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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Gin süddeutscher Patriot vor hundert Jahren.

Erwähnung, nicht mit einem einzigen Worte. Offenbar sah die öffentliche
Meinung der damaligen Zeit in dieser Verfassung und dem ihr zu Grunde
liegenden Tübinger Vertrage uicht, wie wir heute zu thun geneigt wären, die
entwicklungsfähige Grundlage eines Rechtsstaates, man erblickte darin nur die
wohlerworbene" Vorrechte einzelner Klaffen von Privilegirten. Der moderne
konstitutionelle Gedanke kam als revolutionäre Offenbarung aus Frankreich
herüber; man forderte jetzt nicht selten mit Ungestüm als Menschenrecht, was
man da, wo es als Vertragsrecht bestand, mit kaltem und gleichgiltigem Auge
betrachtet hatte. Vor der Revolution galt bei dem aufgeklärten Deutschen, wie
er durchschnittlich war, die Abwesenheit konstitutioneller Bürgschaften ebenso¬
wenig als ein Mangel und als Zeichen unentwickelten staatlichen Bewußtseins,
als man ein Gefühl dafür hatte, wie wenig das ewige Bevormunden und
Dreinreden der Polizei geziemend sei für die Würde des reifen Mannes und
selbständigen Staatsbürgers.

-lustitig. t'unäawMwlli i-LMoruni. In grausamster Weise sollte Schubart
durch eignes Schicksal belehrt werden, was ein Staat sei, dessen Grundlage
nicht gefestigt ist durch unverbrüchliche Grundsätze des Rechtes. Am 23. Ja¬
nuar 1777 ließ der Herzog von Württemberg den unbequemen Zeitungsschreiber,
nachdem er ihn vom sicheren Ulmischen Gebiete hatte weglocken lassen, durch
seiue Schergen "gefänglich niederwerfen" und nach der Festung Asperg schleppen.
Ohne je vor einen Richter gestellt zu werden, ohne je mit einem Worte zu er¬
fahren, womit er den Herzog so sehr erbittert hatte, brachte der unglückliche
Gefangene zunächst 377 Tage in einem finstern, dumpfen Mauerloche zu, von
allem Verkehr mit menschlichen Wesen abgeschnitten, und dann unter etwas er¬
leichterten Bedingungen noch weitere neun Jahre im gewöhnlichen Festungs¬
kerker. Den menschenfreundlichen Bemühungen des Grafen Hertzberg und des
Preußischen Hofes gelang es endlich im Jahre 1787, Schubarts Befreiung zu
erwirken. Mit derselben launenhaften Willkür, mit welcher der wttrttembergische
Despot den Mann, dessen Wort oder Feder ihn gereizt haben mochte, zu un¬
menschlicher Kerkerqual verurteilt hatte, ernannte er ihn jetzt zu seinem Musik¬
direktor, zum Hof- und Theaterdichter, und gestattete ihm, die "Chronik" zensur¬
frei fortzusetzen. Schubart, stets den Eindrücken des Augenblickes offen, war
jetzt mit dem Herzog wieder vollkommen ausgesöhnt. Seine Chronik verriet in
Ton und Manier gegen früher kaum eine Änderung. Nicht ohne einige Über¬
raschung wird man wahrnehmen, daß das Urteil, obwohl es unmittelbar unter
den Augen des Herzogs geäußert wird, an manchen Stellen freier und unum¬
wundener, in der Form derber hervortritt, als dies früher der Fall gewesen
war. In den zehn Jahren, die Schubart auf der Festung zugebracht hatte,
hatte die publizistische Presse in Deutschland und die Freiheit der Meinungs¬
äußerung gewaltige Fortschritte gemacht. Und drüben über den Vogesen grollte
schon vernehmlich genug der Vulkan, dessen furchtbar großartiger Ausbruch bald


Grenzboten III. 1837. 3S
Gin süddeutscher Patriot vor hundert Jahren.

Erwähnung, nicht mit einem einzigen Worte. Offenbar sah die öffentliche
Meinung der damaligen Zeit in dieser Verfassung und dem ihr zu Grunde
liegenden Tübinger Vertrage uicht, wie wir heute zu thun geneigt wären, die
entwicklungsfähige Grundlage eines Rechtsstaates, man erblickte darin nur die
wohlerworbene» Vorrechte einzelner Klaffen von Privilegirten. Der moderne
konstitutionelle Gedanke kam als revolutionäre Offenbarung aus Frankreich
herüber; man forderte jetzt nicht selten mit Ungestüm als Menschenrecht, was
man da, wo es als Vertragsrecht bestand, mit kaltem und gleichgiltigem Auge
betrachtet hatte. Vor der Revolution galt bei dem aufgeklärten Deutschen, wie
er durchschnittlich war, die Abwesenheit konstitutioneller Bürgschaften ebenso¬
wenig als ein Mangel und als Zeichen unentwickelten staatlichen Bewußtseins,
als man ein Gefühl dafür hatte, wie wenig das ewige Bevormunden und
Dreinreden der Polizei geziemend sei für die Würde des reifen Mannes und
selbständigen Staatsbürgers.

-lustitig. t'unäawMwlli i-LMoruni. In grausamster Weise sollte Schubart
durch eignes Schicksal belehrt werden, was ein Staat sei, dessen Grundlage
nicht gefestigt ist durch unverbrüchliche Grundsätze des Rechtes. Am 23. Ja¬
nuar 1777 ließ der Herzog von Württemberg den unbequemen Zeitungsschreiber,
nachdem er ihn vom sicheren Ulmischen Gebiete hatte weglocken lassen, durch
seiue Schergen „gefänglich niederwerfen" und nach der Festung Asperg schleppen.
Ohne je vor einen Richter gestellt zu werden, ohne je mit einem Worte zu er¬
fahren, womit er den Herzog so sehr erbittert hatte, brachte der unglückliche
Gefangene zunächst 377 Tage in einem finstern, dumpfen Mauerloche zu, von
allem Verkehr mit menschlichen Wesen abgeschnitten, und dann unter etwas er¬
leichterten Bedingungen noch weitere neun Jahre im gewöhnlichen Festungs¬
kerker. Den menschenfreundlichen Bemühungen des Grafen Hertzberg und des
Preußischen Hofes gelang es endlich im Jahre 1787, Schubarts Befreiung zu
erwirken. Mit derselben launenhaften Willkür, mit welcher der wttrttembergische
Despot den Mann, dessen Wort oder Feder ihn gereizt haben mochte, zu un¬
menschlicher Kerkerqual verurteilt hatte, ernannte er ihn jetzt zu seinem Musik¬
direktor, zum Hof- und Theaterdichter, und gestattete ihm, die „Chronik" zensur¬
frei fortzusetzen. Schubart, stets den Eindrücken des Augenblickes offen, war
jetzt mit dem Herzog wieder vollkommen ausgesöhnt. Seine Chronik verriet in
Ton und Manier gegen früher kaum eine Änderung. Nicht ohne einige Über¬
raschung wird man wahrnehmen, daß das Urteil, obwohl es unmittelbar unter
den Augen des Herzogs geäußert wird, an manchen Stellen freier und unum¬
wundener, in der Form derber hervortritt, als dies früher der Fall gewesen
war. In den zehn Jahren, die Schubart auf der Festung zugebracht hatte,
hatte die publizistische Presse in Deutschland und die Freiheit der Meinungs¬
äußerung gewaltige Fortschritte gemacht. Und drüben über den Vogesen grollte
schon vernehmlich genug der Vulkan, dessen furchtbar großartiger Ausbruch bald


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[0281] Gin süddeutscher Patriot vor hundert Jahren. Erwähnung, nicht mit einem einzigen Worte. Offenbar sah die öffentliche Meinung der damaligen Zeit in dieser Verfassung und dem ihr zu Grunde liegenden Tübinger Vertrage uicht, wie wir heute zu thun geneigt wären, die entwicklungsfähige Grundlage eines Rechtsstaates, man erblickte darin nur die wohlerworbene» Vorrechte einzelner Klaffen von Privilegirten. Der moderne konstitutionelle Gedanke kam als revolutionäre Offenbarung aus Frankreich herüber; man forderte jetzt nicht selten mit Ungestüm als Menschenrecht, was man da, wo es als Vertragsrecht bestand, mit kaltem und gleichgiltigem Auge betrachtet hatte. Vor der Revolution galt bei dem aufgeklärten Deutschen, wie er durchschnittlich war, die Abwesenheit konstitutioneller Bürgschaften ebenso¬ wenig als ein Mangel und als Zeichen unentwickelten staatlichen Bewußtseins, als man ein Gefühl dafür hatte, wie wenig das ewige Bevormunden und Dreinreden der Polizei geziemend sei für die Würde des reifen Mannes und selbständigen Staatsbürgers. -lustitig. t'unäawMwlli i-LMoruni. In grausamster Weise sollte Schubart durch eignes Schicksal belehrt werden, was ein Staat sei, dessen Grundlage nicht gefestigt ist durch unverbrüchliche Grundsätze des Rechtes. Am 23. Ja¬ nuar 1777 ließ der Herzog von Württemberg den unbequemen Zeitungsschreiber, nachdem er ihn vom sicheren Ulmischen Gebiete hatte weglocken lassen, durch seiue Schergen „gefänglich niederwerfen" und nach der Festung Asperg schleppen. Ohne je vor einen Richter gestellt zu werden, ohne je mit einem Worte zu er¬ fahren, womit er den Herzog so sehr erbittert hatte, brachte der unglückliche Gefangene zunächst 377 Tage in einem finstern, dumpfen Mauerloche zu, von allem Verkehr mit menschlichen Wesen abgeschnitten, und dann unter etwas er¬ leichterten Bedingungen noch weitere neun Jahre im gewöhnlichen Festungs¬ kerker. Den menschenfreundlichen Bemühungen des Grafen Hertzberg und des Preußischen Hofes gelang es endlich im Jahre 1787, Schubarts Befreiung zu erwirken. Mit derselben launenhaften Willkür, mit welcher der wttrttembergische Despot den Mann, dessen Wort oder Feder ihn gereizt haben mochte, zu un¬ menschlicher Kerkerqual verurteilt hatte, ernannte er ihn jetzt zu seinem Musik¬ direktor, zum Hof- und Theaterdichter, und gestattete ihm, die „Chronik" zensur¬ frei fortzusetzen. Schubart, stets den Eindrücken des Augenblickes offen, war jetzt mit dem Herzog wieder vollkommen ausgesöhnt. Seine Chronik verriet in Ton und Manier gegen früher kaum eine Änderung. Nicht ohne einige Über¬ raschung wird man wahrnehmen, daß das Urteil, obwohl es unmittelbar unter den Augen des Herzogs geäußert wird, an manchen Stellen freier und unum¬ wundener, in der Form derber hervortritt, als dies früher der Fall gewesen war. In den zehn Jahren, die Schubart auf der Festung zugebracht hatte, hatte die publizistische Presse in Deutschland und die Freiheit der Meinungs¬ äußerung gewaltige Fortschritte gemacht. Und drüben über den Vogesen grollte schon vernehmlich genug der Vulkan, dessen furchtbar großartiger Ausbruch bald Grenzboten III. 1837. 3S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/281>, abgerufen am 23.07.2024.