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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Lin süddeutscher Patriot vor hundert Jahren.

den windigen Rokoko-Franzosen und seinen noch windigeren Nachäffer in Gegen¬
satz zu stellen zum Kerndeutschen, zu "ganzen Kerls," wie etwa Klopstock, Fritz
Stolberg oder Goethe. Das Franzosentum, wie es chcirakterisirt ist durch die
Namen der Pompadour und Dübarry, ist die ständige Zielscheibe seines Spottes
und Hohnes. Daß der deutsche Adel sich noch immer nicht dieser zu seichter,
schwächlicher, weibischer Afterbildung ausgearteten Kultur entziehen will, ist
der Hauptvorwurf. den Schubart gegen die deutsche Aristokratie erhebt, deren
Rechte und Vorrechte er sonst zu achten geneigt ist. "Ich hab' es gesehen,
welchen elenden Leuten unser Adel seine Kinder zur Erziehung anvertraut. Der
Kerl darf nur eine Drahtpuppe sein, in modischen Kleidern stolziren, ein gut
gekräuseltes Haar haben, dem Unsinn seines gnädigen Patrons Beifall zunicken,
der gnädigen Fran am Pntztisch ein Feenmärchen vorlesen und mit ihrer
Kammerjungfer vertraut sein, so ist er der beste Hofmeister von der Welt. Da
schießt denn der Innrer wie ein Pilz neben ihm auf, weiß nichts von Gott,
Weisheit und Tugend -- genug, das Herrchen ist alle Tage frisirt, schießt
Spatzen, familiarisirt sich mit seinen Hunden, tanzt ein Menuett, klimpert was
Ärmliches auf dem Klavier und leckt den ankommenden gnädigen Fräuleins
sehr artig die Hände. Und bei diesen Leuten soll der Schriftsteller den guten
Ton studiren? Daß Gott erbarm!"

Das wirkliche und ernsthafte staatliche Leben hatte sich im vorigen Jahr¬
hundert aus dem Reiche und seinen Organen beinahe ganz zurückgezogen in die
einzelnen Territorien, die je nach ihrer verschiedenen Größe, Art und Beschciffeu-
heit freilich ein sehr verschiedenes Bild darboten. Sofern eigentliche staatliche
Thätigkeit in Frage kommt, haftet daher der Blick des patriotischen Publizisten
vorzugsweise an den Handlungen der halb- oder mehr als halbsonveräncn
Partikulargewaltcn. Hier trat nun freilich ganz besonders die Zweiseitigkeit
der Zeit und ihrer Entwicklung zu Tage. Es war die Zeit des aufgeklärten
Absolutismus. Unendlich viel, ja beinahe alles hing bei dieser Regierungsform
von der Persönlichkeit des Regenten ab. War dieser wohlwollend und tüchtig,
so mochte das Volk sich nicht wohl etwas Besseres wünschen, als einen solchen
Landesvater; kam das Regiment an einen herzlosen Egoisten und Lüstling, so
war es, als ob Land und Leute einem Räuber in die Hände gefallen wären.
Im Vergleiche mit Frankreich gewährte die Vielherrschaft im deutschen Vater¬
lande den Patrioten den Trost, daß doch von so vielen Staatsoberhäuptern
nicht alle zugleich schlecht sein könnten. In der That hat Deutschland gerade
in dieser Zeit, sogar auch in geistlichen Staaten, eine Reihe von regierenden
Herren auszuweisen, deren Andenken verdient, in Ehren gehalten zu werden,
auch ganz abgesehen von Friedrich und der großen Habsburgerin Theresia. Da
gab es denn viel Löbliches und Erfreuliches zu berichten von Maßnahmen
einer aufgeklärten Verwaltung, einer vorsorglicher Polizei und einer aufs all¬
gemeine Wohl bedachten Volkswirtschaftspflege. Wer einmal, wie Schubart und


Lin süddeutscher Patriot vor hundert Jahren.

den windigen Rokoko-Franzosen und seinen noch windigeren Nachäffer in Gegen¬
satz zu stellen zum Kerndeutschen, zu „ganzen Kerls," wie etwa Klopstock, Fritz
Stolberg oder Goethe. Das Franzosentum, wie es chcirakterisirt ist durch die
Namen der Pompadour und Dübarry, ist die ständige Zielscheibe seines Spottes
und Hohnes. Daß der deutsche Adel sich noch immer nicht dieser zu seichter,
schwächlicher, weibischer Afterbildung ausgearteten Kultur entziehen will, ist
der Hauptvorwurf. den Schubart gegen die deutsche Aristokratie erhebt, deren
Rechte und Vorrechte er sonst zu achten geneigt ist. „Ich hab' es gesehen,
welchen elenden Leuten unser Adel seine Kinder zur Erziehung anvertraut. Der
Kerl darf nur eine Drahtpuppe sein, in modischen Kleidern stolziren, ein gut
gekräuseltes Haar haben, dem Unsinn seines gnädigen Patrons Beifall zunicken,
der gnädigen Fran am Pntztisch ein Feenmärchen vorlesen und mit ihrer
Kammerjungfer vertraut sein, so ist er der beste Hofmeister von der Welt. Da
schießt denn der Innrer wie ein Pilz neben ihm auf, weiß nichts von Gott,
Weisheit und Tugend — genug, das Herrchen ist alle Tage frisirt, schießt
Spatzen, familiarisirt sich mit seinen Hunden, tanzt ein Menuett, klimpert was
Ärmliches auf dem Klavier und leckt den ankommenden gnädigen Fräuleins
sehr artig die Hände. Und bei diesen Leuten soll der Schriftsteller den guten
Ton studiren? Daß Gott erbarm!"

Das wirkliche und ernsthafte staatliche Leben hatte sich im vorigen Jahr¬
hundert aus dem Reiche und seinen Organen beinahe ganz zurückgezogen in die
einzelnen Territorien, die je nach ihrer verschiedenen Größe, Art und Beschciffeu-
heit freilich ein sehr verschiedenes Bild darboten. Sofern eigentliche staatliche
Thätigkeit in Frage kommt, haftet daher der Blick des patriotischen Publizisten
vorzugsweise an den Handlungen der halb- oder mehr als halbsonveräncn
Partikulargewaltcn. Hier trat nun freilich ganz besonders die Zweiseitigkeit
der Zeit und ihrer Entwicklung zu Tage. Es war die Zeit des aufgeklärten
Absolutismus. Unendlich viel, ja beinahe alles hing bei dieser Regierungsform
von der Persönlichkeit des Regenten ab. War dieser wohlwollend und tüchtig,
so mochte das Volk sich nicht wohl etwas Besseres wünschen, als einen solchen
Landesvater; kam das Regiment an einen herzlosen Egoisten und Lüstling, so
war es, als ob Land und Leute einem Räuber in die Hände gefallen wären.
Im Vergleiche mit Frankreich gewährte die Vielherrschaft im deutschen Vater¬
lande den Patrioten den Trost, daß doch von so vielen Staatsoberhäuptern
nicht alle zugleich schlecht sein könnten. In der That hat Deutschland gerade
in dieser Zeit, sogar auch in geistlichen Staaten, eine Reihe von regierenden
Herren auszuweisen, deren Andenken verdient, in Ehren gehalten zu werden,
auch ganz abgesehen von Friedrich und der großen Habsburgerin Theresia. Da
gab es denn viel Löbliches und Erfreuliches zu berichten von Maßnahmen
einer aufgeklärten Verwaltung, einer vorsorglicher Polizei und einer aufs all¬
gemeine Wohl bedachten Volkswirtschaftspflege. Wer einmal, wie Schubart und


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[0278] Lin süddeutscher Patriot vor hundert Jahren. den windigen Rokoko-Franzosen und seinen noch windigeren Nachäffer in Gegen¬ satz zu stellen zum Kerndeutschen, zu „ganzen Kerls," wie etwa Klopstock, Fritz Stolberg oder Goethe. Das Franzosentum, wie es chcirakterisirt ist durch die Namen der Pompadour und Dübarry, ist die ständige Zielscheibe seines Spottes und Hohnes. Daß der deutsche Adel sich noch immer nicht dieser zu seichter, schwächlicher, weibischer Afterbildung ausgearteten Kultur entziehen will, ist der Hauptvorwurf. den Schubart gegen die deutsche Aristokratie erhebt, deren Rechte und Vorrechte er sonst zu achten geneigt ist. „Ich hab' es gesehen, welchen elenden Leuten unser Adel seine Kinder zur Erziehung anvertraut. Der Kerl darf nur eine Drahtpuppe sein, in modischen Kleidern stolziren, ein gut gekräuseltes Haar haben, dem Unsinn seines gnädigen Patrons Beifall zunicken, der gnädigen Fran am Pntztisch ein Feenmärchen vorlesen und mit ihrer Kammerjungfer vertraut sein, so ist er der beste Hofmeister von der Welt. Da schießt denn der Innrer wie ein Pilz neben ihm auf, weiß nichts von Gott, Weisheit und Tugend — genug, das Herrchen ist alle Tage frisirt, schießt Spatzen, familiarisirt sich mit seinen Hunden, tanzt ein Menuett, klimpert was Ärmliches auf dem Klavier und leckt den ankommenden gnädigen Fräuleins sehr artig die Hände. Und bei diesen Leuten soll der Schriftsteller den guten Ton studiren? Daß Gott erbarm!" Das wirkliche und ernsthafte staatliche Leben hatte sich im vorigen Jahr¬ hundert aus dem Reiche und seinen Organen beinahe ganz zurückgezogen in die einzelnen Territorien, die je nach ihrer verschiedenen Größe, Art und Beschciffeu- heit freilich ein sehr verschiedenes Bild darboten. Sofern eigentliche staatliche Thätigkeit in Frage kommt, haftet daher der Blick des patriotischen Publizisten vorzugsweise an den Handlungen der halb- oder mehr als halbsonveräncn Partikulargewaltcn. Hier trat nun freilich ganz besonders die Zweiseitigkeit der Zeit und ihrer Entwicklung zu Tage. Es war die Zeit des aufgeklärten Absolutismus. Unendlich viel, ja beinahe alles hing bei dieser Regierungsform von der Persönlichkeit des Regenten ab. War dieser wohlwollend und tüchtig, so mochte das Volk sich nicht wohl etwas Besseres wünschen, als einen solchen Landesvater; kam das Regiment an einen herzlosen Egoisten und Lüstling, so war es, als ob Land und Leute einem Räuber in die Hände gefallen wären. Im Vergleiche mit Frankreich gewährte die Vielherrschaft im deutschen Vater¬ lande den Patrioten den Trost, daß doch von so vielen Staatsoberhäuptern nicht alle zugleich schlecht sein könnten. In der That hat Deutschland gerade in dieser Zeit, sogar auch in geistlichen Staaten, eine Reihe von regierenden Herren auszuweisen, deren Andenken verdient, in Ehren gehalten zu werden, auch ganz abgesehen von Friedrich und der großen Habsburgerin Theresia. Da gab es denn viel Löbliches und Erfreuliches zu berichten von Maßnahmen einer aufgeklärten Verwaltung, einer vorsorglicher Polizei und einer aufs all¬ gemeine Wohl bedachten Volkswirtschaftspflege. Wer einmal, wie Schubart und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/278>, abgerufen am 23.07.2024.