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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Ermäßigung der Anwaltsgebühren.

erforderlich sind. Dies wird nicht allein in der Begründung der Regierungs¬
vorlage anerkannt, sondern auch in der Eingabe des Delegirteuausschusscs
wenigstens für "manche Städte" zugegeben. Da aber trotzdem der Ausschuß
bestreitet, daß bei der Bemessung das Einkommen eines vollbeschäftigten Urwalds
zu Grunde zu legen sei, so scheint es erforderlich, auf diesen Punkt etwas näher
einzugehen.

Hütten wir, wie früher, eine geschlossene Anwaltschaft, so unterläge es
keinem Zweifel, daß zur Ermittlung der an jedem Gerichte zuzulassenden An¬
zahl geprüft werden müßte, wie viel Anwälte bei normaler Beschäftigung er¬
forderlich seien, um die regelmäßig vorkommenden Arbeiten zu bewältigen, und
es würde dann nicht schwer fallen, auch die angemessene Höhe der Gebühren
nach dem oben angegebenen Maßstabe zu ermitteln. Man hat bekanntlich diese
Geschlossenheit der Anwaltschaft im Jahre 1879 aufgegeben und statt dessen
jedem, der die vorgeschriebenen Prüfungen bestanden hat, gestattet, sich an einem
beliebigen Gerichte -- mit Ausnahme des Reichsgerichts -- als Anwalt nieder¬
zulassen. Ob man diese Änderung für segensreich halten soll, wird davon ab¬
hängen, ob man die dadurch geschaffenen Übelstünde oder Vorteile als über¬
wiegend ansieht; denn daß das neue System neben offenbaren Vorzügen auch
ebenso unzweifelhafte Nachteile mit sich gebracht hat, wird niemand bestreiten.
Als einer der wesentlichsten Übelstände aber wird gerade der hier interessirende
Einfluß bezeichnet werden müssen, daß die Freigebung der Anwaltschaft jede
Einwirkung der gesetzlich festzusetzenden Gebühren ans die Höhe des Einkommens
ausschließt. Es ist eitel Täuschung, wenn man sich einbildet, durch höhere Ge¬
bühren auf die Dauer höhere Einnahmen schaffen zu können. Ein solcher Ver¬
such ist ebenso innerlich widerspruchsvoll, als wenn man glauben wollte, im
freien Meere den Wasserspiegel an einer bestimmten Stelle durch Zugießen von
Wasser erhöhen zu können; wollte man dies, so müßte man doch zunächst die
Wasserfläche in einen Hafen und mit Schleußen einschließen, sonst wäre alles
Bemühen erfolglos. Es ist ein nicht allein an sich einleuchtender, sondern auch
durch die tägliche Erfahrung bestätigter volkswirtschaftlicher Grundsatz, daß
unter denjenigen Lebensberufen. welche einerseits bezüglich wissenschaftlicher und
finanzieller Vorbedingungen sowie anderseits bezüglich ihrer sozialen Stellung
einigermaßen gleiche Lebensbedingungen biete", eine stete Ausgleichung stattfindet,
die sich fast mit derselben Gesetzmäßigkeit vollzieht, wie der, daß in dem einen
Schenkel einer gebogenen Röhre das Wasser nicht höher steht als in dem
andern. Die Bemntenstelluugen sind diesem Wettbewerb durch die Beschränkung
ihrer Zahl insoweit entzogen, als bei ihnen lediglich die Zahl der unbesoldeten
Anwärter bis zu einer nicht unmittelbar beeinflußten Höhe steigen kaun, während
die Einkünfte der Stellungen von Angebot und Nachfrage unberührt bleiben.
Bei den freien Berufen dagegen, insbesondre derjenigen der Anwälte, Ärzte,
Bauleute u. s. w., ist es völlig unabweisbar, daß zu der eiuen dieser Laufbahueu


Die Ermäßigung der Anwaltsgebühren.

erforderlich sind. Dies wird nicht allein in der Begründung der Regierungs¬
vorlage anerkannt, sondern auch in der Eingabe des Delegirteuausschusscs
wenigstens für „manche Städte" zugegeben. Da aber trotzdem der Ausschuß
bestreitet, daß bei der Bemessung das Einkommen eines vollbeschäftigten Urwalds
zu Grunde zu legen sei, so scheint es erforderlich, auf diesen Punkt etwas näher
einzugehen.

Hütten wir, wie früher, eine geschlossene Anwaltschaft, so unterläge es
keinem Zweifel, daß zur Ermittlung der an jedem Gerichte zuzulassenden An¬
zahl geprüft werden müßte, wie viel Anwälte bei normaler Beschäftigung er¬
forderlich seien, um die regelmäßig vorkommenden Arbeiten zu bewältigen, und
es würde dann nicht schwer fallen, auch die angemessene Höhe der Gebühren
nach dem oben angegebenen Maßstabe zu ermitteln. Man hat bekanntlich diese
Geschlossenheit der Anwaltschaft im Jahre 1879 aufgegeben und statt dessen
jedem, der die vorgeschriebenen Prüfungen bestanden hat, gestattet, sich an einem
beliebigen Gerichte — mit Ausnahme des Reichsgerichts — als Anwalt nieder¬
zulassen. Ob man diese Änderung für segensreich halten soll, wird davon ab¬
hängen, ob man die dadurch geschaffenen Übelstünde oder Vorteile als über¬
wiegend ansieht; denn daß das neue System neben offenbaren Vorzügen auch
ebenso unzweifelhafte Nachteile mit sich gebracht hat, wird niemand bestreiten.
Als einer der wesentlichsten Übelstände aber wird gerade der hier interessirende
Einfluß bezeichnet werden müssen, daß die Freigebung der Anwaltschaft jede
Einwirkung der gesetzlich festzusetzenden Gebühren ans die Höhe des Einkommens
ausschließt. Es ist eitel Täuschung, wenn man sich einbildet, durch höhere Ge¬
bühren auf die Dauer höhere Einnahmen schaffen zu können. Ein solcher Ver¬
such ist ebenso innerlich widerspruchsvoll, als wenn man glauben wollte, im
freien Meere den Wasserspiegel an einer bestimmten Stelle durch Zugießen von
Wasser erhöhen zu können; wollte man dies, so müßte man doch zunächst die
Wasserfläche in einen Hafen und mit Schleußen einschließen, sonst wäre alles
Bemühen erfolglos. Es ist ein nicht allein an sich einleuchtender, sondern auch
durch die tägliche Erfahrung bestätigter volkswirtschaftlicher Grundsatz, daß
unter denjenigen Lebensberufen. welche einerseits bezüglich wissenschaftlicher und
finanzieller Vorbedingungen sowie anderseits bezüglich ihrer sozialen Stellung
einigermaßen gleiche Lebensbedingungen biete», eine stete Ausgleichung stattfindet,
die sich fast mit derselben Gesetzmäßigkeit vollzieht, wie der, daß in dem einen
Schenkel einer gebogenen Röhre das Wasser nicht höher steht als in dem
andern. Die Bemntenstelluugen sind diesem Wettbewerb durch die Beschränkung
ihrer Zahl insoweit entzogen, als bei ihnen lediglich die Zahl der unbesoldeten
Anwärter bis zu einer nicht unmittelbar beeinflußten Höhe steigen kaun, während
die Einkünfte der Stellungen von Angebot und Nachfrage unberührt bleiben.
Bei den freien Berufen dagegen, insbesondre derjenigen der Anwälte, Ärzte,
Bauleute u. s. w., ist es völlig unabweisbar, daß zu der eiuen dieser Laufbahueu


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[0324] Die Ermäßigung der Anwaltsgebühren. erforderlich sind. Dies wird nicht allein in der Begründung der Regierungs¬ vorlage anerkannt, sondern auch in der Eingabe des Delegirteuausschusscs wenigstens für „manche Städte" zugegeben. Da aber trotzdem der Ausschuß bestreitet, daß bei der Bemessung das Einkommen eines vollbeschäftigten Urwalds zu Grunde zu legen sei, so scheint es erforderlich, auf diesen Punkt etwas näher einzugehen. Hütten wir, wie früher, eine geschlossene Anwaltschaft, so unterläge es keinem Zweifel, daß zur Ermittlung der an jedem Gerichte zuzulassenden An¬ zahl geprüft werden müßte, wie viel Anwälte bei normaler Beschäftigung er¬ forderlich seien, um die regelmäßig vorkommenden Arbeiten zu bewältigen, und es würde dann nicht schwer fallen, auch die angemessene Höhe der Gebühren nach dem oben angegebenen Maßstabe zu ermitteln. Man hat bekanntlich diese Geschlossenheit der Anwaltschaft im Jahre 1879 aufgegeben und statt dessen jedem, der die vorgeschriebenen Prüfungen bestanden hat, gestattet, sich an einem beliebigen Gerichte — mit Ausnahme des Reichsgerichts — als Anwalt nieder¬ zulassen. Ob man diese Änderung für segensreich halten soll, wird davon ab¬ hängen, ob man die dadurch geschaffenen Übelstünde oder Vorteile als über¬ wiegend ansieht; denn daß das neue System neben offenbaren Vorzügen auch ebenso unzweifelhafte Nachteile mit sich gebracht hat, wird niemand bestreiten. Als einer der wesentlichsten Übelstände aber wird gerade der hier interessirende Einfluß bezeichnet werden müssen, daß die Freigebung der Anwaltschaft jede Einwirkung der gesetzlich festzusetzenden Gebühren ans die Höhe des Einkommens ausschließt. Es ist eitel Täuschung, wenn man sich einbildet, durch höhere Ge¬ bühren auf die Dauer höhere Einnahmen schaffen zu können. Ein solcher Ver¬ such ist ebenso innerlich widerspruchsvoll, als wenn man glauben wollte, im freien Meere den Wasserspiegel an einer bestimmten Stelle durch Zugießen von Wasser erhöhen zu können; wollte man dies, so müßte man doch zunächst die Wasserfläche in einen Hafen und mit Schleußen einschließen, sonst wäre alles Bemühen erfolglos. Es ist ein nicht allein an sich einleuchtender, sondern auch durch die tägliche Erfahrung bestätigter volkswirtschaftlicher Grundsatz, daß unter denjenigen Lebensberufen. welche einerseits bezüglich wissenschaftlicher und finanzieller Vorbedingungen sowie anderseits bezüglich ihrer sozialen Stellung einigermaßen gleiche Lebensbedingungen biete», eine stete Ausgleichung stattfindet, die sich fast mit derselben Gesetzmäßigkeit vollzieht, wie der, daß in dem einen Schenkel einer gebogenen Röhre das Wasser nicht höher steht als in dem andern. Die Bemntenstelluugen sind diesem Wettbewerb durch die Beschränkung ihrer Zahl insoweit entzogen, als bei ihnen lediglich die Zahl der unbesoldeten Anwärter bis zu einer nicht unmittelbar beeinflußten Höhe steigen kaun, während die Einkünfte der Stellungen von Angebot und Nachfrage unberührt bleiben. Bei den freien Berufen dagegen, insbesondre derjenigen der Anwälte, Ärzte, Bauleute u. s. w., ist es völlig unabweisbar, daß zu der eiuen dieser Laufbahueu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/324>, abgerufen am 23.07.2024.