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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Ermäßigung der Anwaltsgebühren.

Ergebnis der oben empfohlenen Ermittlung vorzugreifen, als sehr wahrscheinlich
bezeichnet werden, daß zwar die Gebühren der Landgerichtsanwälte eine Schmä¬
lerung vertragen, daß aber diejenigen Anwälte, welche ausschließlich oder doch
überwiegend bei den Amtsgerichten thätig sind, schon jetzt kaum ein ausreichendes
Einkommen haben, um sich und ihre Familie davon standesgemäß zu erhalten.
Nun kann man freilich die Frage aufwerfen, ob es überhaupt wünschenswert
sei, daß die amtsgerichtlichen Prozesse von Anwälten geführt werden. Aber
wenn auch zugegeben werden muß, daß das Vorhandensein von Anwälten auch
bei den kleineren Amtsgerichten nicht als ein Ziel betrachtet werden kann, auf
dessen Erreichung der Gesetzgeber in erster Linie bedacht sein mußte, so ist es
doch immerhin eine Annehmlichkeit für das rechtsuchende Publikum, wenn es
nicht gezwungen ist, wegen einer Angelegenheit, die ihrer Natur nach die Zu¬
ziehung eines Anwaltes erfordert, wiederholt weite Reisen nach dem Sitze des
Landgerichts zu unternehmen.

Dieses Ziel wird bei der jetzigen beschränkten Zuständigkeit der Amts¬
gerichte selbst ohne Schmälerung der jetzt bestehenden Gebührensätze sich nicht
erreichen lassen, weil die bei einem mittleren Amtsgerichte vorkommenden
Geschäfte nicht ausreichen, einen Anwalt genügend zu beschäftigen. Es dürste
deshalb geboten sein, bei dieser Überlegung eine andre Frage mit in den Kreis
der Erwägungen zu ziehen, über welche auch sonst schon vielfach verhandelt
worden ist, nämlich die Frage der Ausdehnung der amtsgcrichtlichen Zu¬
ständigkeit mindestens auf die Wertstufen bis 500 Mark. Durch eine solche
Änderung würden die Einnahmeverhältnisse wesentlich zu Gunsten der Amts¬
gerichtsanwälte verschoben und diesen die Möglichkeit des Bestehens auch an
solchen Orten geschaffen werden, an welchen sie bisher nicht vorhanden war.

Der Vorschlag, die Zuständigkeitsgrenze nicht bei 300, sondern bei 500 Mark
zu setzen, ist bereits in der Neichstagskommission zur Beratung der Gerichts¬
verfassung gemacht und dort nach eingehender Beratung mit vierzehn gegen
zwölf Stimmen hauptsächlich aus dem Grunde abgelehnt worden, weil mau
eine unzureichende Beschäftigung der Landgerichte befürchtete, auch meinte, daß
das amtsgerichtliche Verfahren bei größeren Sachen sich langsamer gestalten
würde als das landgerichtliche. Daß diese Befürchtungen unbegründet waren,
wird heute wohl ziemlich allseitg zugegeben werden, und ohne die schon damals
eingehend erörterten Gründe nochmals zu würdigen, soll nur darauf hingewiesen
werden, daß bei dieser Maßregel das Interesse des Publikums mit dem der
Anwälte sich vollkommen deckt.

Zunächst in materieller Beziehung, denn es ist nicht zweifelhaft, daß mit
der Dezentralisirung, der Ausbreitung der jetzt wesentlich auf die Landgerichts¬
sitze beschränkten Anwälte auf das ganze Land die Gesamtmenge des zur
Bearbeitung durch Rechtsanwälte gelangenden Materials und des auf die
Gesamthöhe der dem Stande zufließenden Einnahmen sich in eben dem Maße


Die Ermäßigung der Anwaltsgebühren.

Ergebnis der oben empfohlenen Ermittlung vorzugreifen, als sehr wahrscheinlich
bezeichnet werden, daß zwar die Gebühren der Landgerichtsanwälte eine Schmä¬
lerung vertragen, daß aber diejenigen Anwälte, welche ausschließlich oder doch
überwiegend bei den Amtsgerichten thätig sind, schon jetzt kaum ein ausreichendes
Einkommen haben, um sich und ihre Familie davon standesgemäß zu erhalten.
Nun kann man freilich die Frage aufwerfen, ob es überhaupt wünschenswert
sei, daß die amtsgerichtlichen Prozesse von Anwälten geführt werden. Aber
wenn auch zugegeben werden muß, daß das Vorhandensein von Anwälten auch
bei den kleineren Amtsgerichten nicht als ein Ziel betrachtet werden kann, auf
dessen Erreichung der Gesetzgeber in erster Linie bedacht sein mußte, so ist es
doch immerhin eine Annehmlichkeit für das rechtsuchende Publikum, wenn es
nicht gezwungen ist, wegen einer Angelegenheit, die ihrer Natur nach die Zu¬
ziehung eines Anwaltes erfordert, wiederholt weite Reisen nach dem Sitze des
Landgerichts zu unternehmen.

Dieses Ziel wird bei der jetzigen beschränkten Zuständigkeit der Amts¬
gerichte selbst ohne Schmälerung der jetzt bestehenden Gebührensätze sich nicht
erreichen lassen, weil die bei einem mittleren Amtsgerichte vorkommenden
Geschäfte nicht ausreichen, einen Anwalt genügend zu beschäftigen. Es dürste
deshalb geboten sein, bei dieser Überlegung eine andre Frage mit in den Kreis
der Erwägungen zu ziehen, über welche auch sonst schon vielfach verhandelt
worden ist, nämlich die Frage der Ausdehnung der amtsgcrichtlichen Zu¬
ständigkeit mindestens auf die Wertstufen bis 500 Mark. Durch eine solche
Änderung würden die Einnahmeverhältnisse wesentlich zu Gunsten der Amts¬
gerichtsanwälte verschoben und diesen die Möglichkeit des Bestehens auch an
solchen Orten geschaffen werden, an welchen sie bisher nicht vorhanden war.

Der Vorschlag, die Zuständigkeitsgrenze nicht bei 300, sondern bei 500 Mark
zu setzen, ist bereits in der Neichstagskommission zur Beratung der Gerichts¬
verfassung gemacht und dort nach eingehender Beratung mit vierzehn gegen
zwölf Stimmen hauptsächlich aus dem Grunde abgelehnt worden, weil mau
eine unzureichende Beschäftigung der Landgerichte befürchtete, auch meinte, daß
das amtsgerichtliche Verfahren bei größeren Sachen sich langsamer gestalten
würde als das landgerichtliche. Daß diese Befürchtungen unbegründet waren,
wird heute wohl ziemlich allseitg zugegeben werden, und ohne die schon damals
eingehend erörterten Gründe nochmals zu würdigen, soll nur darauf hingewiesen
werden, daß bei dieser Maßregel das Interesse des Publikums mit dem der
Anwälte sich vollkommen deckt.

Zunächst in materieller Beziehung, denn es ist nicht zweifelhaft, daß mit
der Dezentralisirung, der Ausbreitung der jetzt wesentlich auf die Landgerichts¬
sitze beschränkten Anwälte auf das ganze Land die Gesamtmenge des zur
Bearbeitung durch Rechtsanwälte gelangenden Materials und des auf die
Gesamthöhe der dem Stande zufließenden Einnahmen sich in eben dem Maße


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[0331] Die Ermäßigung der Anwaltsgebühren. Ergebnis der oben empfohlenen Ermittlung vorzugreifen, als sehr wahrscheinlich bezeichnet werden, daß zwar die Gebühren der Landgerichtsanwälte eine Schmä¬ lerung vertragen, daß aber diejenigen Anwälte, welche ausschließlich oder doch überwiegend bei den Amtsgerichten thätig sind, schon jetzt kaum ein ausreichendes Einkommen haben, um sich und ihre Familie davon standesgemäß zu erhalten. Nun kann man freilich die Frage aufwerfen, ob es überhaupt wünschenswert sei, daß die amtsgerichtlichen Prozesse von Anwälten geführt werden. Aber wenn auch zugegeben werden muß, daß das Vorhandensein von Anwälten auch bei den kleineren Amtsgerichten nicht als ein Ziel betrachtet werden kann, auf dessen Erreichung der Gesetzgeber in erster Linie bedacht sein mußte, so ist es doch immerhin eine Annehmlichkeit für das rechtsuchende Publikum, wenn es nicht gezwungen ist, wegen einer Angelegenheit, die ihrer Natur nach die Zu¬ ziehung eines Anwaltes erfordert, wiederholt weite Reisen nach dem Sitze des Landgerichts zu unternehmen. Dieses Ziel wird bei der jetzigen beschränkten Zuständigkeit der Amts¬ gerichte selbst ohne Schmälerung der jetzt bestehenden Gebührensätze sich nicht erreichen lassen, weil die bei einem mittleren Amtsgerichte vorkommenden Geschäfte nicht ausreichen, einen Anwalt genügend zu beschäftigen. Es dürste deshalb geboten sein, bei dieser Überlegung eine andre Frage mit in den Kreis der Erwägungen zu ziehen, über welche auch sonst schon vielfach verhandelt worden ist, nämlich die Frage der Ausdehnung der amtsgcrichtlichen Zu¬ ständigkeit mindestens auf die Wertstufen bis 500 Mark. Durch eine solche Änderung würden die Einnahmeverhältnisse wesentlich zu Gunsten der Amts¬ gerichtsanwälte verschoben und diesen die Möglichkeit des Bestehens auch an solchen Orten geschaffen werden, an welchen sie bisher nicht vorhanden war. Der Vorschlag, die Zuständigkeitsgrenze nicht bei 300, sondern bei 500 Mark zu setzen, ist bereits in der Neichstagskommission zur Beratung der Gerichts¬ verfassung gemacht und dort nach eingehender Beratung mit vierzehn gegen zwölf Stimmen hauptsächlich aus dem Grunde abgelehnt worden, weil mau eine unzureichende Beschäftigung der Landgerichte befürchtete, auch meinte, daß das amtsgerichtliche Verfahren bei größeren Sachen sich langsamer gestalten würde als das landgerichtliche. Daß diese Befürchtungen unbegründet waren, wird heute wohl ziemlich allseitg zugegeben werden, und ohne die schon damals eingehend erörterten Gründe nochmals zu würdigen, soll nur darauf hingewiesen werden, daß bei dieser Maßregel das Interesse des Publikums mit dem der Anwälte sich vollkommen deckt. Zunächst in materieller Beziehung, denn es ist nicht zweifelhaft, daß mit der Dezentralisirung, der Ausbreitung der jetzt wesentlich auf die Landgerichts¬ sitze beschränkten Anwälte auf das ganze Land die Gesamtmenge des zur Bearbeitung durch Rechtsanwälte gelangenden Materials und des auf die Gesamthöhe der dem Stande zufließenden Einnahmen sich in eben dem Maße

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/331>, abgerufen am 23.07.2024.