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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

die seiner hcirrie, einen langen, langen Brief, worin er sie beschwor, sich von
ihrem Manne scheiden zu lassen. Die Erstarrung der Falschheit dürfe sie nicht
dulden, es sei ein Wahn, wenn sie meine, ohne ein bestimmtes Abbrechen den
Frieden wieder zu gewinnen. Sie solle zu ihm kommen in seine Berge, er
erwarte sie. Wahrscheinlich stellte er ihr ein Zusammenleben im Geiste in
Aussicht, wie ein Jahr später noch der Schwester seiner Verlobten, der Frau
von Veulwitz. Charlotte antwortete nicht mit einem Briefe, sondern mit einem
ganzen Hefte, sie mußte ihm doch ihr Innerstes, ihr Leben enthüllen. Das
Schreiben ist nicht erhalten geblieben, es ist vernichtet worden, wie das Schillers,
aber aus ihren Memoiren läßt sich schließen, daß sie die Ehe als das Band
der Vereinigung forderte. Schiller antwortete nicht. Am 12. November kam
er selbst nach Weimar zurück und überbrachte ihr einen Brief von Lottchen
von Leugefeld, in welchem diese um ihre Freundschaft bat, aber die Herzens¬
ergüsse, welche sie erwartete, blieben aus. Mehr und mehr zog er sich von
ihr zurück. Schon von Rudolstadt aus hatte er an Körner geschrieben: "Ich
widerrufe nichts, was ich von ihr ^der Kalb) geurteilt habe, sie ist ein geist¬
volles und edles Geschöpf, ihr Einfluß aber auf mich ist nicht wohlthätig ge¬
wesen." Von dieser Umwandlung hatte Charlotte noch keine Ahnung. Sie
freute sich, wenn der geliebte Mann sie einmal besuchte, und lenkte gern in den
Gang einer geistvollen, ernsten Unterhaltung ein, sodaß auch der verwandelte
Freund ihr seine Bewunderung nicht versagen konnte. Ja sie schrieb sogar an
ihren Gatten und deutete ihm die Veränderung um, die für seinen nud ihren
Frieden unvermeidlich wäre, das heißt Wohl, sie schlug ihm die Scheidung vor.
Aber sie erhielt keine Antwort. Im Frühjahr 1789 kam Herder aus Italien
zurück. Da eilte Charlotte in ihrer Herzensangst zu ihm und fragte ihn um
Rat. Auch er empfahl ihr, die Ehe mit dein Major aufzulösen. Es waren
schwere, sorgenvolle Wochen, die sie durchlebte. Schiller trat seine Professur
in Jena an, ohne ihr ein Wort des Trostes zu hinterlassen. Was sollte sie
thun? In ihrem Kummer las sie die Betrachtungen Montaigncs über die
Freundschaft und vertiefte sich in Herders Predigten. So stellte sie mühsam
eine künstliche Ruhe in sich her und suchte sich diese in äußerer Abgeschlossenheit
zu bewahren. Gegen Ende des Sommers war Schiller vier Tage in Weimar
und widmete ihr wieder einmal jede sreie Stunde. Er war oft in sinnender
Betrachtung, und es schien ihr, als ob er ihr etwas zu vertrauen, zu bekennen
hätte. "Noch einmal -- sagt sie -- wurde mein Leben wie durch einen Lebens¬
strahl erleuchtet, ich war umso erregter, als ich bedachtsam sein wollte." Sie
war begeistert, entzückt, sie hätte sterben mögen in diesen seligen Augenblicken.
Die Arme! Sie wußte nicht, daß sich Schiller am 3. August mit Charlotte
von Lengefcld heimlich verlobt hatte. Gegen Weihnachten kamen die Brüder
von Kalb nach Weimar. Sie hatten nichts gegen die Trennung, aber dann
sollte sie auch den Sohn hergeben. Das konnte sie nicht. War doch das


Dichterfreundinnen.

die seiner hcirrie, einen langen, langen Brief, worin er sie beschwor, sich von
ihrem Manne scheiden zu lassen. Die Erstarrung der Falschheit dürfe sie nicht
dulden, es sei ein Wahn, wenn sie meine, ohne ein bestimmtes Abbrechen den
Frieden wieder zu gewinnen. Sie solle zu ihm kommen in seine Berge, er
erwarte sie. Wahrscheinlich stellte er ihr ein Zusammenleben im Geiste in
Aussicht, wie ein Jahr später noch der Schwester seiner Verlobten, der Frau
von Veulwitz. Charlotte antwortete nicht mit einem Briefe, sondern mit einem
ganzen Hefte, sie mußte ihm doch ihr Innerstes, ihr Leben enthüllen. Das
Schreiben ist nicht erhalten geblieben, es ist vernichtet worden, wie das Schillers,
aber aus ihren Memoiren läßt sich schließen, daß sie die Ehe als das Band
der Vereinigung forderte. Schiller antwortete nicht. Am 12. November kam
er selbst nach Weimar zurück und überbrachte ihr einen Brief von Lottchen
von Leugefeld, in welchem diese um ihre Freundschaft bat, aber die Herzens¬
ergüsse, welche sie erwartete, blieben aus. Mehr und mehr zog er sich von
ihr zurück. Schon von Rudolstadt aus hatte er an Körner geschrieben: „Ich
widerrufe nichts, was ich von ihr ^der Kalb) geurteilt habe, sie ist ein geist¬
volles und edles Geschöpf, ihr Einfluß aber auf mich ist nicht wohlthätig ge¬
wesen." Von dieser Umwandlung hatte Charlotte noch keine Ahnung. Sie
freute sich, wenn der geliebte Mann sie einmal besuchte, und lenkte gern in den
Gang einer geistvollen, ernsten Unterhaltung ein, sodaß auch der verwandelte
Freund ihr seine Bewunderung nicht versagen konnte. Ja sie schrieb sogar an
ihren Gatten und deutete ihm die Veränderung um, die für seinen nud ihren
Frieden unvermeidlich wäre, das heißt Wohl, sie schlug ihm die Scheidung vor.
Aber sie erhielt keine Antwort. Im Frühjahr 1789 kam Herder aus Italien
zurück. Da eilte Charlotte in ihrer Herzensangst zu ihm und fragte ihn um
Rat. Auch er empfahl ihr, die Ehe mit dein Major aufzulösen. Es waren
schwere, sorgenvolle Wochen, die sie durchlebte. Schiller trat seine Professur
in Jena an, ohne ihr ein Wort des Trostes zu hinterlassen. Was sollte sie
thun? In ihrem Kummer las sie die Betrachtungen Montaigncs über die
Freundschaft und vertiefte sich in Herders Predigten. So stellte sie mühsam
eine künstliche Ruhe in sich her und suchte sich diese in äußerer Abgeschlossenheit
zu bewahren. Gegen Ende des Sommers war Schiller vier Tage in Weimar
und widmete ihr wieder einmal jede sreie Stunde. Er war oft in sinnender
Betrachtung, und es schien ihr, als ob er ihr etwas zu vertrauen, zu bekennen
hätte. „Noch einmal — sagt sie — wurde mein Leben wie durch einen Lebens¬
strahl erleuchtet, ich war umso erregter, als ich bedachtsam sein wollte." Sie
war begeistert, entzückt, sie hätte sterben mögen in diesen seligen Augenblicken.
Die Arme! Sie wußte nicht, daß sich Schiller am 3. August mit Charlotte
von Lengefcld heimlich verlobt hatte. Gegen Weihnachten kamen die Brüder
von Kalb nach Weimar. Sie hatten nichts gegen die Trennung, aber dann
sollte sie auch den Sohn hergeben. Das konnte sie nicht. War doch das


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[0234] Dichterfreundinnen. die seiner hcirrie, einen langen, langen Brief, worin er sie beschwor, sich von ihrem Manne scheiden zu lassen. Die Erstarrung der Falschheit dürfe sie nicht dulden, es sei ein Wahn, wenn sie meine, ohne ein bestimmtes Abbrechen den Frieden wieder zu gewinnen. Sie solle zu ihm kommen in seine Berge, er erwarte sie. Wahrscheinlich stellte er ihr ein Zusammenleben im Geiste in Aussicht, wie ein Jahr später noch der Schwester seiner Verlobten, der Frau von Veulwitz. Charlotte antwortete nicht mit einem Briefe, sondern mit einem ganzen Hefte, sie mußte ihm doch ihr Innerstes, ihr Leben enthüllen. Das Schreiben ist nicht erhalten geblieben, es ist vernichtet worden, wie das Schillers, aber aus ihren Memoiren läßt sich schließen, daß sie die Ehe als das Band der Vereinigung forderte. Schiller antwortete nicht. Am 12. November kam er selbst nach Weimar zurück und überbrachte ihr einen Brief von Lottchen von Leugefeld, in welchem diese um ihre Freundschaft bat, aber die Herzens¬ ergüsse, welche sie erwartete, blieben aus. Mehr und mehr zog er sich von ihr zurück. Schon von Rudolstadt aus hatte er an Körner geschrieben: „Ich widerrufe nichts, was ich von ihr ^der Kalb) geurteilt habe, sie ist ein geist¬ volles und edles Geschöpf, ihr Einfluß aber auf mich ist nicht wohlthätig ge¬ wesen." Von dieser Umwandlung hatte Charlotte noch keine Ahnung. Sie freute sich, wenn der geliebte Mann sie einmal besuchte, und lenkte gern in den Gang einer geistvollen, ernsten Unterhaltung ein, sodaß auch der verwandelte Freund ihr seine Bewunderung nicht versagen konnte. Ja sie schrieb sogar an ihren Gatten und deutete ihm die Veränderung um, die für seinen nud ihren Frieden unvermeidlich wäre, das heißt Wohl, sie schlug ihm die Scheidung vor. Aber sie erhielt keine Antwort. Im Frühjahr 1789 kam Herder aus Italien zurück. Da eilte Charlotte in ihrer Herzensangst zu ihm und fragte ihn um Rat. Auch er empfahl ihr, die Ehe mit dein Major aufzulösen. Es waren schwere, sorgenvolle Wochen, die sie durchlebte. Schiller trat seine Professur in Jena an, ohne ihr ein Wort des Trostes zu hinterlassen. Was sollte sie thun? In ihrem Kummer las sie die Betrachtungen Montaigncs über die Freundschaft und vertiefte sich in Herders Predigten. So stellte sie mühsam eine künstliche Ruhe in sich her und suchte sich diese in äußerer Abgeschlossenheit zu bewahren. Gegen Ende des Sommers war Schiller vier Tage in Weimar und widmete ihr wieder einmal jede sreie Stunde. Er war oft in sinnender Betrachtung, und es schien ihr, als ob er ihr etwas zu vertrauen, zu bekennen hätte. „Noch einmal — sagt sie — wurde mein Leben wie durch einen Lebens¬ strahl erleuchtet, ich war umso erregter, als ich bedachtsam sein wollte." Sie war begeistert, entzückt, sie hätte sterben mögen in diesen seligen Augenblicken. Die Arme! Sie wußte nicht, daß sich Schiller am 3. August mit Charlotte von Lengefcld heimlich verlobt hatte. Gegen Weihnachten kamen die Brüder von Kalb nach Weimar. Sie hatten nichts gegen die Trennung, aber dann sollte sie auch den Sohn hergeben. Das konnte sie nicht. War doch das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/234>, abgerufen am 23.07.2024.