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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus einem Kriegstagebuchs.

von einem brandenburgischen Regiment die Landstraße herunter getragen, er
war offenbar noch in dem Zustande, in dem die Wunde die Kräfte eher erregt
als vermindert, und rief mir zu: "Geben Sie den Kerls keine Zigarren, sie
haben sich ganz schlapp gehalten, geben Sie sie unsern Leuten." Ich ließ mich
natürlich nicht von meinem Vorsatz abbringen. Der eine von den Müden
sagte nichts, der andre sagte ruhig: "Was will der Mann?" Wiewohl ich jene
Kritik von dem so allgemein verbreiteten militärischen Sondergeist aus begriff,
so war doch etwas an der Sache, wie ich erfuhr. Bald nachher traf ich ein
Jägerbataillon, das mich fragte, ob sie nicht zu spät kämen, um in den Gang
der Schlacht einzugreifen; ich konnte ihnen versichern, daß noch recht viel zu
thun sei.

Die immer schneller wachsende Zahl von Verwundeten zeigte auch dem
Laien, wie mörderisch die Schlacht war. Die Einwohner machten sich eilig
mit Wagen auf, um bei dem Transport der Verwundeten Hilfe zu leisten.
Sie fuhren oft weit hinein in die Reihen der Kämpfer. Selbst Frauen und
Mädchen aus der Stadt und Umgegend -- ich nenne Maistatt -- gingen mit
Todesverachtung zu den daliegenden Verwundeten. Die Steinbrüche wurden zum
Verbandplatze gewählt, da sie so guten Schutz boten und als an der Landstraße
befindlich leicht von den Transportwagen zu erreichen waren. Gegen Abend
drangen die vaterländischen Soldaten von allen Seiten auf die Spicherer Berge,
vom Giffertswalde, von dem steinernen Vizinalwege, vom Noten Berge, wo
der Kampf am heftigsten gewesen war, von der nordwestlichen Thalseite durch
alle Schluchten, auch von der goldenen Brenne aus, nachdem die dort auf¬
gestellten Franzosen nach Forbach zu gewichen waren. Der Rückzug der Fran¬
zosen wurde erst in der Dämmerung allgemein bemerkbar. Bald nachher hörte
man bei ihnen die abgeschmacktesten Vorwürfe gegen ihre Führer. So hieß
es, die Generäle Hütten sie zuletzt dadurch zum Rückzug gezwungen, daß sie
ihnen die Patronen vorenthalten hätten.

Es war ein unbeschreiblich großes Glück, das wir empfanden, als wir uns
sicher von den roten Hosen befreit fühlten. Aber es ist bis jetzt nicht recht
möglich, sich der Freude hinzugeben. Das Elend, das die Schlacht im Gefolge
hat, ist zu groß. Im Laufe des 6. August hatte mich ein Stabsarzt V. be¬
sucht, den ich von Berlin her kannte; ich bewog ihn, bei mir zu wohnen, aber
ich sah ihn kaum. Denn sehr bald hatte er in der Ulaucnlaserne, in der eins
der Lazarete aufgeschlagen war, mit den Opfern der Schlacht unablässig zu
thun. Außerdem wohnten drei Diakonissen bei uns. Dazu kamen am Abend
des 6. aus der Schlacht zu mir sechsunddreißig unverwundete Soldaten und
Unteroffiziere vom 48. Regiment, die sich so gut als möglich einrichteten. Alle
andern hatten in ähnlicher Weise ihre Räume für die müden Soldaten herzu¬
geben, und wie gern thaten es alle! Aber das schlimmere war die ungeheure


Aus einem Kriegstagebuchs.

von einem brandenburgischen Regiment die Landstraße herunter getragen, er
war offenbar noch in dem Zustande, in dem die Wunde die Kräfte eher erregt
als vermindert, und rief mir zu: „Geben Sie den Kerls keine Zigarren, sie
haben sich ganz schlapp gehalten, geben Sie sie unsern Leuten." Ich ließ mich
natürlich nicht von meinem Vorsatz abbringen. Der eine von den Müden
sagte nichts, der andre sagte ruhig: „Was will der Mann?" Wiewohl ich jene
Kritik von dem so allgemein verbreiteten militärischen Sondergeist aus begriff,
so war doch etwas an der Sache, wie ich erfuhr. Bald nachher traf ich ein
Jägerbataillon, das mich fragte, ob sie nicht zu spät kämen, um in den Gang
der Schlacht einzugreifen; ich konnte ihnen versichern, daß noch recht viel zu
thun sei.

Die immer schneller wachsende Zahl von Verwundeten zeigte auch dem
Laien, wie mörderisch die Schlacht war. Die Einwohner machten sich eilig
mit Wagen auf, um bei dem Transport der Verwundeten Hilfe zu leisten.
Sie fuhren oft weit hinein in die Reihen der Kämpfer. Selbst Frauen und
Mädchen aus der Stadt und Umgegend — ich nenne Maistatt — gingen mit
Todesverachtung zu den daliegenden Verwundeten. Die Steinbrüche wurden zum
Verbandplatze gewählt, da sie so guten Schutz boten und als an der Landstraße
befindlich leicht von den Transportwagen zu erreichen waren. Gegen Abend
drangen die vaterländischen Soldaten von allen Seiten auf die Spicherer Berge,
vom Giffertswalde, von dem steinernen Vizinalwege, vom Noten Berge, wo
der Kampf am heftigsten gewesen war, von der nordwestlichen Thalseite durch
alle Schluchten, auch von der goldenen Brenne aus, nachdem die dort auf¬
gestellten Franzosen nach Forbach zu gewichen waren. Der Rückzug der Fran¬
zosen wurde erst in der Dämmerung allgemein bemerkbar. Bald nachher hörte
man bei ihnen die abgeschmacktesten Vorwürfe gegen ihre Führer. So hieß
es, die Generäle Hütten sie zuletzt dadurch zum Rückzug gezwungen, daß sie
ihnen die Patronen vorenthalten hätten.

Es war ein unbeschreiblich großes Glück, das wir empfanden, als wir uns
sicher von den roten Hosen befreit fühlten. Aber es ist bis jetzt nicht recht
möglich, sich der Freude hinzugeben. Das Elend, das die Schlacht im Gefolge
hat, ist zu groß. Im Laufe des 6. August hatte mich ein Stabsarzt V. be¬
sucht, den ich von Berlin her kannte; ich bewog ihn, bei mir zu wohnen, aber
ich sah ihn kaum. Denn sehr bald hatte er in der Ulaucnlaserne, in der eins
der Lazarete aufgeschlagen war, mit den Opfern der Schlacht unablässig zu
thun. Außerdem wohnten drei Diakonissen bei uns. Dazu kamen am Abend
des 6. aus der Schlacht zu mir sechsunddreißig unverwundete Soldaten und
Unteroffiziere vom 48. Regiment, die sich so gut als möglich einrichteten. Alle
andern hatten in ähnlicher Weise ihre Räume für die müden Soldaten herzu¬
geben, und wie gern thaten es alle! Aber das schlimmere war die ungeheure


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/304>, abgerufen am 23.07.2024.