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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Klagen eines Zeitungsschreibers.

bei dieser Zwcrgpresse gesteigert, und wennschon bei der Polemik der größeren
Blätter nicht immer der feinste Ton innegehalten wird, so tragen die Streitig¬
keiten dieser Blättchen ein noch viel kleinlicheres Gepräge. Von dem Abhub
der größeren Blätter zum Teil sich nährend, mit schwächeren Kräften als diese
ausgerüstet, bringen sie die Ansichten der politischen Parteien oft nur in ver¬
zerrter Gestalt vor das Publikum. Und wenn dann in einer Kleinstadt gar
mehrere solcher Zeitungen herausgegeben werden, die dann einen grimmigen
Kampf ums Dasein zu führen gezwungen sind, so mischt sich gar zu leicht
Brotneid und persönliche Bitterkeit hinein. Die politische Meinungsverschieden¬
heit wird dann oft nur das Aushängeschild sein, hinter dem sich persönliche
Beweggründe bergen. Und so entsteht jene falsche sittliche Entrüstung, die
sich auf unwichtige Gegenstände richtet und aus kleinlichen, persönlichen Beweg¬
gründen entspringt, und die auf den Unbeteiligten entweder einen anwidernden
oder einen komischen Eindruck machen muß. Wie köstlich hat das Dickens in
seinen Pickwickiern geschildert, wo zwei kleinstädtische Redakteure vollständig
in dem Wcchue befangen sind, daß die ganze Welt sich um sie und ihre Privat¬
zänkereien drehe. Übrigens könnten wir von England, meine ich, lernen. Die
dort bestehende Einrichtung, daß kleinere Ausgaben der größeren Blätter für
die Bewohner des Landes und der Kleinstadt veranstaltet werden, würde sich
auch bei uns empfehlen und diesen Leuten einen bessern Lesestoff verschaffen.

Außer diesen kleinen Blätter werden nun freilich hin und wieder von
Privatleuten, sowie in größeren Wirtschaftslokalen, Klubzimmern u. s. w. größere
Zeitungen, oder wenigstens eine größere, meistens die verbreitetste Zeitung der
Provinz, gehalten. Aber diese tragen die geringsten Lesespuren. Und doch besteht
dies Publikum, welches dem politischen Teile der Zeitungen so geringes Interesse
schenkt, aus denselben Personen, die durch das Wahlrecht die Bestimmung über
Wohl oder Wehe des Vaterlandes in der Hand halten, von denen daher auch eine
Einsicht in das, was dem Vaterlande frommt, mit Recht verlangt werden darf.

Ganz abgesehen davon aber, wie man sich zu den politischen Tagesfragen
stellt, ob man ihnen geringere Bedeutung beilegt oder mit Leib und Seele ein
Parteimann ist, nicht so sehr Gleichgiltigkeit gegen diese Fragen, als der Mangel
höherer geistiger Interessen überhaupt ist es, was ich in den vorstehenden
Zeilen dem Publikum zum Vorwurf mache, wie aus seiner wenig kritische,:
Auswahl des Lesestoffes hervorgeht. Und daß dieses so ist, muß jeden schmerzen,
der an der Tagespresse arbeitet und wohl zur Belehrung und Aufklärung
seiner Mitmenschen beitragen möchte. Denn auch für die bessere Tagespresse
gilt es ja, daß sie nicht zu tief und gründlich Verfahren darf, was auch schon
die Beschränkung des Raumes verbietet.

Man wird mir erwiedern, daß ich ungerecht sei, indem ich von einem
Publikum, das auf keiner hohen Bildungsstufe stehe, Interessen und Bedürf¬
nisse erwarte, die dasselbe gar nicht besitzen könne, oder von vielbeschäftigten


Grenzboten III. 1887. 30
Klagen eines Zeitungsschreibers.

bei dieser Zwcrgpresse gesteigert, und wennschon bei der Polemik der größeren
Blätter nicht immer der feinste Ton innegehalten wird, so tragen die Streitig¬
keiten dieser Blättchen ein noch viel kleinlicheres Gepräge. Von dem Abhub
der größeren Blätter zum Teil sich nährend, mit schwächeren Kräften als diese
ausgerüstet, bringen sie die Ansichten der politischen Parteien oft nur in ver¬
zerrter Gestalt vor das Publikum. Und wenn dann in einer Kleinstadt gar
mehrere solcher Zeitungen herausgegeben werden, die dann einen grimmigen
Kampf ums Dasein zu führen gezwungen sind, so mischt sich gar zu leicht
Brotneid und persönliche Bitterkeit hinein. Die politische Meinungsverschieden¬
heit wird dann oft nur das Aushängeschild sein, hinter dem sich persönliche
Beweggründe bergen. Und so entsteht jene falsche sittliche Entrüstung, die
sich auf unwichtige Gegenstände richtet und aus kleinlichen, persönlichen Beweg¬
gründen entspringt, und die auf den Unbeteiligten entweder einen anwidernden
oder einen komischen Eindruck machen muß. Wie köstlich hat das Dickens in
seinen Pickwickiern geschildert, wo zwei kleinstädtische Redakteure vollständig
in dem Wcchue befangen sind, daß die ganze Welt sich um sie und ihre Privat¬
zänkereien drehe. Übrigens könnten wir von England, meine ich, lernen. Die
dort bestehende Einrichtung, daß kleinere Ausgaben der größeren Blätter für
die Bewohner des Landes und der Kleinstadt veranstaltet werden, würde sich
auch bei uns empfehlen und diesen Leuten einen bessern Lesestoff verschaffen.

Außer diesen kleinen Blätter werden nun freilich hin und wieder von
Privatleuten, sowie in größeren Wirtschaftslokalen, Klubzimmern u. s. w. größere
Zeitungen, oder wenigstens eine größere, meistens die verbreitetste Zeitung der
Provinz, gehalten. Aber diese tragen die geringsten Lesespuren. Und doch besteht
dies Publikum, welches dem politischen Teile der Zeitungen so geringes Interesse
schenkt, aus denselben Personen, die durch das Wahlrecht die Bestimmung über
Wohl oder Wehe des Vaterlandes in der Hand halten, von denen daher auch eine
Einsicht in das, was dem Vaterlande frommt, mit Recht verlangt werden darf.

Ganz abgesehen davon aber, wie man sich zu den politischen Tagesfragen
stellt, ob man ihnen geringere Bedeutung beilegt oder mit Leib und Seele ein
Parteimann ist, nicht so sehr Gleichgiltigkeit gegen diese Fragen, als der Mangel
höherer geistiger Interessen überhaupt ist es, was ich in den vorstehenden
Zeilen dem Publikum zum Vorwurf mache, wie aus seiner wenig kritische,:
Auswahl des Lesestoffes hervorgeht. Und daß dieses so ist, muß jeden schmerzen,
der an der Tagespresse arbeitet und wohl zur Belehrung und Aufklärung
seiner Mitmenschen beitragen möchte. Denn auch für die bessere Tagespresse
gilt es ja, daß sie nicht zu tief und gründlich Verfahren darf, was auch schon
die Beschränkung des Raumes verbietet.

Man wird mir erwiedern, daß ich ungerecht sei, indem ich von einem
Publikum, das auf keiner hohen Bildungsstufe stehe, Interessen und Bedürf¬
nisse erwarte, die dasselbe gar nicht besitzen könne, oder von vielbeschäftigten


Grenzboten III. 1887. 30
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[0241] Klagen eines Zeitungsschreibers. bei dieser Zwcrgpresse gesteigert, und wennschon bei der Polemik der größeren Blätter nicht immer der feinste Ton innegehalten wird, so tragen die Streitig¬ keiten dieser Blättchen ein noch viel kleinlicheres Gepräge. Von dem Abhub der größeren Blätter zum Teil sich nährend, mit schwächeren Kräften als diese ausgerüstet, bringen sie die Ansichten der politischen Parteien oft nur in ver¬ zerrter Gestalt vor das Publikum. Und wenn dann in einer Kleinstadt gar mehrere solcher Zeitungen herausgegeben werden, die dann einen grimmigen Kampf ums Dasein zu führen gezwungen sind, so mischt sich gar zu leicht Brotneid und persönliche Bitterkeit hinein. Die politische Meinungsverschieden¬ heit wird dann oft nur das Aushängeschild sein, hinter dem sich persönliche Beweggründe bergen. Und so entsteht jene falsche sittliche Entrüstung, die sich auf unwichtige Gegenstände richtet und aus kleinlichen, persönlichen Beweg¬ gründen entspringt, und die auf den Unbeteiligten entweder einen anwidernden oder einen komischen Eindruck machen muß. Wie köstlich hat das Dickens in seinen Pickwickiern geschildert, wo zwei kleinstädtische Redakteure vollständig in dem Wcchue befangen sind, daß die ganze Welt sich um sie und ihre Privat¬ zänkereien drehe. Übrigens könnten wir von England, meine ich, lernen. Die dort bestehende Einrichtung, daß kleinere Ausgaben der größeren Blätter für die Bewohner des Landes und der Kleinstadt veranstaltet werden, würde sich auch bei uns empfehlen und diesen Leuten einen bessern Lesestoff verschaffen. Außer diesen kleinen Blätter werden nun freilich hin und wieder von Privatleuten, sowie in größeren Wirtschaftslokalen, Klubzimmern u. s. w. größere Zeitungen, oder wenigstens eine größere, meistens die verbreitetste Zeitung der Provinz, gehalten. Aber diese tragen die geringsten Lesespuren. Und doch besteht dies Publikum, welches dem politischen Teile der Zeitungen so geringes Interesse schenkt, aus denselben Personen, die durch das Wahlrecht die Bestimmung über Wohl oder Wehe des Vaterlandes in der Hand halten, von denen daher auch eine Einsicht in das, was dem Vaterlande frommt, mit Recht verlangt werden darf. Ganz abgesehen davon aber, wie man sich zu den politischen Tagesfragen stellt, ob man ihnen geringere Bedeutung beilegt oder mit Leib und Seele ein Parteimann ist, nicht so sehr Gleichgiltigkeit gegen diese Fragen, als der Mangel höherer geistiger Interessen überhaupt ist es, was ich in den vorstehenden Zeilen dem Publikum zum Vorwurf mache, wie aus seiner wenig kritische,: Auswahl des Lesestoffes hervorgeht. Und daß dieses so ist, muß jeden schmerzen, der an der Tagespresse arbeitet und wohl zur Belehrung und Aufklärung seiner Mitmenschen beitragen möchte. Denn auch für die bessere Tagespresse gilt es ja, daß sie nicht zu tief und gründlich Verfahren darf, was auch schon die Beschränkung des Raumes verbietet. Man wird mir erwiedern, daß ich ungerecht sei, indem ich von einem Publikum, das auf keiner hohen Bildungsstufe stehe, Interessen und Bedürf¬ nisse erwarte, die dasselbe gar nicht besitzen könne, oder von vielbeschäftigten Grenzboten III. 1887. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/241>, abgerufen am 23.07.2024.