Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.Gin süddeutscher Patriot vor hundert Zähren. wie die ungeheure Mehrheit der gebildeten Deutschen jener Zeit, die Monarchie Gin süddeutscher Patriot vor hundert Zähren. wie die ungeheure Mehrheit der gebildeten Deutschen jener Zeit, die Monarchie <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201058"/> <fw type="header" place="top"> Gin süddeutscher Patriot vor hundert Zähren.</fw><lb/> <p xml:id="ID_817" prev="#ID_816" next="#ID_818"> wie die ungeheure Mehrheit der gebildeten Deutschen jener Zeit, die Monarchie<lb/> in der Form unumschränkter Fürstengewalt grundsätzlich als die den kontinen¬<lb/> talen Zuständen angemessenste Regierungsform betrachtete, der durfte wohl<lb/> stolz sein ans mauches, was in gut regierten deutschen Ländern doch weit<lb/> besser war, als in dem durch Druck und Willkür des Hofes, durch Mätressen¬<lb/> regiment und einen sittlich verkommenen Hofadel heruntergebrachten Frankreich.<lb/> In rührender Weise erzählt die Chronik vom 20. November 1775: „Die Unter¬<lb/> thanen des Fürsten von Dessau sollten im letzten deutschen Kriege eine starke<lb/> Kontribution bezahlen. Das wird ihnen weh thun, dachte der edelmütigste<lb/> Fürst. Verkaufte sein Silberzeug, Juwelen und andre Kostbarkeiten und zahlte<lb/> die Summe selbst, und da er die Not seiner Unterthanen erkannte, verließ er<lb/> sein Land und reiste einige Jahre als bloßer Kavalier, in der Absicht, seinem<lb/> Volke die Abgaben zu ersparen und Schulden, die er nicht gemacht hatte, ab¬<lb/> zutragen." Das Ideal einer wohlwollenden und aufgeklärten Verwaltung<lb/> aber lag dem Chronikschreiber, namentlich seit das Blatt in Ulm herauskam,<lb/> ganz in der Nähe. Es ist die Verwaltung Karl Friedrichs in der Markgraf¬<lb/> schaft Vadeu-Durlach. „Dorther — schreibt Schubart (1774, S. 447) — er¬<lb/> halten wir in drei Bänden eine vollständige Sammlung aller Baden-Dnrlachscheu<lb/> Anstalten und Verordnungen, von Herrn Gerstlacher gesammelt und mit einer<lb/> sehr lehrreichen Vorrede herausgegeben. Diese Anstalten und Verordnungen<lb/> verbreiten sich über die wichtigsten Gegenstände des Staates, über Kirchen- und<lb/> Schulwesen, über das Leben und die Gesundheit der Menschen, die Versorgung<lb/> der Armen und Steuerung des Bettels, die innere Landessicherheit, die Ver¬<lb/> sorgung der Witwen und Waisen, die Verhütung der Feuersgefahr und Ent¬<lb/> schädigung der durch Brand verunglückten, die Förderung der Kommunen, die<lb/> Erhaltung der Wege und Straßen, die Beförderung des Nahrungsstandes und<lb/> der Landwirtschaft und endlich die Pflege der Professionen und Handwerke.<lb/> Baden-Durlach gehört seit der weisen Regierung des jetzigen Fürsten unter die<lb/> glücklichsten und am besten eingerichteten Staaten der Welt, sodaß andre<lb/> Provinzen mit nachahmender Eifersucht darauf Hinblicken. Was der spekulative<lb/> Weise bei der nächtlichen Lampe wünscht und niederschreibe, ist hier verwirklicht.<lb/> Welche Anstalten zur Glückseligkeit des Volkes! Welche bis ins kleinste ausge¬<lb/> arbeitete Polizei! Das beste, herrlichste Kollegium, das man über die Polizei<lb/> und Kameralwissenschaften lesen kann, ist wohl diese Sammlung. Alles läßt sich,<lb/> mit geringer Änderung, auf jeden Staat anwenden. Heil dir, Karl Friedrich,<lb/> vor Gott und allem Volke!" Am 7. Dezember 1775 wird hervorgehoben, daß<lb/> das Beispiel Karl Friedrichs erst kürzlich Nachahmung gefunden habe durch<lb/> vortreffliche Polizeieinrichtungen in Wien, München und Mannheim. Von jener<lb/> Opposition gegen Vielregiererei und jenem Widerstreben gegen büreaukratische<lb/> Bevormundung und überflüssige Belästigung durch polizeiliches Reglementiren,<lb/> welches später einen Hauptzug des deutschen Liberalismus ausmachte, ist bei</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0279]
Gin süddeutscher Patriot vor hundert Zähren.
wie die ungeheure Mehrheit der gebildeten Deutschen jener Zeit, die Monarchie
in der Form unumschränkter Fürstengewalt grundsätzlich als die den kontinen¬
talen Zuständen angemessenste Regierungsform betrachtete, der durfte wohl
stolz sein ans mauches, was in gut regierten deutschen Ländern doch weit
besser war, als in dem durch Druck und Willkür des Hofes, durch Mätressen¬
regiment und einen sittlich verkommenen Hofadel heruntergebrachten Frankreich.
In rührender Weise erzählt die Chronik vom 20. November 1775: „Die Unter¬
thanen des Fürsten von Dessau sollten im letzten deutschen Kriege eine starke
Kontribution bezahlen. Das wird ihnen weh thun, dachte der edelmütigste
Fürst. Verkaufte sein Silberzeug, Juwelen und andre Kostbarkeiten und zahlte
die Summe selbst, und da er die Not seiner Unterthanen erkannte, verließ er
sein Land und reiste einige Jahre als bloßer Kavalier, in der Absicht, seinem
Volke die Abgaben zu ersparen und Schulden, die er nicht gemacht hatte, ab¬
zutragen." Das Ideal einer wohlwollenden und aufgeklärten Verwaltung
aber lag dem Chronikschreiber, namentlich seit das Blatt in Ulm herauskam,
ganz in der Nähe. Es ist die Verwaltung Karl Friedrichs in der Markgraf¬
schaft Vadeu-Durlach. „Dorther — schreibt Schubart (1774, S. 447) — er¬
halten wir in drei Bänden eine vollständige Sammlung aller Baden-Dnrlachscheu
Anstalten und Verordnungen, von Herrn Gerstlacher gesammelt und mit einer
sehr lehrreichen Vorrede herausgegeben. Diese Anstalten und Verordnungen
verbreiten sich über die wichtigsten Gegenstände des Staates, über Kirchen- und
Schulwesen, über das Leben und die Gesundheit der Menschen, die Versorgung
der Armen und Steuerung des Bettels, die innere Landessicherheit, die Ver¬
sorgung der Witwen und Waisen, die Verhütung der Feuersgefahr und Ent¬
schädigung der durch Brand verunglückten, die Förderung der Kommunen, die
Erhaltung der Wege und Straßen, die Beförderung des Nahrungsstandes und
der Landwirtschaft und endlich die Pflege der Professionen und Handwerke.
Baden-Durlach gehört seit der weisen Regierung des jetzigen Fürsten unter die
glücklichsten und am besten eingerichteten Staaten der Welt, sodaß andre
Provinzen mit nachahmender Eifersucht darauf Hinblicken. Was der spekulative
Weise bei der nächtlichen Lampe wünscht und niederschreibe, ist hier verwirklicht.
Welche Anstalten zur Glückseligkeit des Volkes! Welche bis ins kleinste ausge¬
arbeitete Polizei! Das beste, herrlichste Kollegium, das man über die Polizei
und Kameralwissenschaften lesen kann, ist wohl diese Sammlung. Alles läßt sich,
mit geringer Änderung, auf jeden Staat anwenden. Heil dir, Karl Friedrich,
vor Gott und allem Volke!" Am 7. Dezember 1775 wird hervorgehoben, daß
das Beispiel Karl Friedrichs erst kürzlich Nachahmung gefunden habe durch
vortreffliche Polizeieinrichtungen in Wien, München und Mannheim. Von jener
Opposition gegen Vielregiererei und jenem Widerstreben gegen büreaukratische
Bevormundung und überflüssige Belästigung durch polizeiliches Reglementiren,
welches später einen Hauptzug des deutschen Liberalismus ausmachte, ist bei
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