Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
volapük.

lebendigen Organismus sich freuen zu können. Die Sprache der Eskimos hat
im nordischen Stillleben sich eine unübertreffliche Ausnahmelosigkeit bewahrt,
und das Malaiische verfügt infolge großartiger Einfachheit der Formenlehre
über eine Erlernbarkeit, die sich an Leichtigkeit der volapükischen getrost an die
Seite stellen kann.

Übrigens muß hier nachdrücklichst betont werden, daß die Aneignung des
Volapük denn doch nicht so spielend geschieht, wie oft behauptet wird. Die
Regeln der Deklination, Konjugation, Steigerung und sonstigen Ableitung
werden im Volapük allerdings wegen ihrer Einheitlichkeit schneller bewältigt als
z. B. in den modernen Kultursprachen, indessen bedarf es zur Aneignung des
Wortschatzes wesentlich desselben Fleißes und derselben Ausdauer wie bei
jeder andern Sprache. Wenn die Anhänger des Volapük eine leichtere Erlern¬
barkeit desselben auch hinsichtlich der voxm voeabuloruirr in Anspruch nehmen
und mit dem Hinweis auf die Entstehung der Wörter begründen, so beruht
das eitel auf Selbsttäuschung. Niemand kann vorauswissen, aus welcher vou
den sechs darleihenden Sprachen das Gutdünken des Herrn Schleyer ein Wort
entnommen hat, und wenn man dies auch wüßte, so giebt es wiederum keine
bestimmte Antwort auf die Frage: In welcher Weise hat das Schleyerschc Beil
jenes Wort für Volapük passend zusammengehauen? Sonach ist eine Erleich¬
terung nicht einmal sür Kenner einer oder mehrerer der sechs Sprachen, ge¬
schweige denn für andre Leute vorhanden; die Aufgabe gedächtnismäßiger An¬
eignung ist hier die gleiche wie bei allen fremden Sprachen.

Als dritter Vorzug des Volapük pflegt die gedrungene Kürze hervorge¬
hoben zu werden. Aber gerade hierin offenbart sich zugleich eine bedenkliche
Schwäche, die der kundige Sprachforscher würde vermieden haben. Dadurch,
daß in vorgesetzte und angehängte Silben die wichtigsten Beziehungen gepackt
und hineingcheimmßt werden, entsteht notwendig eine unbehilfliche Schwer¬
fälligkeit der Formen und eine empfindliche Schädigung der Übersichtlichkeit
sowohl wie der Verständlichkeit. In der ganzen Sprachentwicklung läßt sich
als leitender Gedanke das Streben nach Erleichterung wahrnehmen. Die an¬
fänglichen gedrungenen Formen wurden als zu schwer, unbequem und undurch¬
sichtig allmählich abgeschliffen, man drückte die Beziehungen nicht mehr durch
Anhängsel, sondern durch besondre Wörter und zusammengesetzte Formen aus,
was den Ausdruck wesentlich erleichtert und verständlicher macht, wenn auch
auf Kosten der weniger bedeutsamen Kürze. Ja es läßt sich wohl behaupte",
daß diejenigen Sprachen, welche durch das Streben nach Erleichterung am
meisten verfallen sind, sich auch zur besten Handlichkeit und größten Tauglichkeit
für den Verkehr abgeschliffen haben. Das Persische z. B. und das Englische,
zwei der meistgebrauchten Sprachen der Welt, haben sich der Flexion fast
ganz entledigt. Indem Herr Schleyer die weise Lehre, welche in dem Gange
der Sprachgeschichte enthalteU ist, unbeachtet ließ und sein Volapük ganz an


volapük.

lebendigen Organismus sich freuen zu können. Die Sprache der Eskimos hat
im nordischen Stillleben sich eine unübertreffliche Ausnahmelosigkeit bewahrt,
und das Malaiische verfügt infolge großartiger Einfachheit der Formenlehre
über eine Erlernbarkeit, die sich an Leichtigkeit der volapükischen getrost an die
Seite stellen kann.

Übrigens muß hier nachdrücklichst betont werden, daß die Aneignung des
Volapük denn doch nicht so spielend geschieht, wie oft behauptet wird. Die
Regeln der Deklination, Konjugation, Steigerung und sonstigen Ableitung
werden im Volapük allerdings wegen ihrer Einheitlichkeit schneller bewältigt als
z. B. in den modernen Kultursprachen, indessen bedarf es zur Aneignung des
Wortschatzes wesentlich desselben Fleißes und derselben Ausdauer wie bei
jeder andern Sprache. Wenn die Anhänger des Volapük eine leichtere Erlern¬
barkeit desselben auch hinsichtlich der voxm voeabuloruirr in Anspruch nehmen
und mit dem Hinweis auf die Entstehung der Wörter begründen, so beruht
das eitel auf Selbsttäuschung. Niemand kann vorauswissen, aus welcher vou
den sechs darleihenden Sprachen das Gutdünken des Herrn Schleyer ein Wort
entnommen hat, und wenn man dies auch wüßte, so giebt es wiederum keine
bestimmte Antwort auf die Frage: In welcher Weise hat das Schleyerschc Beil
jenes Wort für Volapük passend zusammengehauen? Sonach ist eine Erleich¬
terung nicht einmal sür Kenner einer oder mehrerer der sechs Sprachen, ge¬
schweige denn für andre Leute vorhanden; die Aufgabe gedächtnismäßiger An¬
eignung ist hier die gleiche wie bei allen fremden Sprachen.

Als dritter Vorzug des Volapük pflegt die gedrungene Kürze hervorge¬
hoben zu werden. Aber gerade hierin offenbart sich zugleich eine bedenkliche
Schwäche, die der kundige Sprachforscher würde vermieden haben. Dadurch,
daß in vorgesetzte und angehängte Silben die wichtigsten Beziehungen gepackt
und hineingcheimmßt werden, entsteht notwendig eine unbehilfliche Schwer¬
fälligkeit der Formen und eine empfindliche Schädigung der Übersichtlichkeit
sowohl wie der Verständlichkeit. In der ganzen Sprachentwicklung läßt sich
als leitender Gedanke das Streben nach Erleichterung wahrnehmen. Die an¬
fänglichen gedrungenen Formen wurden als zu schwer, unbequem und undurch¬
sichtig allmählich abgeschliffen, man drückte die Beziehungen nicht mehr durch
Anhängsel, sondern durch besondre Wörter und zusammengesetzte Formen aus,
was den Ausdruck wesentlich erleichtert und verständlicher macht, wenn auch
auf Kosten der weniger bedeutsamen Kürze. Ja es läßt sich wohl behaupte»,
daß diejenigen Sprachen, welche durch das Streben nach Erleichterung am
meisten verfallen sind, sich auch zur besten Handlichkeit und größten Tauglichkeit
für den Verkehr abgeschliffen haben. Das Persische z. B. und das Englische,
zwei der meistgebrauchten Sprachen der Welt, haben sich der Flexion fast
ganz entledigt. Indem Herr Schleyer die weise Lehre, welche in dem Gange
der Sprachgeschichte enthalteU ist, unbeachtet ließ und sein Volapük ganz an


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200999"/>
          <fw type="header" place="top"> volapük.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_660" prev="#ID_659"> lebendigen Organismus sich freuen zu können. Die Sprache der Eskimos hat<lb/>
im nordischen Stillleben sich eine unübertreffliche Ausnahmelosigkeit bewahrt,<lb/>
und das Malaiische verfügt infolge großartiger Einfachheit der Formenlehre<lb/>
über eine Erlernbarkeit, die sich an Leichtigkeit der volapükischen getrost an die<lb/>
Seite stellen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_661"> Übrigens muß hier nachdrücklichst betont werden, daß die Aneignung des<lb/>
Volapük denn doch nicht so spielend geschieht, wie oft behauptet wird. Die<lb/>
Regeln der Deklination, Konjugation, Steigerung und sonstigen Ableitung<lb/>
werden im Volapük allerdings wegen ihrer Einheitlichkeit schneller bewältigt als<lb/>
z. B. in den modernen Kultursprachen, indessen bedarf es zur Aneignung des<lb/>
Wortschatzes wesentlich desselben Fleißes und derselben Ausdauer wie bei<lb/>
jeder andern Sprache. Wenn die Anhänger des Volapük eine leichtere Erlern¬<lb/>
barkeit desselben auch hinsichtlich der voxm voeabuloruirr in Anspruch nehmen<lb/>
und mit dem Hinweis auf die Entstehung der Wörter begründen, so beruht<lb/>
das eitel auf Selbsttäuschung. Niemand kann vorauswissen, aus welcher vou<lb/>
den sechs darleihenden Sprachen das Gutdünken des Herrn Schleyer ein Wort<lb/>
entnommen hat, und wenn man dies auch wüßte, so giebt es wiederum keine<lb/>
bestimmte Antwort auf die Frage: In welcher Weise hat das Schleyerschc Beil<lb/>
jenes Wort für Volapük passend zusammengehauen? Sonach ist eine Erleich¬<lb/>
terung nicht einmal sür Kenner einer oder mehrerer der sechs Sprachen, ge¬<lb/>
schweige denn für andre Leute vorhanden; die Aufgabe gedächtnismäßiger An¬<lb/>
eignung ist hier die gleiche wie bei allen fremden Sprachen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_662" next="#ID_663"> Als dritter Vorzug des Volapük pflegt die gedrungene Kürze hervorge¬<lb/>
hoben zu werden. Aber gerade hierin offenbart sich zugleich eine bedenkliche<lb/>
Schwäche, die der kundige Sprachforscher würde vermieden haben. Dadurch,<lb/>
daß in vorgesetzte und angehängte Silben die wichtigsten Beziehungen gepackt<lb/>
und hineingcheimmßt werden, entsteht notwendig eine unbehilfliche Schwer¬<lb/>
fälligkeit der Formen und eine empfindliche Schädigung der Übersichtlichkeit<lb/>
sowohl wie der Verständlichkeit. In der ganzen Sprachentwicklung läßt sich<lb/>
als leitender Gedanke das Streben nach Erleichterung wahrnehmen. Die an¬<lb/>
fänglichen gedrungenen Formen wurden als zu schwer, unbequem und undurch¬<lb/>
sichtig allmählich abgeschliffen, man drückte die Beziehungen nicht mehr durch<lb/>
Anhängsel, sondern durch besondre Wörter und zusammengesetzte Formen aus,<lb/>
was den Ausdruck wesentlich erleichtert und verständlicher macht, wenn auch<lb/>
auf Kosten der weniger bedeutsamen Kürze. Ja es läßt sich wohl behaupte»,<lb/>
daß diejenigen Sprachen, welche durch das Streben nach Erleichterung am<lb/>
meisten verfallen sind, sich auch zur besten Handlichkeit und größten Tauglichkeit<lb/>
für den Verkehr abgeschliffen haben. Das Persische z. B. und das Englische,<lb/>
zwei der meistgebrauchten Sprachen der Welt, haben sich der Flexion fast<lb/>
ganz entledigt. Indem Herr Schleyer die weise Lehre, welche in dem Gange<lb/>
der Sprachgeschichte enthalteU ist, unbeachtet ließ und sein Volapük ganz an</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0220] volapük. lebendigen Organismus sich freuen zu können. Die Sprache der Eskimos hat im nordischen Stillleben sich eine unübertreffliche Ausnahmelosigkeit bewahrt, und das Malaiische verfügt infolge großartiger Einfachheit der Formenlehre über eine Erlernbarkeit, die sich an Leichtigkeit der volapükischen getrost an die Seite stellen kann. Übrigens muß hier nachdrücklichst betont werden, daß die Aneignung des Volapük denn doch nicht so spielend geschieht, wie oft behauptet wird. Die Regeln der Deklination, Konjugation, Steigerung und sonstigen Ableitung werden im Volapük allerdings wegen ihrer Einheitlichkeit schneller bewältigt als z. B. in den modernen Kultursprachen, indessen bedarf es zur Aneignung des Wortschatzes wesentlich desselben Fleißes und derselben Ausdauer wie bei jeder andern Sprache. Wenn die Anhänger des Volapük eine leichtere Erlern¬ barkeit desselben auch hinsichtlich der voxm voeabuloruirr in Anspruch nehmen und mit dem Hinweis auf die Entstehung der Wörter begründen, so beruht das eitel auf Selbsttäuschung. Niemand kann vorauswissen, aus welcher vou den sechs darleihenden Sprachen das Gutdünken des Herrn Schleyer ein Wort entnommen hat, und wenn man dies auch wüßte, so giebt es wiederum keine bestimmte Antwort auf die Frage: In welcher Weise hat das Schleyerschc Beil jenes Wort für Volapük passend zusammengehauen? Sonach ist eine Erleich¬ terung nicht einmal sür Kenner einer oder mehrerer der sechs Sprachen, ge¬ schweige denn für andre Leute vorhanden; die Aufgabe gedächtnismäßiger An¬ eignung ist hier die gleiche wie bei allen fremden Sprachen. Als dritter Vorzug des Volapük pflegt die gedrungene Kürze hervorge¬ hoben zu werden. Aber gerade hierin offenbart sich zugleich eine bedenkliche Schwäche, die der kundige Sprachforscher würde vermieden haben. Dadurch, daß in vorgesetzte und angehängte Silben die wichtigsten Beziehungen gepackt und hineingcheimmßt werden, entsteht notwendig eine unbehilfliche Schwer¬ fälligkeit der Formen und eine empfindliche Schädigung der Übersichtlichkeit sowohl wie der Verständlichkeit. In der ganzen Sprachentwicklung läßt sich als leitender Gedanke das Streben nach Erleichterung wahrnehmen. Die an¬ fänglichen gedrungenen Formen wurden als zu schwer, unbequem und undurch¬ sichtig allmählich abgeschliffen, man drückte die Beziehungen nicht mehr durch Anhängsel, sondern durch besondre Wörter und zusammengesetzte Formen aus, was den Ausdruck wesentlich erleichtert und verständlicher macht, wenn auch auf Kosten der weniger bedeutsamen Kürze. Ja es läßt sich wohl behaupte», daß diejenigen Sprachen, welche durch das Streben nach Erleichterung am meisten verfallen sind, sich auch zur besten Handlichkeit und größten Tauglichkeit für den Verkehr abgeschliffen haben. Das Persische z. B. und das Englische, zwei der meistgebrauchten Sprachen der Welt, haben sich der Flexion fast ganz entledigt. Indem Herr Schleyer die weise Lehre, welche in dem Gange der Sprachgeschichte enthalteU ist, unbeachtet ließ und sein Volapük ganz an

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/220
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/220>, abgerufen am 23.07.2024.