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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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darf die zukünftige Weltsprache eines starken Rückgrates nicht entbehren, d. h.
sie muß von einer möglichst zahlreichen Bevölkerung als Muttersprache geredet
werden, weil darin nicht allein eine Vorbereitung und Berechtigung zur Welt¬
herrschaft liegt, sondern auch eine starke Gewähr für kräftige natürliche Fort¬
entwicklung, die den neu auftauchenden Bedürfnissen sogleich Genüge schafft.
Endlich hat die abendländische Kultur, aus deren weiterem Vordringen das
Bedürfnis eines allgemeinen Verständigungsmittels wesentlich entsprungen ist,
begründeten Anspruch darauf, daß ihren Sprachen ein Vorrecht eingeräumt
wird, selbst wenn eine orientalische Sprache in diesem oder jenem Punkte
brauchbarer sein sollte. Mit der angedeuteten Möglichkeit haben wir aber gar
nicht zu rechnen, denn beim Zusammenfassen aller Bedingungen können über¬
haupt nur wenige europäische, keine morgenlündischcn Sprachen zur Wahl ge¬
stellt werden.

Es genügen alles in allem genommen den Anforderungen am meisten
folgende vier Sprachen: Englisch, Spanisch, Deutsch, Französisch. Man wird
vielleicht zuerst geneigt sein, dem Französischen die Krone zu erteilen, weil es
neben der natürlichen Ausbreitung durch seiue Eleganz und Bestimmtheit in
der ganzen gebildeten Welt zahlreiche Kenner gewonnen hat und in der Diplo¬
matie immer noch, wenn auch nicht mehr so ausschließlich wie früher, zur An¬
wendung gelangt. Indessen besitzt die Sprache der Franzosen trotz ihrer
Abgeschliffenheit eine solche Menge von grammatischen Feinheiten und Spitz¬
findigkeiten, daß ihre Erlernung für den Weltverkehr als zu schwierig erachtet
werden muß.

Dem deutschen Vaterlandsbewußtsein würde es eine Befriedigung gewähren,
wenn wir sagen könnten, unsre Muttersprache besäße alle Eigenschaften zur
Weltsprache. Solche Wünsche dürfen uns jedoch nicht blind dafür machen,
daß das Deutsche, wenn es anch größere natürliche Verbreitung besitzt als das
Französische, nicht abgeschliffen genug, zu schwer erlernbar und zu hart für die
Aussprache") ist, um erfolgreich an dem Weltsprach-Wettbewerb teilzunehmen.
Wir geben uns zufrieden mit der Wcltliteratnrrolle des Deutschen, welches in
Befolgung eines Goethischen Ausspruches thatsächlich schon das Beste aus
allen Literaturen der Welt übersetzuugsmäßig an sich gebracht hat und in
dieser Hinsicht seine Kreise immer weiter ausdehnt.

Nicht viel anders steht es mit dem Spanischen. Die Sprache der Kastilier
verfügt gewiß über viele Vorzüge: weiter verbreitet als die deutsche, bietet
sie für die Erlernung keine erheblichen Schwierigkeiten und besitzt neben Mund¬
gerechtheit einen männlich schönen Wohllaut. Dennoch kann sie die zugedachte
Rolle uicht spielen, weil sie noch zu viel vou Flexion besitzt, also zu wenig



") Die Eingelwrnen Nordamerikas bezeichnen uns Deutsche im Vergleiche zu den
andern Eingewanderten gern als "die Mnnner mit der rauhen Sprache."
Grenzboten III. 1387. 23

darf die zukünftige Weltsprache eines starken Rückgrates nicht entbehren, d. h.
sie muß von einer möglichst zahlreichen Bevölkerung als Muttersprache geredet
werden, weil darin nicht allein eine Vorbereitung und Berechtigung zur Welt¬
herrschaft liegt, sondern auch eine starke Gewähr für kräftige natürliche Fort¬
entwicklung, die den neu auftauchenden Bedürfnissen sogleich Genüge schafft.
Endlich hat die abendländische Kultur, aus deren weiterem Vordringen das
Bedürfnis eines allgemeinen Verständigungsmittels wesentlich entsprungen ist,
begründeten Anspruch darauf, daß ihren Sprachen ein Vorrecht eingeräumt
wird, selbst wenn eine orientalische Sprache in diesem oder jenem Punkte
brauchbarer sein sollte. Mit der angedeuteten Möglichkeit haben wir aber gar
nicht zu rechnen, denn beim Zusammenfassen aller Bedingungen können über¬
haupt nur wenige europäische, keine morgenlündischcn Sprachen zur Wahl ge¬
stellt werden.

Es genügen alles in allem genommen den Anforderungen am meisten
folgende vier Sprachen: Englisch, Spanisch, Deutsch, Französisch. Man wird
vielleicht zuerst geneigt sein, dem Französischen die Krone zu erteilen, weil es
neben der natürlichen Ausbreitung durch seiue Eleganz und Bestimmtheit in
der ganzen gebildeten Welt zahlreiche Kenner gewonnen hat und in der Diplo¬
matie immer noch, wenn auch nicht mehr so ausschließlich wie früher, zur An¬
wendung gelangt. Indessen besitzt die Sprache der Franzosen trotz ihrer
Abgeschliffenheit eine solche Menge von grammatischen Feinheiten und Spitz¬
findigkeiten, daß ihre Erlernung für den Weltverkehr als zu schwierig erachtet
werden muß.

Dem deutschen Vaterlandsbewußtsein würde es eine Befriedigung gewähren,
wenn wir sagen könnten, unsre Muttersprache besäße alle Eigenschaften zur
Weltsprache. Solche Wünsche dürfen uns jedoch nicht blind dafür machen,
daß das Deutsche, wenn es anch größere natürliche Verbreitung besitzt als das
Französische, nicht abgeschliffen genug, zu schwer erlernbar und zu hart für die
Aussprache") ist, um erfolgreich an dem Weltsprach-Wettbewerb teilzunehmen.
Wir geben uns zufrieden mit der Wcltliteratnrrolle des Deutschen, welches in
Befolgung eines Goethischen Ausspruches thatsächlich schon das Beste aus
allen Literaturen der Welt übersetzuugsmäßig an sich gebracht hat und in
dieser Hinsicht seine Kreise immer weiter ausdehnt.

Nicht viel anders steht es mit dem Spanischen. Die Sprache der Kastilier
verfügt gewiß über viele Vorzüge: weiter verbreitet als die deutsche, bietet
sie für die Erlernung keine erheblichen Schwierigkeiten und besitzt neben Mund¬
gerechtheit einen männlich schönen Wohllaut. Dennoch kann sie die zugedachte
Rolle uicht spielen, weil sie noch zu viel vou Flexion besitzt, also zu wenig



") Die Eingelwrnen Nordamerikas bezeichnen uns Deutsche im Vergleiche zu den
andern Eingewanderten gern als „die Mnnner mit der rauhen Sprache."
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[0225] darf die zukünftige Weltsprache eines starken Rückgrates nicht entbehren, d. h. sie muß von einer möglichst zahlreichen Bevölkerung als Muttersprache geredet werden, weil darin nicht allein eine Vorbereitung und Berechtigung zur Welt¬ herrschaft liegt, sondern auch eine starke Gewähr für kräftige natürliche Fort¬ entwicklung, die den neu auftauchenden Bedürfnissen sogleich Genüge schafft. Endlich hat die abendländische Kultur, aus deren weiterem Vordringen das Bedürfnis eines allgemeinen Verständigungsmittels wesentlich entsprungen ist, begründeten Anspruch darauf, daß ihren Sprachen ein Vorrecht eingeräumt wird, selbst wenn eine orientalische Sprache in diesem oder jenem Punkte brauchbarer sein sollte. Mit der angedeuteten Möglichkeit haben wir aber gar nicht zu rechnen, denn beim Zusammenfassen aller Bedingungen können über¬ haupt nur wenige europäische, keine morgenlündischcn Sprachen zur Wahl ge¬ stellt werden. Es genügen alles in allem genommen den Anforderungen am meisten folgende vier Sprachen: Englisch, Spanisch, Deutsch, Französisch. Man wird vielleicht zuerst geneigt sein, dem Französischen die Krone zu erteilen, weil es neben der natürlichen Ausbreitung durch seiue Eleganz und Bestimmtheit in der ganzen gebildeten Welt zahlreiche Kenner gewonnen hat und in der Diplo¬ matie immer noch, wenn auch nicht mehr so ausschließlich wie früher, zur An¬ wendung gelangt. Indessen besitzt die Sprache der Franzosen trotz ihrer Abgeschliffenheit eine solche Menge von grammatischen Feinheiten und Spitz¬ findigkeiten, daß ihre Erlernung für den Weltverkehr als zu schwierig erachtet werden muß. Dem deutschen Vaterlandsbewußtsein würde es eine Befriedigung gewähren, wenn wir sagen könnten, unsre Muttersprache besäße alle Eigenschaften zur Weltsprache. Solche Wünsche dürfen uns jedoch nicht blind dafür machen, daß das Deutsche, wenn es anch größere natürliche Verbreitung besitzt als das Französische, nicht abgeschliffen genug, zu schwer erlernbar und zu hart für die Aussprache") ist, um erfolgreich an dem Weltsprach-Wettbewerb teilzunehmen. Wir geben uns zufrieden mit der Wcltliteratnrrolle des Deutschen, welches in Befolgung eines Goethischen Ausspruches thatsächlich schon das Beste aus allen Literaturen der Welt übersetzuugsmäßig an sich gebracht hat und in dieser Hinsicht seine Kreise immer weiter ausdehnt. Nicht viel anders steht es mit dem Spanischen. Die Sprache der Kastilier verfügt gewiß über viele Vorzüge: weiter verbreitet als die deutsche, bietet sie für die Erlernung keine erheblichen Schwierigkeiten und besitzt neben Mund¬ gerechtheit einen männlich schönen Wohllaut. Dennoch kann sie die zugedachte Rolle uicht spielen, weil sie noch zu viel vou Flexion besitzt, also zu wenig ") Die Eingelwrnen Nordamerikas bezeichnen uns Deutsche im Vergleiche zu den andern Eingewanderten gern als „die Mnnner mit der rauhen Sprache." Grenzboten III. 1387. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/225>, abgerufen am 23.07.2024.