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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers.

rechtsweg -- Platz nahm. Ein Antrag, unsre Thätigkeit mit Gebet zu be¬
ginnen, wurde in wahrhaft höhnischer Weise verworfen, und nun ging es an
endlose Debatten über die leersten und nichtsnutzigsten Formalitäten; erst die
Nacht machte den Redeübungen ein Ende.

Am folgenden Vormittage begannen die Verhandlungen. Erst mußte aber
ein Präsident gewählt werden. Die Wahl fiel auf den darmstädtischen Minister
Heinrich von Gagern; erster Vizepräsident wurde obengenannter Herr Soiron.
Gagern, ein großer, schöner, echt deutscher Mann, etwa fünfzig Jahre alt, ver¬
stand gut und würdevoll zu reprcisentiren, er besaß entschiednes Präsidialtalent,
imponirte der Versammlung und dem Publikum, und seine Wahl mußte nach
allen Seiten hin als eine glückliche angesehen werden; denn, wenngleich er in
meinen Angen ein unpraktischer Schwärmer war, so muß ich doch zu seiner
Ehre bekennen, daß er alle Ungehörigkeiten, die von seinen Gesimmngsgcuosfen
ausgingen, mit vollster Unparteilichkeit und guter Energie zurückwies.

Überhaupt läßt sich nicht leugnen, daß in der Paulskirche recht bedeutende,
vielleicht die bedeutendsten Männer des damaligen Deutschlands saßen. Ich er¬
innere an Radowitz, Vincke, Schwerin, E. M. Arndt, Uhland, Graf Arnim; selbst
Robert Blum, Franz Naveau u. a. muß ich trotz ihrer extremen Richtung als
bedeutend anerkennen.

Nachdem wir uns während der nächsten Tage flüchtig mit einander bekannt
gemacht hatten, fingen wir an, uns in Fraktionen zu sondern. Radowitz gründete
eine äußerste Rechte, welcher ich mich anschloß. Die Versammlungen fanden
zuerst in dem sogenannten "steinernen Hause" statt. Radowitz war streng
katholisch; er hatte sich zunächst mit einigen katholischen Geistlichen umgeben.
Außerdem waren vorzugsweise Preußen in dieser Fraktion; ich nenne v. Treskow-
Grochvlin, welcher bis zum letzten Augenblicke am treuesten zur preußischen
Fahne hielt, v. Schlotheim, zuletzt Präsident in Potsdam, Schultz, damals
Oberregierungsrat in Potsdam, Tanun, damals Gerichtsdirektor in Zielenzig,
v. Boddien, damals Rittmeister, Deetz, Hauptmann; später traten auch Schwerin,
Vincke, Flottwell für einige Zeit zu uns über. Von Ausländern erinnere ich
mich außer an einige katholische Geistliche nur noch an Detmold und v. Vothmer
ans Hannover, Rothenhan aus Baiern, Arneth aus Wien.

Der Aufenthalt in Frankfurt war in der ersten Zeit recht ungemütlich.
Wenn sich das Leben auch für einige Stunden des Tages durch die Fraktions¬
bildung etwas gebessert hatte, so blieb unsre Stellung in der Paulskirche doch
immer eine trostlose. Nicht nnr daß unsre Partei in allen wichtigen Fragen
ohne Ausnahme überstimmt wurde, auch der Preußenhaß, der sich bei den Ab¬
geordneten aus deu süddeutschen Staaten kundgab, und das Mißtrauen der
Österreicher verstimmten uns und bereiteten uns mancherlei Widerwärtigkeiten.
Dadurch wurde unsre Stellung mit jedem Tage schwieriger. Ich habe uuter
allen Österreichern damals nur einen einzigen Abgeordneten kennen gelernt, mit


Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers.

rechtsweg — Platz nahm. Ein Antrag, unsre Thätigkeit mit Gebet zu be¬
ginnen, wurde in wahrhaft höhnischer Weise verworfen, und nun ging es an
endlose Debatten über die leersten und nichtsnutzigsten Formalitäten; erst die
Nacht machte den Redeübungen ein Ende.

Am folgenden Vormittage begannen die Verhandlungen. Erst mußte aber
ein Präsident gewählt werden. Die Wahl fiel auf den darmstädtischen Minister
Heinrich von Gagern; erster Vizepräsident wurde obengenannter Herr Soiron.
Gagern, ein großer, schöner, echt deutscher Mann, etwa fünfzig Jahre alt, ver¬
stand gut und würdevoll zu reprcisentiren, er besaß entschiednes Präsidialtalent,
imponirte der Versammlung und dem Publikum, und seine Wahl mußte nach
allen Seiten hin als eine glückliche angesehen werden; denn, wenngleich er in
meinen Angen ein unpraktischer Schwärmer war, so muß ich doch zu seiner
Ehre bekennen, daß er alle Ungehörigkeiten, die von seinen Gesimmngsgcuosfen
ausgingen, mit vollster Unparteilichkeit und guter Energie zurückwies.

Überhaupt läßt sich nicht leugnen, daß in der Paulskirche recht bedeutende,
vielleicht die bedeutendsten Männer des damaligen Deutschlands saßen. Ich er¬
innere an Radowitz, Vincke, Schwerin, E. M. Arndt, Uhland, Graf Arnim; selbst
Robert Blum, Franz Naveau u. a. muß ich trotz ihrer extremen Richtung als
bedeutend anerkennen.

Nachdem wir uns während der nächsten Tage flüchtig mit einander bekannt
gemacht hatten, fingen wir an, uns in Fraktionen zu sondern. Radowitz gründete
eine äußerste Rechte, welcher ich mich anschloß. Die Versammlungen fanden
zuerst in dem sogenannten „steinernen Hause" statt. Radowitz war streng
katholisch; er hatte sich zunächst mit einigen katholischen Geistlichen umgeben.
Außerdem waren vorzugsweise Preußen in dieser Fraktion; ich nenne v. Treskow-
Grochvlin, welcher bis zum letzten Augenblicke am treuesten zur preußischen
Fahne hielt, v. Schlotheim, zuletzt Präsident in Potsdam, Schultz, damals
Oberregierungsrat in Potsdam, Tanun, damals Gerichtsdirektor in Zielenzig,
v. Boddien, damals Rittmeister, Deetz, Hauptmann; später traten auch Schwerin,
Vincke, Flottwell für einige Zeit zu uns über. Von Ausländern erinnere ich
mich außer an einige katholische Geistliche nur noch an Detmold und v. Vothmer
ans Hannover, Rothenhan aus Baiern, Arneth aus Wien.

Der Aufenthalt in Frankfurt war in der ersten Zeit recht ungemütlich.
Wenn sich das Leben auch für einige Stunden des Tages durch die Fraktions¬
bildung etwas gebessert hatte, so blieb unsre Stellung in der Paulskirche doch
immer eine trostlose. Nicht nnr daß unsre Partei in allen wichtigen Fragen
ohne Ausnahme überstimmt wurde, auch der Preußenhaß, der sich bei den Ab¬
geordneten aus deu süddeutschen Staaten kundgab, und das Mißtrauen der
Österreicher verstimmten uns und bereiteten uns mancherlei Widerwärtigkeiten.
Dadurch wurde unsre Stellung mit jedem Tage schwieriger. Ich habe uuter
allen Österreichern damals nur einen einzigen Abgeordneten kennen gelernt, mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/443>, abgerufen am 23.07.2024.