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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

Paul sein Verhalten gegen Frau von Kalb nicht zeichnen. Er arbeitete damals
am Titan, dieser großangelegten Faustidylle, in der die sich überschätzende
und überbietende Menschenkraft samt der irdischen Hölle, die sie sich be¬
reitet, vorgeführt wird. Zu Linda mußte ihm Charlotte sitzen. Die unvor¬
sichtigen Äußerungen in seinen Briefen, wie: "Ich reiche dir die Hand über Zeit
und Raum; es war eine Zeit, ehe ich dich kannte und liebte, die Ewigkeit
beginnt für deu Liebenden," oder: "Sie könnte niemand verdrängen als Sie.
Sie bleiben meinem Herzen, was Sie waren. Solche Stunden wie unsre sind
mit einem ewigen Feuer bezeichnet," oder: "Daß ich meine Lippen auf die
Wunden deines Herzens legen werde. Sei still, liebe Seele! Werde ruhig
und hoffend!" sind nur Stilübungen. In Linda, der hohen, junonischen Gestalt
mit dem vollen, blonden Haar und dem Schatten vor den großen, seelenvollen
Augen ist Charlotte gemalt. Sie ist die Titanide, die keine andere Macht aner¬
kennt als die der aus dem innersten Geistcsgrnnde aufsteigenden Idee, die sich
kühn über die Launen des Schicksals hinwegsetzt und in der Kraft ihres "Fel¬
senich" selbst des Glaubens nicht bedarf. Er läßt sie ohne Schuld in Schuld
geraten, dem dunkeln Verhängnisse verfallen und untergehen.

Durch Jean Pauls Zurückweisung wurde Charlotte in die tiefste Trauer
hinabgestoßen, aber von ihrer Liebe zu dem Dichter wurde sie nicht getrennt.
Möglich, daß sie noch lange hoffte, Jean Paul werde sie am Ende noch allen
andern vorziehen, wahrscheinlicher indes, daß sie instinktmüßig in der Fortdauer
ihrer Liebe einen Halt, eine Stütze suchte. Wieder ringt sie mit dem Wahn¬
sinn, ihre nächsten Briefe enthalten die Ausrufungen einer Verzückten. Sie
hört den Spott der Welt, aber sie verachtet die Welt. "Haß, Haß und das
Hohnlachen der grinsenden Ohnmacht wird bald nachkommen. Verachten kann
mich niemand, es ist ja der Kampf eines Geistes um dich und um deinen Geist."
Mit Riesenkraft reißt sie sich noch einmal von dem geistigen Abgrunde zurück.
Zunächst übt sie sich im Heroismus der Entsagung. Sie nimmt Unsre Herold
aus Hof, die sie für die Stillverlobte Jean Pauls hält, zu sich. In einem
der folgenden Briefe (vom 5. Januar 1799) teilt sie Jean Paul einen Traum
mit, indem sie sich sieht, wie sie zu Gunsten Amönens auf den Geliebten ver¬
zichtet. Jean Paul könnte nichts Schöneres geschrieben haben. Man sieht,
wie er auf sie, sie auf ihn eingewirkt hatte. Überhaupt ist ihre Beredsamkeit
in dieser Zeit außerordentlich. "Ich lese in meinen Briefen -- sagt sie --,
ich mag schreiben, was ich will, nur die Worte: Halte meine Seele fest, dann
will ich den Flug ins Unendliche wagen! Ich will nichts, aber dir will ich
das Ölblatt und den Myrtenzweig bringen und Violen und Rosen um dein
Haupt winden. Die Sorge soll entfliehen, und die Innigkeit soll jeden Augen¬
blick des Lebens -- er mag Namen haben, wie er will -- mit gleichem Werte
fassen, und dein Vertrauen, deine Erinnerungen sollen gleich einer Perlenschnur
seliger, bereichernder Ideen in meiner Seele verwahrt sein. Und nur du sollst


Dichterfreundinnen.

Paul sein Verhalten gegen Frau von Kalb nicht zeichnen. Er arbeitete damals
am Titan, dieser großangelegten Faustidylle, in der die sich überschätzende
und überbietende Menschenkraft samt der irdischen Hölle, die sie sich be¬
reitet, vorgeführt wird. Zu Linda mußte ihm Charlotte sitzen. Die unvor¬
sichtigen Äußerungen in seinen Briefen, wie: „Ich reiche dir die Hand über Zeit
und Raum; es war eine Zeit, ehe ich dich kannte und liebte, die Ewigkeit
beginnt für deu Liebenden," oder: „Sie könnte niemand verdrängen als Sie.
Sie bleiben meinem Herzen, was Sie waren. Solche Stunden wie unsre sind
mit einem ewigen Feuer bezeichnet," oder: „Daß ich meine Lippen auf die
Wunden deines Herzens legen werde. Sei still, liebe Seele! Werde ruhig
und hoffend!" sind nur Stilübungen. In Linda, der hohen, junonischen Gestalt
mit dem vollen, blonden Haar und dem Schatten vor den großen, seelenvollen
Augen ist Charlotte gemalt. Sie ist die Titanide, die keine andere Macht aner¬
kennt als die der aus dem innersten Geistcsgrnnde aufsteigenden Idee, die sich
kühn über die Launen des Schicksals hinwegsetzt und in der Kraft ihres „Fel¬
senich" selbst des Glaubens nicht bedarf. Er läßt sie ohne Schuld in Schuld
geraten, dem dunkeln Verhängnisse verfallen und untergehen.

Durch Jean Pauls Zurückweisung wurde Charlotte in die tiefste Trauer
hinabgestoßen, aber von ihrer Liebe zu dem Dichter wurde sie nicht getrennt.
Möglich, daß sie noch lange hoffte, Jean Paul werde sie am Ende noch allen
andern vorziehen, wahrscheinlicher indes, daß sie instinktmüßig in der Fortdauer
ihrer Liebe einen Halt, eine Stütze suchte. Wieder ringt sie mit dem Wahn¬
sinn, ihre nächsten Briefe enthalten die Ausrufungen einer Verzückten. Sie
hört den Spott der Welt, aber sie verachtet die Welt. „Haß, Haß und das
Hohnlachen der grinsenden Ohnmacht wird bald nachkommen. Verachten kann
mich niemand, es ist ja der Kampf eines Geistes um dich und um deinen Geist."
Mit Riesenkraft reißt sie sich noch einmal von dem geistigen Abgrunde zurück.
Zunächst übt sie sich im Heroismus der Entsagung. Sie nimmt Unsre Herold
aus Hof, die sie für die Stillverlobte Jean Pauls hält, zu sich. In einem
der folgenden Briefe (vom 5. Januar 1799) teilt sie Jean Paul einen Traum
mit, indem sie sich sieht, wie sie zu Gunsten Amönens auf den Geliebten ver¬
zichtet. Jean Paul könnte nichts Schöneres geschrieben haben. Man sieht,
wie er auf sie, sie auf ihn eingewirkt hatte. Überhaupt ist ihre Beredsamkeit
in dieser Zeit außerordentlich. „Ich lese in meinen Briefen — sagt sie —,
ich mag schreiben, was ich will, nur die Worte: Halte meine Seele fest, dann
will ich den Flug ins Unendliche wagen! Ich will nichts, aber dir will ich
das Ölblatt und den Myrtenzweig bringen und Violen und Rosen um dein
Haupt winden. Die Sorge soll entfliehen, und die Innigkeit soll jeden Augen¬
blick des Lebens — er mag Namen haben, wie er will — mit gleichem Werte
fassen, und dein Vertrauen, deine Erinnerungen sollen gleich einer Perlenschnur
seliger, bereichernder Ideen in meiner Seele verwahrt sein. Und nur du sollst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/290>, abgerufen am 23.07.2024.