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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus einem Kriegstagebuchs.

UM auf den Stieringcr Wald vorzurücken. Durch die Städte zogen über beide
Brücken ganze Züge von Artillerie, nach denen wir uns besonders gesehnt hatten.

Ein schmerzlicher Gedanke erfüllte uns doch, die wir ortskundig waren
und die Steilheit und Höhe der Berge aus Erfahrung kannten. Wir wünschten
so sehr, man möge den hervorspringenden roten Berg nicht zum Angriffspunkt
wählen, sondern einen kleinen Umweg machen, um hinter Umnak in Sicherheit
den Stiftswald zu ersteigen und so durch den Giffertswald in gleicher Ebene
die Franzosen anzugreifen. Allerdings benutzte man später auch den Gifferts¬
wald, aber die ersten und die meisten Angriffe gingen doch durch das freie Feld
nach dem steilen Berge zu, auf dessen AbHange nur einige Bäume, Obstbäume
und Pappeln, geringe Deckung boten. Gerade die freie Strecke bis an den Fuß
der Höhe war höchst gefährlich bei der weittragenden Waffe der Franzosen.
Am Fuße des Berges konnte man sich eher etwas sicher fühlen. Weiter nach
oben zu dringen ist für den Touristen, der nur seinen Stock trägt, im Sommer
schon beschwerlich. Jetzt kletterten unsre Soldaten, ohne Tornister, aber dennoch
schwer genug belastet, hinauf. Hie und da mußten sie, um sich zu halten, die
Hand zu Hilfe nehmen, und oben, kurz bevor sie die erste Terrasse erstiegen,
kamen sie in ein entsetzliches Feuer aus vorbereiteten Schießgräben. Es war
für die Zuschauer niederschlagend, wie die ersten müden Züge, die den Sturm
versuchten, tot oder verwundet den Berg herunter rollten. Wir fürchteten, die
französischen noch frischen Jnfanteristen möchten herabsteigen und die erschöpften
Stürmer einfach niederschlagen. Aber das Plateau des Berges war nicht ganz
ohne Abstufungen und bot unsrer Korpsartillerie, die in der Ferne gut auf¬
gestellt war, genug Angriffspunkte. War ein Sturmversnch von unsrer Infanterie
mißlungen, so zerstoben die anrückenden Massen der Franzosen vor den Granaten,
die mit der größten Sicherheit auf sie geschleudert wurden.

Doch wir wollen nicht beschreiben, was allein die Männer vom Fache
beurteilen können und was sie jedenfalls genau darstellen werden. Wir hatten
uns auf der Lerchesflur aufgestellt, etwa 25 Minuten von dem roten Berge.
Wir sahen wohl, daß unsre Soldaten schwer ringen mußten und nicht vorwärts
kamen. Und als nun auch von Stieringen her ungeheure Massen herankamen,
glaubten wir schon, daß der Tag für uns verloren sei. Aber es war nur
Täuschung. Es trafen immer noch neue preußische Truppen ein. Die Heerführer,
zu denen von Alvensleben (vom dritten Armeekorps) gestoßen war, verfolgten
ihren Plan mit aller Energie, es gelang fogar, einige Artillerie auf die Höhe
zu bringen. Die Preußen hielten auch den wichtigen Stieringer Wald, freilich
mit unglaublichen Mühen und Opfern. So ging es doch allmählich vorwärts.
Als ich die Höhe des Hahnen wieder aufsuchte, sah ich am Wege auf Holz¬
balken zwei Soldaten vom 39. Regiment sitzen, ganz blaß und erschöpft von
dem ersten mißlungenen Sturm. Ich nahm einige Zigarren heraus, um sie
ihnen zu geben. In demselben Augenblicke wurde ein verwundeter Unteroffizier


Aus einem Kriegstagebuchs.

UM auf den Stieringcr Wald vorzurücken. Durch die Städte zogen über beide
Brücken ganze Züge von Artillerie, nach denen wir uns besonders gesehnt hatten.

Ein schmerzlicher Gedanke erfüllte uns doch, die wir ortskundig waren
und die Steilheit und Höhe der Berge aus Erfahrung kannten. Wir wünschten
so sehr, man möge den hervorspringenden roten Berg nicht zum Angriffspunkt
wählen, sondern einen kleinen Umweg machen, um hinter Umnak in Sicherheit
den Stiftswald zu ersteigen und so durch den Giffertswald in gleicher Ebene
die Franzosen anzugreifen. Allerdings benutzte man später auch den Gifferts¬
wald, aber die ersten und die meisten Angriffe gingen doch durch das freie Feld
nach dem steilen Berge zu, auf dessen AbHange nur einige Bäume, Obstbäume
und Pappeln, geringe Deckung boten. Gerade die freie Strecke bis an den Fuß
der Höhe war höchst gefährlich bei der weittragenden Waffe der Franzosen.
Am Fuße des Berges konnte man sich eher etwas sicher fühlen. Weiter nach
oben zu dringen ist für den Touristen, der nur seinen Stock trägt, im Sommer
schon beschwerlich. Jetzt kletterten unsre Soldaten, ohne Tornister, aber dennoch
schwer genug belastet, hinauf. Hie und da mußten sie, um sich zu halten, die
Hand zu Hilfe nehmen, und oben, kurz bevor sie die erste Terrasse erstiegen,
kamen sie in ein entsetzliches Feuer aus vorbereiteten Schießgräben. Es war
für die Zuschauer niederschlagend, wie die ersten müden Züge, die den Sturm
versuchten, tot oder verwundet den Berg herunter rollten. Wir fürchteten, die
französischen noch frischen Jnfanteristen möchten herabsteigen und die erschöpften
Stürmer einfach niederschlagen. Aber das Plateau des Berges war nicht ganz
ohne Abstufungen und bot unsrer Korpsartillerie, die in der Ferne gut auf¬
gestellt war, genug Angriffspunkte. War ein Sturmversnch von unsrer Infanterie
mißlungen, so zerstoben die anrückenden Massen der Franzosen vor den Granaten,
die mit der größten Sicherheit auf sie geschleudert wurden.

Doch wir wollen nicht beschreiben, was allein die Männer vom Fache
beurteilen können und was sie jedenfalls genau darstellen werden. Wir hatten
uns auf der Lerchesflur aufgestellt, etwa 25 Minuten von dem roten Berge.
Wir sahen wohl, daß unsre Soldaten schwer ringen mußten und nicht vorwärts
kamen. Und als nun auch von Stieringen her ungeheure Massen herankamen,
glaubten wir schon, daß der Tag für uns verloren sei. Aber es war nur
Täuschung. Es trafen immer noch neue preußische Truppen ein. Die Heerführer,
zu denen von Alvensleben (vom dritten Armeekorps) gestoßen war, verfolgten
ihren Plan mit aller Energie, es gelang fogar, einige Artillerie auf die Höhe
zu bringen. Die Preußen hielten auch den wichtigen Stieringer Wald, freilich
mit unglaublichen Mühen und Opfern. So ging es doch allmählich vorwärts.
Als ich die Höhe des Hahnen wieder aufsuchte, sah ich am Wege auf Holz¬
balken zwei Soldaten vom 39. Regiment sitzen, ganz blaß und erschöpft von
dem ersten mißlungenen Sturm. Ich nahm einige Zigarren heraus, um sie
ihnen zu geben. In demselben Augenblicke wurde ein verwundeter Unteroffizier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/303>, abgerufen am 23.07.2024.