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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

niederließ, nicht vollständig gehoben, ihre Vermögensverhältnisse verschlechterten
sich zusehends. Hatte doch der Präsident die Familie in seinem Eifer, die
Ostheimschen Güter zu verwalten, in einen kostspieligen und langwierigen Prozeß
verwickelt, zu dessen Bestreitung die Güter immer von neuem mit Schulden
belastet werden mußten! Dazu kam nun das auffällige Benehmen des Freundes,
in dessen Umgänge sie ihre Heiterkeit, ihre Gesundheit wiedergewonnen hatte.
Im Herbst des Jahres 1787 kam ihr Gemahl nach Deutschland zurück, der
Prozeß verlangte seine Gegenwart. Charlotte reiste ihm bis Kalbsrieth ent¬
gegen und brachte ihn im Dezember nach Weimar. Schiller findet in ihm
ganz den "alten," aber er zweifelt, ob die Gegenwart des Mannes ihn lassen
werde, wie er sei, anderseits fürchtet er, daß des Majors Billigkeit und Stärke
durch Einmischung fremder Personen und dnrch die dienstfertige Ohrenblüserei
auf eine harte Probe gestellt werden könnte. Infolge dessen zog er sich mehr
und mehr von Charlotten zurück. Diese bewahrte ihre wiedergewonnene Heiter¬
keit, so gut es anging, und führte ihren Mann in die Gesellschaft ein, wo er
durch seine Erzählungen aus Amerika und Frankreich Aufmerksamkeit erregte,
aber sie fand immer wieder, daß ihre Bestrebungen von denen ihres Mannes
weit ablagen und daß sich darum eine Harmonie der Gemüter nicht herstellen
ließ. Je mehr sich Schiller von ihr entfernte, desto mehr fühlte sie, wie viel
sie an ihm verlor. Und daß der Erwählte ihrer Seele auch an ihrer irdischen
und weiblichen Existenz Gefallen funde, sie ganz liebte und begehrte, hatte doch
etwas Berauschendes für sie. Gewiß hatte es ihr weh gethan, ihn fern halten
zu müssen. Wie, wenn sich eine Form finden ließ, in welcher sie ihm Erholung,
Gewährung hoffen lassen konnte, ohne daß die bürgerliche Gesellschaft, deren
Urteil sie fürchtete, sie zu verdammen ein Recht hätte! So keimte in ihr der
Wunsch, sich von ihrem Manne scheiden zu lassen, und ihre Liebe ward zur
Leidenschaft. Als der Major im Frühjahr 1788 wieder nach Frankreich zurück¬
ging, ward die Trennung der Ehe noch nicht beschlossen, aber Geschiedenheit
im äußern und innern Leben, doch "nie mit Vorwurf, denn dies Loos war
das erträglichste." Freilich, fast zu gleicher Zeit verließ auch Schiller Weimar.
Er hatte im Winter, während Charlotte durch die Gegenwart ihres Mannes
gebunden war, gern mit Lottchen von Lengefeld verkehrt, die sich damals in
Weimar aufhielt, und bezog Mitte Mai das Sommerlogis in Volkstädt bei
Rudolstadt. Im traulichen Verkehr mit den Schwestern von Lengefeld verflogen
ihm die Sommermonate wie ein schöner Traum. Die reine, klare, in der Milde
ihrer jungfräulichen Liebe strahlende Charlotte von Lengefeld war berufen, dem
Dichter den sittlichen Frieden wieder zu geben. Aber auch sie nicht ohne schwere
Kämpfe! Zwar trug sich Schiller immer mit Heiratsgedanken, um dem Zwie¬
spalt in seinem Innern zu entgehen, allein die dämonischen Mächte in ihm
drängten ihn fort und fort nach der Peripherie hin. Wahrend die wahre Liebe ihn
schon mit ihren ersten Blumenketten umwand, schrieb er an Charlotte von Kalb,


Grenzboten III. 1837. 29
Dichterfreundinnen.

niederließ, nicht vollständig gehoben, ihre Vermögensverhältnisse verschlechterten
sich zusehends. Hatte doch der Präsident die Familie in seinem Eifer, die
Ostheimschen Güter zu verwalten, in einen kostspieligen und langwierigen Prozeß
verwickelt, zu dessen Bestreitung die Güter immer von neuem mit Schulden
belastet werden mußten! Dazu kam nun das auffällige Benehmen des Freundes,
in dessen Umgänge sie ihre Heiterkeit, ihre Gesundheit wiedergewonnen hatte.
Im Herbst des Jahres 1787 kam ihr Gemahl nach Deutschland zurück, der
Prozeß verlangte seine Gegenwart. Charlotte reiste ihm bis Kalbsrieth ent¬
gegen und brachte ihn im Dezember nach Weimar. Schiller findet in ihm
ganz den „alten," aber er zweifelt, ob die Gegenwart des Mannes ihn lassen
werde, wie er sei, anderseits fürchtet er, daß des Majors Billigkeit und Stärke
durch Einmischung fremder Personen und dnrch die dienstfertige Ohrenblüserei
auf eine harte Probe gestellt werden könnte. Infolge dessen zog er sich mehr
und mehr von Charlotten zurück. Diese bewahrte ihre wiedergewonnene Heiter¬
keit, so gut es anging, und führte ihren Mann in die Gesellschaft ein, wo er
durch seine Erzählungen aus Amerika und Frankreich Aufmerksamkeit erregte,
aber sie fand immer wieder, daß ihre Bestrebungen von denen ihres Mannes
weit ablagen und daß sich darum eine Harmonie der Gemüter nicht herstellen
ließ. Je mehr sich Schiller von ihr entfernte, desto mehr fühlte sie, wie viel
sie an ihm verlor. Und daß der Erwählte ihrer Seele auch an ihrer irdischen
und weiblichen Existenz Gefallen funde, sie ganz liebte und begehrte, hatte doch
etwas Berauschendes für sie. Gewiß hatte es ihr weh gethan, ihn fern halten
zu müssen. Wie, wenn sich eine Form finden ließ, in welcher sie ihm Erholung,
Gewährung hoffen lassen konnte, ohne daß die bürgerliche Gesellschaft, deren
Urteil sie fürchtete, sie zu verdammen ein Recht hätte! So keimte in ihr der
Wunsch, sich von ihrem Manne scheiden zu lassen, und ihre Liebe ward zur
Leidenschaft. Als der Major im Frühjahr 1788 wieder nach Frankreich zurück¬
ging, ward die Trennung der Ehe noch nicht beschlossen, aber Geschiedenheit
im äußern und innern Leben, doch „nie mit Vorwurf, denn dies Loos war
das erträglichste." Freilich, fast zu gleicher Zeit verließ auch Schiller Weimar.
Er hatte im Winter, während Charlotte durch die Gegenwart ihres Mannes
gebunden war, gern mit Lottchen von Lengefeld verkehrt, die sich damals in
Weimar aufhielt, und bezog Mitte Mai das Sommerlogis in Volkstädt bei
Rudolstadt. Im traulichen Verkehr mit den Schwestern von Lengefeld verflogen
ihm die Sommermonate wie ein schöner Traum. Die reine, klare, in der Milde
ihrer jungfräulichen Liebe strahlende Charlotte von Lengefeld war berufen, dem
Dichter den sittlichen Frieden wieder zu geben. Aber auch sie nicht ohne schwere
Kämpfe! Zwar trug sich Schiller immer mit Heiratsgedanken, um dem Zwie¬
spalt in seinem Innern zu entgehen, allein die dämonischen Mächte in ihm
drängten ihn fort und fort nach der Peripherie hin. Wahrend die wahre Liebe ihn
schon mit ihren ersten Blumenketten umwand, schrieb er an Charlotte von Kalb,


Grenzboten III. 1837. 29
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[0233] Dichterfreundinnen. niederließ, nicht vollständig gehoben, ihre Vermögensverhältnisse verschlechterten sich zusehends. Hatte doch der Präsident die Familie in seinem Eifer, die Ostheimschen Güter zu verwalten, in einen kostspieligen und langwierigen Prozeß verwickelt, zu dessen Bestreitung die Güter immer von neuem mit Schulden belastet werden mußten! Dazu kam nun das auffällige Benehmen des Freundes, in dessen Umgänge sie ihre Heiterkeit, ihre Gesundheit wiedergewonnen hatte. Im Herbst des Jahres 1787 kam ihr Gemahl nach Deutschland zurück, der Prozeß verlangte seine Gegenwart. Charlotte reiste ihm bis Kalbsrieth ent¬ gegen und brachte ihn im Dezember nach Weimar. Schiller findet in ihm ganz den „alten," aber er zweifelt, ob die Gegenwart des Mannes ihn lassen werde, wie er sei, anderseits fürchtet er, daß des Majors Billigkeit und Stärke durch Einmischung fremder Personen und dnrch die dienstfertige Ohrenblüserei auf eine harte Probe gestellt werden könnte. Infolge dessen zog er sich mehr und mehr von Charlotten zurück. Diese bewahrte ihre wiedergewonnene Heiter¬ keit, so gut es anging, und führte ihren Mann in die Gesellschaft ein, wo er durch seine Erzählungen aus Amerika und Frankreich Aufmerksamkeit erregte, aber sie fand immer wieder, daß ihre Bestrebungen von denen ihres Mannes weit ablagen und daß sich darum eine Harmonie der Gemüter nicht herstellen ließ. Je mehr sich Schiller von ihr entfernte, desto mehr fühlte sie, wie viel sie an ihm verlor. Und daß der Erwählte ihrer Seele auch an ihrer irdischen und weiblichen Existenz Gefallen funde, sie ganz liebte und begehrte, hatte doch etwas Berauschendes für sie. Gewiß hatte es ihr weh gethan, ihn fern halten zu müssen. Wie, wenn sich eine Form finden ließ, in welcher sie ihm Erholung, Gewährung hoffen lassen konnte, ohne daß die bürgerliche Gesellschaft, deren Urteil sie fürchtete, sie zu verdammen ein Recht hätte! So keimte in ihr der Wunsch, sich von ihrem Manne scheiden zu lassen, und ihre Liebe ward zur Leidenschaft. Als der Major im Frühjahr 1788 wieder nach Frankreich zurück¬ ging, ward die Trennung der Ehe noch nicht beschlossen, aber Geschiedenheit im äußern und innern Leben, doch „nie mit Vorwurf, denn dies Loos war das erträglichste." Freilich, fast zu gleicher Zeit verließ auch Schiller Weimar. Er hatte im Winter, während Charlotte durch die Gegenwart ihres Mannes gebunden war, gern mit Lottchen von Lengefeld verkehrt, die sich damals in Weimar aufhielt, und bezog Mitte Mai das Sommerlogis in Volkstädt bei Rudolstadt. Im traulichen Verkehr mit den Schwestern von Lengefeld verflogen ihm die Sommermonate wie ein schöner Traum. Die reine, klare, in der Milde ihrer jungfräulichen Liebe strahlende Charlotte von Lengefeld war berufen, dem Dichter den sittlichen Frieden wieder zu geben. Aber auch sie nicht ohne schwere Kämpfe! Zwar trug sich Schiller immer mit Heiratsgedanken, um dem Zwie¬ spalt in seinem Innern zu entgehen, allein die dämonischen Mächte in ihm drängten ihn fort und fort nach der Peripherie hin. Wahrend die wahre Liebe ihn schon mit ihren ersten Blumenketten umwand, schrieb er an Charlotte von Kalb, Grenzboten III. 1837. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/233>, abgerufen am 23.07.2024.