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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Lin süddeutscher Patriot vor hundert Jahren.

gekommen. Ein freudig patriotisches Bewußtsein spricht sich in den Worten aus,
mit denen Christian Daniel Schubart im Jahre 1774 zu Augsburg seine
"Deutsche Chronik" eröffnete. "Haben wir jemals -- sagt hier der später so
unglücklich gewordene Dichter und Publizist -- Ursache gehabt, stolz auf unser
Vaterland zu sein, so ist es gewiß der gegenwärtige Zeitpunkt. Der Ausländer
blickt itzo mit Neid auf eine Nation hin, die er sonst durch Ränke und Moden
zu bezwingen suchte, aber niemals bezwang. Wir, die wir sonsten zur knech¬
tischen Herde der Nachahmer hinabgestoßen wurden, stehen nun als Kolosse auf
europäischem Boden und werden an Mut und Genie Originale vor unsern
Nachbarn. Wir haben einen Kaiser Josef und einen König Friedrich, die, auf
jeder Seite betrachtet, die Einzigen in der Welt sind." Das deutsche Selbst¬
bewußtsein scheute nicht mehr den Vergleich mit den Fremden, im Gegenteil,
wenn unsre Vorzüge gegen die jeder andern Nation in die Wagschale geworfen
wurden, so schien die Entscheidung zu unsern Gunsten zu fallen. Allerdings
tritt auch sofort in charakteristischer Weise hervor, daß vornehmlich auf persön¬
liche Eigenschaften Gewicht gelegt wurde; sonst hätte der Zweifel sich melden
müssen, ob Deutschland nicht mit einem großen Herrscher besser fahren würde,
als mit zweien. So viel war noch übrig vom einheitlichen Reichsgedanken,
daß diese Erwägung nicht ganz außerhalb des Gesichtskreises der Zeit blieb.
Ruft doch Schubart selbst an einer andern Stelle aus: "Ich bin Cäsarianer!"
Aber freilich, die Größe seines Friedrich, dem er von Kindesbeinen an, neben
Klopstock, die glühendste Bewunderung gezollt hatte, hätte Schubart darum
nicht missen mögen. Ja für eine ferne Zukunft wagte er sogar den Traum
zu träumen, daß einem andern Friedrich alle diese Macht zufallen würde, die
jetzt nur vom deutschen Namen umfaßt wurde. Ein politisches Phantasiegemälde
des Franzosen Mercier, betitelt "Das Jahr 2440," hatte damals viele Leser ge¬
funden. Schubart macht in seiner Chronik (Jahrgang 1776, S. 587) darauf
aufmerksam, daß schon früher in ähnlicher prophetischer Weise ein Engländer
ein Leben Georgs VI., eine Chronik des zwanzigsten Jahrhunderts, geschrieben
habe. Und der Engländer, meint Schubart, übertreffe den Franzosen an Wahr¬
scheinlichkeit der Schlüsse bezüglich der Veränderungen, welche bis zu dem von
ihm herausgegriffenen Zeitpunkte in den europäischen Zuständen eingetroffen sein
würden. Unter den angeführten Phantasien interesstren uns heutzutage vor¬
nehmlich zwei: "In Italien herrscht ein König in Venedig und ein König in
Neapel, der nun seinen Thron in Rom aufschlug und dem Bischof manchmal
die Ehre erweist, ihn zur Tafel zu ziehen. In Teutschland herrscht Kaiser
Friedrich, der die preußischen und österreichischen Staaten zusammen besitzt, die
Schweiz eroberte und die Türken aus Europa drängte. Alle Kurfürstentümer,
Herzogtümer, Fürstentümer, Freistaaten sind verschwunden. Elsaß und Loth¬
ringen sind wieder teutsche Provinzen." Den Ideen der Zeit gemäß ist der
hier geträumte Friedrich nicht als Nachfahre der Staufer, sondern jedenfalls als


Lin süddeutscher Patriot vor hundert Jahren.

gekommen. Ein freudig patriotisches Bewußtsein spricht sich in den Worten aus,
mit denen Christian Daniel Schubart im Jahre 1774 zu Augsburg seine
„Deutsche Chronik" eröffnete. „Haben wir jemals — sagt hier der später so
unglücklich gewordene Dichter und Publizist — Ursache gehabt, stolz auf unser
Vaterland zu sein, so ist es gewiß der gegenwärtige Zeitpunkt. Der Ausländer
blickt itzo mit Neid auf eine Nation hin, die er sonst durch Ränke und Moden
zu bezwingen suchte, aber niemals bezwang. Wir, die wir sonsten zur knech¬
tischen Herde der Nachahmer hinabgestoßen wurden, stehen nun als Kolosse auf
europäischem Boden und werden an Mut und Genie Originale vor unsern
Nachbarn. Wir haben einen Kaiser Josef und einen König Friedrich, die, auf
jeder Seite betrachtet, die Einzigen in der Welt sind." Das deutsche Selbst¬
bewußtsein scheute nicht mehr den Vergleich mit den Fremden, im Gegenteil,
wenn unsre Vorzüge gegen die jeder andern Nation in die Wagschale geworfen
wurden, so schien die Entscheidung zu unsern Gunsten zu fallen. Allerdings
tritt auch sofort in charakteristischer Weise hervor, daß vornehmlich auf persön¬
liche Eigenschaften Gewicht gelegt wurde; sonst hätte der Zweifel sich melden
müssen, ob Deutschland nicht mit einem großen Herrscher besser fahren würde,
als mit zweien. So viel war noch übrig vom einheitlichen Reichsgedanken,
daß diese Erwägung nicht ganz außerhalb des Gesichtskreises der Zeit blieb.
Ruft doch Schubart selbst an einer andern Stelle aus: „Ich bin Cäsarianer!"
Aber freilich, die Größe seines Friedrich, dem er von Kindesbeinen an, neben
Klopstock, die glühendste Bewunderung gezollt hatte, hätte Schubart darum
nicht missen mögen. Ja für eine ferne Zukunft wagte er sogar den Traum
zu träumen, daß einem andern Friedrich alle diese Macht zufallen würde, die
jetzt nur vom deutschen Namen umfaßt wurde. Ein politisches Phantasiegemälde
des Franzosen Mercier, betitelt „Das Jahr 2440," hatte damals viele Leser ge¬
funden. Schubart macht in seiner Chronik (Jahrgang 1776, S. 587) darauf
aufmerksam, daß schon früher in ähnlicher prophetischer Weise ein Engländer
ein Leben Georgs VI., eine Chronik des zwanzigsten Jahrhunderts, geschrieben
habe. Und der Engländer, meint Schubart, übertreffe den Franzosen an Wahr¬
scheinlichkeit der Schlüsse bezüglich der Veränderungen, welche bis zu dem von
ihm herausgegriffenen Zeitpunkte in den europäischen Zuständen eingetroffen sein
würden. Unter den angeführten Phantasien interesstren uns heutzutage vor¬
nehmlich zwei: „In Italien herrscht ein König in Venedig und ein König in
Neapel, der nun seinen Thron in Rom aufschlug und dem Bischof manchmal
die Ehre erweist, ihn zur Tafel zu ziehen. In Teutschland herrscht Kaiser
Friedrich, der die preußischen und österreichischen Staaten zusammen besitzt, die
Schweiz eroberte und die Türken aus Europa drängte. Alle Kurfürstentümer,
Herzogtümer, Fürstentümer, Freistaaten sind verschwunden. Elsaß und Loth¬
ringen sind wieder teutsche Provinzen." Den Ideen der Zeit gemäß ist der
hier geträumte Friedrich nicht als Nachfahre der Staufer, sondern jedenfalls als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/275>, abgerufen am 23.07.2024.