. Eine Beschreibung dieser Reise unterlasse ich, will
aber eines Zwischenfallcs Erwähnung thun. Wir fuhren in einem Fischerboote


Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers.

dem es möglich war, einen Gegenstand in Ruhe und objektiv zu besprechen;
das war Herr v. Arneth, ein feiner, liebenswürdiger Mann aus Wien. Dabei
litt die Versammlung sogar an übergroßer Gelehrsamkeit. Es war beschlossen
worden, vor der Verfassung zunächst die Grundrechte des deutschen Volkes zu
beraten, welche das Fundament der Verfassung werden sollten. Wenn nun ein
deutscher Professor irgend einen nichtssagenden Gemeinplatz (wie z. B. „die
Wissenschaft ist frei") als sein Thema verarbeiten konnte, dann fühlte er sich
so recht behaglich und heimisch und konnte stundenlange, einschläfernde Reden
halten, die unsre Geduld auf eine harte Probe stellten, uns aber gleichzeitig
überzeugten, daß auf diesem rein theoretisirender Wege das eigentliche Ziel
niemals erreicht werden würde. Diese Überzeugung drückte denn wie ein Alp
auf uns; mir wurde immer klarer, daß bei den sich so vielfach widersprechenden
Interessen der einzelnen deutsche» Staaten eine so bunte, teils doktrinäre, teils
unerfahrene Versammlung eine Verfassung für das gesamte Deutschland niemals
zu stände bringen würde und daß sich ein solches Ziel wohl nur auf dem
Schlachtfelde würde erreichet? lassen. Zwischeuein wurden dann gelegentlich unsre
Schlafanwandlungen verscheucht, wenn Robert Blum, Schlüssel, Franz Raveau,
Simon von Trier und Genossen ihre staatsmünnische Weisheit zum besten
gaben, und man die Ziele erkannte, auf welche diese Herren eigentlich lossteuerte».
Sie erklärten ganz offen, daß es durchaus notwendig sei, alle Monarchien zu
beseitigen; ganz Europa müsse eine einzige große Republik werden, Adel und
Orden seien abzuschaffen; selbst die Familiennamen seien überflüssig, ja öfters
schädlich, weil z. B. eine Familie, die wiederholt hervorragende Männer ge¬
liefert habe, sich leicht einbilden könnte, sie wäre etwas besseres als eine andre;
statt der Familiennamen würden europäische Nummern genügen. Man erkannte
zwar an, daß die Verwirklichung dieses Ideales auf Schwierigkeiten stoßen
würde. So würde Rußland, dieser unheilvolle Koloß, gewiß den meisten Wider¬
stand leisten; aber man dürfe nicht müde werden, dort eine Umsturzpartei zu
gründen und in Thätigkeit zu setzen, und wenn es derselben erst gelänge, den
Kaiser und das ganze Fürstenhaus zu beseitigen (man sagte: zu zermalmen),
so würde man mit dem Volke schon fertig werden und der Zarenthron würde
fallen. Die spätern Ereignisse haben mich belehrt, daß man in der That nicht
müde geworden ist, an diesem Plane weiter zu arbeiten.

Es ist wohl natürlich, daß man sich nach dem Genusse so vieler und teil¬
weise so abenteuerlicher Reden nach einer Auffrischung unter Gottes freiem
Himmel sehnte. Als daher die Pfingstfeiertage nahten und mit ihnen eine
Unterbrechung unsrer Verhandlungen eintrat, machte ich mit den? Landrat Grafen
Goltz ans Chvdzicsen. dem Landrat Brescius aus Züllichau und dem Ober¬
förster von Massow aus Schlesien (später Oberforstmeister in Potsdam) einen
Ausflug nach der Schweiz. Eine Beschreibung dieser Reise unterlasse ich, will
aber eines Zwischenfallcs Erwähnung thun. Wir fuhren in einem Fischerboote


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[0444] Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers. dem es möglich war, einen Gegenstand in Ruhe und objektiv zu besprechen; das war Herr v. Arneth, ein feiner, liebenswürdiger Mann aus Wien. Dabei litt die Versammlung sogar an übergroßer Gelehrsamkeit. Es war beschlossen worden, vor der Verfassung zunächst die Grundrechte des deutschen Volkes zu beraten, welche das Fundament der Verfassung werden sollten. Wenn nun ein deutscher Professor irgend einen nichtssagenden Gemeinplatz (wie z. B. „die Wissenschaft ist frei") als sein Thema verarbeiten konnte, dann fühlte er sich so recht behaglich und heimisch und konnte stundenlange, einschläfernde Reden halten, die unsre Geduld auf eine harte Probe stellten, uns aber gleichzeitig überzeugten, daß auf diesem rein theoretisirender Wege das eigentliche Ziel niemals erreicht werden würde. Diese Überzeugung drückte denn wie ein Alp auf uns; mir wurde immer klarer, daß bei den sich so vielfach widersprechenden Interessen der einzelnen deutsche» Staaten eine so bunte, teils doktrinäre, teils unerfahrene Versammlung eine Verfassung für das gesamte Deutschland niemals zu stände bringen würde und daß sich ein solches Ziel wohl nur auf dem Schlachtfelde würde erreichet? lassen. Zwischeuein wurden dann gelegentlich unsre Schlafanwandlungen verscheucht, wenn Robert Blum, Schlüssel, Franz Raveau, Simon von Trier und Genossen ihre staatsmünnische Weisheit zum besten gaben, und man die Ziele erkannte, auf welche diese Herren eigentlich lossteuerte». Sie erklärten ganz offen, daß es durchaus notwendig sei, alle Monarchien zu beseitigen; ganz Europa müsse eine einzige große Republik werden, Adel und Orden seien abzuschaffen; selbst die Familiennamen seien überflüssig, ja öfters schädlich, weil z. B. eine Familie, die wiederholt hervorragende Männer ge¬ liefert habe, sich leicht einbilden könnte, sie wäre etwas besseres als eine andre; statt der Familiennamen würden europäische Nummern genügen. Man erkannte zwar an, daß die Verwirklichung dieses Ideales auf Schwierigkeiten stoßen würde. So würde Rußland, dieser unheilvolle Koloß, gewiß den meisten Wider¬ stand leisten; aber man dürfe nicht müde werden, dort eine Umsturzpartei zu gründen und in Thätigkeit zu setzen, und wenn es derselben erst gelänge, den Kaiser und das ganze Fürstenhaus zu beseitigen (man sagte: zu zermalmen), so würde man mit dem Volke schon fertig werden und der Zarenthron würde fallen. Die spätern Ereignisse haben mich belehrt, daß man in der That nicht müde geworden ist, an diesem Plane weiter zu arbeiten. Es ist wohl natürlich, daß man sich nach dem Genusse so vieler und teil¬ weise so abenteuerlicher Reden nach einer Auffrischung unter Gottes freiem Himmel sehnte. Als daher die Pfingstfeiertage nahten und mit ihnen eine Unterbrechung unsrer Verhandlungen eintrat, machte ich mit den? Landrat Grafen Goltz ans Chvdzicsen. dem Landrat Brescius aus Züllichau und dem Ober¬ förster von Massow aus Schlesien (später Oberforstmeister in Potsdam) einen Ausflug nach der Schweiz. Eine Beschreibung dieser Reise unterlasse ich, will aber eines Zwischenfallcs Erwähnung thun. Wir fuhren in einem Fischerboote

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/444>, abgerufen am 23.07.2024.