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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Ermäßigung der Anwaltsgebühren.

werden soll, der Staat sich nur auf den Standpunkt stellen, daß er dem Anwalt¬
stande als einem Ganzen gewissermaßen eine Gesamtsumme anbietet, welche sich,
wie oben ausgeführt ist, berechnet aus dem als angemessen erachteten Normal¬
einkommen, vervielfältigt mit der Zahl von Anwälten, welche zur ordnungsmäßige"
Erledigung der Geschäfte bei sämtlichen deutschen Gerichten erforderlich sind.

Unterziehen wir nunmehr nach Feststellung des grundlegenden Gesichts¬
punktes die in den Äußerungen der Auwaltsvereine gegen die Vorlage erhobenen
Angriffe einer näheren Prüfung, so sind in der That einige derselben als voll-
begründet anzuerkennen, während andre sich als durchaus hinfällig erweisen.

Wenn zunächst die Zugrundelegung eines "vvllbeschäftigten" Anwaltes mit
dem Hinweise darauf bekämpft wird, daß der Anfänger nicht sofort vollbeschnftigt
sein werde und ebenso die Beschäftigung bei höherem Alter nachlasse, so ist dem
allerdings zu entgegnen, daß auch der Beamte nicht sofort den Durchschnittssatz
oder gar den Höchftbetrag seines Gehaltes bezieht. Immerhin aber ist es
richtiger, von dem Einkommen eines "Mittelbeschäftigten" auszugehen, da die
örtlichen Verhältnisse nicht immer eine volle Beschäftigung zulassen.

Ebenso ist zuzugeben, daß es keine angemessene Unterlage bietet, wenn die
Begründung des Entwurfs die Auwaltskoften in Vergleich setzt mit den Gerichts¬
kosten und davon ausgeht, dnß erstere keinesfalls die letzteren übersteigen dürften,
und ferner, wenn ein so starkes Gewicht darauf gelegt wird, daß die Kosten
einen gewissen Prozentsatz des Streitwertes innehalten müßten. Die Schwierigkeit
eines Prozesses und die dadurch erforderte Arbeit ist grundsätzlich durchaus
unabhängig von der Höhe des Streitwertes, und es würde deshalb am meisten
der Gerechtigkeit entsprechen, diese Beziehung durchaus unberücksichtigt zu lassen
und die Gebühr nach dem Maße der Arbeit zu bestimmen. Man hat jedoch
von jeher dem Werte des Streitgegenstandes einen maßgebende" Einfluß auf
die Hohe der Gebühren eingeräumt, indem man einerseits berücksichtigte, daß mit
dieser Höhe sich die Verantwortlichkeit steigert, anderseits beabsichtigte, dadurch
den unbemittelteren Bevölkerungsklassen, von welchen überwiegend die gering¬
wertigen Prozesse geführt werden, eine Erleichterung auf Kosten der wohl¬
habenderen Parteien einzuräumen. Insofern kommt in der Gebührenfestsctzuug
ein unverkennbar sozialpolitischer Umstand zum Ausdruck.

Man kann freilich jene Ungleichheit auch aus einem andern Gesichtspunkte
zu rechtfertigen versuchen, indem man nämlich davon ausgeht, daß grundsätzlich
der Staat den Rechtsschutz nach Maßgabe seines allgemeinen Berufes ohne be¬
sondre Vergütung zu leisten habe, sodaß die auferlegten Gebühren lediglich den
Charakter einer Gerichtssteuer trügen, welche wie alle Steuern fortschreitend zu
gestalten sei. Aber dieser auch in der Eingabe des Delegirtcnausschusses zum
Ausgangspunkt genommene Gedanke unterliegt doch sehr erheblichen Bedenken.
Nicht allein, daß diese bekanntlich auch auf dem sozialdemokratischen Programm
erscheinende Forderung der unentgeltlichen Rechtspflege praktisch betrachtet zu


Die Ermäßigung der Anwaltsgebühren.

werden soll, der Staat sich nur auf den Standpunkt stellen, daß er dem Anwalt¬
stande als einem Ganzen gewissermaßen eine Gesamtsumme anbietet, welche sich,
wie oben ausgeführt ist, berechnet aus dem als angemessen erachteten Normal¬
einkommen, vervielfältigt mit der Zahl von Anwälten, welche zur ordnungsmäßige»
Erledigung der Geschäfte bei sämtlichen deutschen Gerichten erforderlich sind.

Unterziehen wir nunmehr nach Feststellung des grundlegenden Gesichts¬
punktes die in den Äußerungen der Auwaltsvereine gegen die Vorlage erhobenen
Angriffe einer näheren Prüfung, so sind in der That einige derselben als voll-
begründet anzuerkennen, während andre sich als durchaus hinfällig erweisen.

Wenn zunächst die Zugrundelegung eines „vvllbeschäftigten" Anwaltes mit
dem Hinweise darauf bekämpft wird, daß der Anfänger nicht sofort vollbeschnftigt
sein werde und ebenso die Beschäftigung bei höherem Alter nachlasse, so ist dem
allerdings zu entgegnen, daß auch der Beamte nicht sofort den Durchschnittssatz
oder gar den Höchftbetrag seines Gehaltes bezieht. Immerhin aber ist es
richtiger, von dem Einkommen eines „Mittelbeschäftigten" auszugehen, da die
örtlichen Verhältnisse nicht immer eine volle Beschäftigung zulassen.

Ebenso ist zuzugeben, daß es keine angemessene Unterlage bietet, wenn die
Begründung des Entwurfs die Auwaltskoften in Vergleich setzt mit den Gerichts¬
kosten und davon ausgeht, dnß erstere keinesfalls die letzteren übersteigen dürften,
und ferner, wenn ein so starkes Gewicht darauf gelegt wird, daß die Kosten
einen gewissen Prozentsatz des Streitwertes innehalten müßten. Die Schwierigkeit
eines Prozesses und die dadurch erforderte Arbeit ist grundsätzlich durchaus
unabhängig von der Höhe des Streitwertes, und es würde deshalb am meisten
der Gerechtigkeit entsprechen, diese Beziehung durchaus unberücksichtigt zu lassen
und die Gebühr nach dem Maße der Arbeit zu bestimmen. Man hat jedoch
von jeher dem Werte des Streitgegenstandes einen maßgebende» Einfluß auf
die Hohe der Gebühren eingeräumt, indem man einerseits berücksichtigte, daß mit
dieser Höhe sich die Verantwortlichkeit steigert, anderseits beabsichtigte, dadurch
den unbemittelteren Bevölkerungsklassen, von welchen überwiegend die gering¬
wertigen Prozesse geführt werden, eine Erleichterung auf Kosten der wohl¬
habenderen Parteien einzuräumen. Insofern kommt in der Gebührenfestsctzuug
ein unverkennbar sozialpolitischer Umstand zum Ausdruck.

Man kann freilich jene Ungleichheit auch aus einem andern Gesichtspunkte
zu rechtfertigen versuchen, indem man nämlich davon ausgeht, daß grundsätzlich
der Staat den Rechtsschutz nach Maßgabe seines allgemeinen Berufes ohne be¬
sondre Vergütung zu leisten habe, sodaß die auferlegten Gebühren lediglich den
Charakter einer Gerichtssteuer trügen, welche wie alle Steuern fortschreitend zu
gestalten sei. Aber dieser auch in der Eingabe des Delegirtcnausschusses zum
Ausgangspunkt genommene Gedanke unterliegt doch sehr erheblichen Bedenken.
Nicht allein, daß diese bekanntlich auch auf dem sozialdemokratischen Programm
erscheinende Forderung der unentgeltlichen Rechtspflege praktisch betrachtet zu


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[0327] Die Ermäßigung der Anwaltsgebühren. werden soll, der Staat sich nur auf den Standpunkt stellen, daß er dem Anwalt¬ stande als einem Ganzen gewissermaßen eine Gesamtsumme anbietet, welche sich, wie oben ausgeführt ist, berechnet aus dem als angemessen erachteten Normal¬ einkommen, vervielfältigt mit der Zahl von Anwälten, welche zur ordnungsmäßige» Erledigung der Geschäfte bei sämtlichen deutschen Gerichten erforderlich sind. Unterziehen wir nunmehr nach Feststellung des grundlegenden Gesichts¬ punktes die in den Äußerungen der Auwaltsvereine gegen die Vorlage erhobenen Angriffe einer näheren Prüfung, so sind in der That einige derselben als voll- begründet anzuerkennen, während andre sich als durchaus hinfällig erweisen. Wenn zunächst die Zugrundelegung eines „vvllbeschäftigten" Anwaltes mit dem Hinweise darauf bekämpft wird, daß der Anfänger nicht sofort vollbeschnftigt sein werde und ebenso die Beschäftigung bei höherem Alter nachlasse, so ist dem allerdings zu entgegnen, daß auch der Beamte nicht sofort den Durchschnittssatz oder gar den Höchftbetrag seines Gehaltes bezieht. Immerhin aber ist es richtiger, von dem Einkommen eines „Mittelbeschäftigten" auszugehen, da die örtlichen Verhältnisse nicht immer eine volle Beschäftigung zulassen. Ebenso ist zuzugeben, daß es keine angemessene Unterlage bietet, wenn die Begründung des Entwurfs die Auwaltskoften in Vergleich setzt mit den Gerichts¬ kosten und davon ausgeht, dnß erstere keinesfalls die letzteren übersteigen dürften, und ferner, wenn ein so starkes Gewicht darauf gelegt wird, daß die Kosten einen gewissen Prozentsatz des Streitwertes innehalten müßten. Die Schwierigkeit eines Prozesses und die dadurch erforderte Arbeit ist grundsätzlich durchaus unabhängig von der Höhe des Streitwertes, und es würde deshalb am meisten der Gerechtigkeit entsprechen, diese Beziehung durchaus unberücksichtigt zu lassen und die Gebühr nach dem Maße der Arbeit zu bestimmen. Man hat jedoch von jeher dem Werte des Streitgegenstandes einen maßgebende» Einfluß auf die Hohe der Gebühren eingeräumt, indem man einerseits berücksichtigte, daß mit dieser Höhe sich die Verantwortlichkeit steigert, anderseits beabsichtigte, dadurch den unbemittelteren Bevölkerungsklassen, von welchen überwiegend die gering¬ wertigen Prozesse geführt werden, eine Erleichterung auf Kosten der wohl¬ habenderen Parteien einzuräumen. Insofern kommt in der Gebührenfestsctzuug ein unverkennbar sozialpolitischer Umstand zum Ausdruck. Man kann freilich jene Ungleichheit auch aus einem andern Gesichtspunkte zu rechtfertigen versuchen, indem man nämlich davon ausgeht, daß grundsätzlich der Staat den Rechtsschutz nach Maßgabe seines allgemeinen Berufes ohne be¬ sondre Vergütung zu leisten habe, sodaß die auferlegten Gebühren lediglich den Charakter einer Gerichtssteuer trügen, welche wie alle Steuern fortschreitend zu gestalten sei. Aber dieser auch in der Eingabe des Delegirtcnausschusses zum Ausgangspunkt genommene Gedanke unterliegt doch sehr erheblichen Bedenken. Nicht allein, daß diese bekanntlich auch auf dem sozialdemokratischen Programm erscheinende Forderung der unentgeltlichen Rechtspflege praktisch betrachtet zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/327>, abgerufen am 23.07.2024.