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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Bedeutung des Religionsunterrichts in den obere?: Alassen des Gymnasiums.

zieht, ihn vom Drucke und der Dienstbarkeit dunkler Leidenschaft befreit und
den Menschen sich selber giebt, es ist das nur die eine Seite der Erziehung
und Bildung zu höchster Kultur, und falsch ist es, wie es so oft geschieht, sie
in dieser Einseitigkeit fest zu halten.

Denn alles, was den Menschen befreit, ohne ihn zugleich an eine höhere
Welt zu knüpfen und damit zugleich weltfrei, d. h. erst wahrhaft frei zu machen,
mit andern Worten, alles, was den Menschen nicht zugleich heiligt, kann ihm
verderblich werden und wird es oft. Von diesem Gesichtspunkte aus aufgefaßt
und ouro. MMo 8g,1is verstanden, ist das Paradoxon des alten Kirchenvaters
Augustinus richtig, daß die Tugenden der Heiden glänzende Laster sind, und
die alte Kulturwelt mußte in ihrem eignen Ruin zusammenstürzen, weil diese
Kultur nur eine menschliche war, ohne die befruchtenden Kräfte einer höheren
Welt. Das wolle man ja nicht vergessen. Diese rein menschliche Kultur der
Alten hatte in sich selbst keinen festen Stützpunkt und hatte auch in ihren
edelsten Geistern, in Sophokles wie in Plato, in Seneca wie in Taeitus, das
Gefühl davon. Je mehr sie fortschritt, desto mehr zehrte sie sich auf in Sehn¬
sucht und Verlangen nach einem solchen Stützpunkte, im Verlangen nach einer
andern Welt. Dieser Prozeß geht von Plato an und endigt mit Plotin. Zu¬
letzt verzweifelt der Geist an sich selbst, findet nur in dem Heraustreten aus sich,
in der Ekstase, die Wahrheit und sucht damit sein andres, die Befruchtung von
einer andern Welt.

Und diese befruchtenden Kräfte einer andern Welt, diese Geburt aus dem
neuen Geiste, die Geburt vou oben, ist gekommen und kommt fort und fort
mit der Verkündigung des Gottesreiches. Darum ist uns der Träger dieses
Reiches der Ewiggesegnete und Ewigsegnende. "Ist jemand in Christo, sagt
der Apostel, so ist er eine neue Kreatur"; und das Jvhannesevangelium giebt
der Bedeutung dieser in der Geschichte einzigartigen Persönlichkeit Christi ihren
wahren Ausdruck, wenn es ihn das Wort sagen läßt: "Ich bin der Weg, die
Wahrheit und das Leben." Er ist es, und er bleibt es. Denn wir alle, die
in seine Gemeinschaft getreten sind, wir haben keinen beliebigen Weg durch diese
Welt, wenn wir nicht verderben wollen, mögen wir es zugestehen oder nicht,
sondern nur den einen Weg nach oben, d. h. den engen Weg, den opferreichen,
den ardens- und dornenvollen, den Kreuzes- und Leidensweg, und doch den
einzig schon hier beglückenden und beseligenden. Auf ihm hat Christus selbst,
man mag seine Persönlichkeit nehmen, wie man will, er hat auf ihm die Welt
überwunden, auf dem Wege des Opfers, nicht auf dem der Selbstsucht, d. h.
der Leidenschaft und Gier, der Sucht nach Herrschaft und Lust. Nach diesem
Wege schaut der Sozialismus aus, der wohl auch schon sich hie und da in
Parallele mit der ersten Christenheit gestellt hat und eine neue Ordnung der
Gesellschaft bringen zu können vermeint, wie jene sie einst brachte. Er ist
dazu aber nicht imstande, weil er das Opfer, das Gebet und die Arbeit miß-


Grenzboten III. 1L37. S2
Die Bedeutung des Religionsunterrichts in den obere?: Alassen des Gymnasiums.

zieht, ihn vom Drucke und der Dienstbarkeit dunkler Leidenschaft befreit und
den Menschen sich selber giebt, es ist das nur die eine Seite der Erziehung
und Bildung zu höchster Kultur, und falsch ist es, wie es so oft geschieht, sie
in dieser Einseitigkeit fest zu halten.

Denn alles, was den Menschen befreit, ohne ihn zugleich an eine höhere
Welt zu knüpfen und damit zugleich weltfrei, d. h. erst wahrhaft frei zu machen,
mit andern Worten, alles, was den Menschen nicht zugleich heiligt, kann ihm
verderblich werden und wird es oft. Von diesem Gesichtspunkte aus aufgefaßt
und ouro. MMo 8g,1is verstanden, ist das Paradoxon des alten Kirchenvaters
Augustinus richtig, daß die Tugenden der Heiden glänzende Laster sind, und
die alte Kulturwelt mußte in ihrem eignen Ruin zusammenstürzen, weil diese
Kultur nur eine menschliche war, ohne die befruchtenden Kräfte einer höheren
Welt. Das wolle man ja nicht vergessen. Diese rein menschliche Kultur der
Alten hatte in sich selbst keinen festen Stützpunkt und hatte auch in ihren
edelsten Geistern, in Sophokles wie in Plato, in Seneca wie in Taeitus, das
Gefühl davon. Je mehr sie fortschritt, desto mehr zehrte sie sich auf in Sehn¬
sucht und Verlangen nach einem solchen Stützpunkte, im Verlangen nach einer
andern Welt. Dieser Prozeß geht von Plato an und endigt mit Plotin. Zu¬
letzt verzweifelt der Geist an sich selbst, findet nur in dem Heraustreten aus sich,
in der Ekstase, die Wahrheit und sucht damit sein andres, die Befruchtung von
einer andern Welt.

Und diese befruchtenden Kräfte einer andern Welt, diese Geburt aus dem
neuen Geiste, die Geburt vou oben, ist gekommen und kommt fort und fort
mit der Verkündigung des Gottesreiches. Darum ist uns der Träger dieses
Reiches der Ewiggesegnete und Ewigsegnende. „Ist jemand in Christo, sagt
der Apostel, so ist er eine neue Kreatur"; und das Jvhannesevangelium giebt
der Bedeutung dieser in der Geschichte einzigartigen Persönlichkeit Christi ihren
wahren Ausdruck, wenn es ihn das Wort sagen läßt: „Ich bin der Weg, die
Wahrheit und das Leben." Er ist es, und er bleibt es. Denn wir alle, die
in seine Gemeinschaft getreten sind, wir haben keinen beliebigen Weg durch diese
Welt, wenn wir nicht verderben wollen, mögen wir es zugestehen oder nicht,
sondern nur den einen Weg nach oben, d. h. den engen Weg, den opferreichen,
den ardens- und dornenvollen, den Kreuzes- und Leidensweg, und doch den
einzig schon hier beglückenden und beseligenden. Auf ihm hat Christus selbst,
man mag seine Persönlichkeit nehmen, wie man will, er hat auf ihm die Welt
überwunden, auf dem Wege des Opfers, nicht auf dem der Selbstsucht, d. h.
der Leidenschaft und Gier, der Sucht nach Herrschaft und Lust. Nach diesem
Wege schaut der Sozialismus aus, der wohl auch schon sich hie und da in
Parallele mit der ersten Christenheit gestellt hat und eine neue Ordnung der
Gesellschaft bringen zu können vermeint, wie jene sie einst brachte. Er ist
dazu aber nicht imstande, weil er das Opfer, das Gebet und die Arbeit miß-


Grenzboten III. 1L37. S2
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[0417] Die Bedeutung des Religionsunterrichts in den obere?: Alassen des Gymnasiums. zieht, ihn vom Drucke und der Dienstbarkeit dunkler Leidenschaft befreit und den Menschen sich selber giebt, es ist das nur die eine Seite der Erziehung und Bildung zu höchster Kultur, und falsch ist es, wie es so oft geschieht, sie in dieser Einseitigkeit fest zu halten. Denn alles, was den Menschen befreit, ohne ihn zugleich an eine höhere Welt zu knüpfen und damit zugleich weltfrei, d. h. erst wahrhaft frei zu machen, mit andern Worten, alles, was den Menschen nicht zugleich heiligt, kann ihm verderblich werden und wird es oft. Von diesem Gesichtspunkte aus aufgefaßt und ouro. MMo 8g,1is verstanden, ist das Paradoxon des alten Kirchenvaters Augustinus richtig, daß die Tugenden der Heiden glänzende Laster sind, und die alte Kulturwelt mußte in ihrem eignen Ruin zusammenstürzen, weil diese Kultur nur eine menschliche war, ohne die befruchtenden Kräfte einer höheren Welt. Das wolle man ja nicht vergessen. Diese rein menschliche Kultur der Alten hatte in sich selbst keinen festen Stützpunkt und hatte auch in ihren edelsten Geistern, in Sophokles wie in Plato, in Seneca wie in Taeitus, das Gefühl davon. Je mehr sie fortschritt, desto mehr zehrte sie sich auf in Sehn¬ sucht und Verlangen nach einem solchen Stützpunkte, im Verlangen nach einer andern Welt. Dieser Prozeß geht von Plato an und endigt mit Plotin. Zu¬ letzt verzweifelt der Geist an sich selbst, findet nur in dem Heraustreten aus sich, in der Ekstase, die Wahrheit und sucht damit sein andres, die Befruchtung von einer andern Welt. Und diese befruchtenden Kräfte einer andern Welt, diese Geburt aus dem neuen Geiste, die Geburt vou oben, ist gekommen und kommt fort und fort mit der Verkündigung des Gottesreiches. Darum ist uns der Träger dieses Reiches der Ewiggesegnete und Ewigsegnende. „Ist jemand in Christo, sagt der Apostel, so ist er eine neue Kreatur"; und das Jvhannesevangelium giebt der Bedeutung dieser in der Geschichte einzigartigen Persönlichkeit Christi ihren wahren Ausdruck, wenn es ihn das Wort sagen läßt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben." Er ist es, und er bleibt es. Denn wir alle, die in seine Gemeinschaft getreten sind, wir haben keinen beliebigen Weg durch diese Welt, wenn wir nicht verderben wollen, mögen wir es zugestehen oder nicht, sondern nur den einen Weg nach oben, d. h. den engen Weg, den opferreichen, den ardens- und dornenvollen, den Kreuzes- und Leidensweg, und doch den einzig schon hier beglückenden und beseligenden. Auf ihm hat Christus selbst, man mag seine Persönlichkeit nehmen, wie man will, er hat auf ihm die Welt überwunden, auf dem Wege des Opfers, nicht auf dem der Selbstsucht, d. h. der Leidenschaft und Gier, der Sucht nach Herrschaft und Lust. Nach diesem Wege schaut der Sozialismus aus, der wohl auch schon sich hie und da in Parallele mit der ersten Christenheit gestellt hat und eine neue Ordnung der Gesellschaft bringen zu können vermeint, wie jene sie einst brachte. Er ist dazu aber nicht imstande, weil er das Opfer, das Gebet und die Arbeit miß- Grenzboten III. 1L37. S2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/417>, abgerufen am 23.07.2024.