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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Unter fahrenden Leuten.

Jahre dauern, bis er Mut genug verspürt, seine Kraft als Direktor selbst zu
probiren oder in der Eigenschaft als Schwiegersohn seines Prinzipals in das
Geschäft desselben mit einzutreten. Dies ist das Dienen von der Pike auf.
Diese Zettelträger rekrutiren sich im Gebirge meist aus phantasiereichen und
abenteuerlustigen Webersöhnen, im Flachlande aus allen möglichen Gewerbe¬
arten. Es ist natürlich, daß ein Prinzipal solche Leute bevorzugen wird, die
ihm schon durch ihre Berufsart einen besondern Nutzen gewähren können, und
ihm, wie z. B. frühere Malergehilfen, bei der Instandhaltung und Vergrößerung
seiner Requisiten wichtige Dienste leisten werden. So kenne ich persönlich zwei
tüchtige und beliebte Puppenspieler, die ihre frühere Beschäftigung als Gehilfen
auf dem Malerboden eines Stadttheaters mit dem Berufe des fahrenden
Komödianten vertauscht haben. Unter dem Personal der Puppenbühnen sind
aber auch häufig Schauspieler oder Schauspielerinnen aus kleinen Truppen an¬
zutreffen, die bei besserm Gehalt oft weiter nichts zu besorgen haben, als
während der Vorstellung die wichtigsten Rollen zu sprechen, und die häufig
nicht einmal zur Lenkung der Puppen verwendet werden. Es versteht sich von
selbst, daß je nach den Familienverhältnissen des Puppenspielprinzipals alle die
bisher beschriebenen Verhältnisse sich mannichfach ändern, und daß der erwachsene
Sohn oder die erwachsene Tochter mit in den Kreis der Thätigkeit gezogen werden.

In der Regel wird man finden, daß mau mit allen diesen Leuten eine
gute Unterhaltung führen kann. Ungeschickte Köpfe gesellen sich schon gar nicht
dem Gewerbe bei, und ein halbwegs gut angelegtes Kind erzieht der tägliche
Verkehr mit dichterischen Stoffen, wenn sie auch noch so geringen Wert haben,
doch zu einem leidlichen Menschen, dem auch höhere Dinge ein Interesse ab¬
zugewinnen vermögen. In dieser Weise unterscheidet sich auch der Puppen¬
spieler vorteilhaft und bedeutend von den übrigen Vertretern des fahrenden
Gewerbes, zu denen er sonst in mannichfacher Beziehung steht. So bringen
es z. B. allein schon auf dem platten Lande die Verhältnisse der Landwirtschaft
mit sich, daß der Puppenspieler im Sommer für eine gewisse Zeit sein Gewerbe
vollständig aufgeben muß. Er wird dann für diese Zeit etwas ganz andres. Er
mietet sich Gymnastiker, Springer und ähnliche Leute und eröffnet eine "Arena,"
d. h. er wird zum sogenannten Artisten, wie der moderne r-orrmuus too1rniou8
lautet. Wenn er selbst seit seiner Jugend an derartige Turnerkünste gewöhnt
ist, so führt er auch wohl das seiner würdigste Kunststück aus, d. h. er begeht das
Turmseil und läßt sich als Direktor auf diesem bewundern, während die übrigen
"Engagisten" sich nicht so hoch versteigen dürfen. Andre Spieler schlagen ein
Polichinelltheater auf, andre wieder errichten eine kleinere Menagerie, noch
andre bilden eine Sängergesellschaft, und so thut jeder, was seiner Neigung und
seiner Fähigkeit am meisten entspricht und zusagt. Doch giebt es auch Prin¬
zipale, vor allem im Gebirge, wo die sozialen Verhältnisse anders sind, die auch
den Sommer hindurch ihr Gewerbe als reisende Komödianten fortsetzen.


Unter fahrenden Leuten.

Jahre dauern, bis er Mut genug verspürt, seine Kraft als Direktor selbst zu
probiren oder in der Eigenschaft als Schwiegersohn seines Prinzipals in das
Geschäft desselben mit einzutreten. Dies ist das Dienen von der Pike auf.
Diese Zettelträger rekrutiren sich im Gebirge meist aus phantasiereichen und
abenteuerlustigen Webersöhnen, im Flachlande aus allen möglichen Gewerbe¬
arten. Es ist natürlich, daß ein Prinzipal solche Leute bevorzugen wird, die
ihm schon durch ihre Berufsart einen besondern Nutzen gewähren können, und
ihm, wie z. B. frühere Malergehilfen, bei der Instandhaltung und Vergrößerung
seiner Requisiten wichtige Dienste leisten werden. So kenne ich persönlich zwei
tüchtige und beliebte Puppenspieler, die ihre frühere Beschäftigung als Gehilfen
auf dem Malerboden eines Stadttheaters mit dem Berufe des fahrenden
Komödianten vertauscht haben. Unter dem Personal der Puppenbühnen sind
aber auch häufig Schauspieler oder Schauspielerinnen aus kleinen Truppen an¬
zutreffen, die bei besserm Gehalt oft weiter nichts zu besorgen haben, als
während der Vorstellung die wichtigsten Rollen zu sprechen, und die häufig
nicht einmal zur Lenkung der Puppen verwendet werden. Es versteht sich von
selbst, daß je nach den Familienverhältnissen des Puppenspielprinzipals alle die
bisher beschriebenen Verhältnisse sich mannichfach ändern, und daß der erwachsene
Sohn oder die erwachsene Tochter mit in den Kreis der Thätigkeit gezogen werden.

In der Regel wird man finden, daß mau mit allen diesen Leuten eine
gute Unterhaltung führen kann. Ungeschickte Köpfe gesellen sich schon gar nicht
dem Gewerbe bei, und ein halbwegs gut angelegtes Kind erzieht der tägliche
Verkehr mit dichterischen Stoffen, wenn sie auch noch so geringen Wert haben,
doch zu einem leidlichen Menschen, dem auch höhere Dinge ein Interesse ab¬
zugewinnen vermögen. In dieser Weise unterscheidet sich auch der Puppen¬
spieler vorteilhaft und bedeutend von den übrigen Vertretern des fahrenden
Gewerbes, zu denen er sonst in mannichfacher Beziehung steht. So bringen
es z. B. allein schon auf dem platten Lande die Verhältnisse der Landwirtschaft
mit sich, daß der Puppenspieler im Sommer für eine gewisse Zeit sein Gewerbe
vollständig aufgeben muß. Er wird dann für diese Zeit etwas ganz andres. Er
mietet sich Gymnastiker, Springer und ähnliche Leute und eröffnet eine „Arena,"
d. h. er wird zum sogenannten Artisten, wie der moderne r-orrmuus too1rniou8
lautet. Wenn er selbst seit seiner Jugend an derartige Turnerkünste gewöhnt
ist, so führt er auch wohl das seiner würdigste Kunststück aus, d. h. er begeht das
Turmseil und läßt sich als Direktor auf diesem bewundern, während die übrigen
„Engagisten" sich nicht so hoch versteigen dürfen. Andre Spieler schlagen ein
Polichinelltheater auf, andre wieder errichten eine kleinere Menagerie, noch
andre bilden eine Sängergesellschaft, und so thut jeder, was seiner Neigung und
seiner Fähigkeit am meisten entspricht und zusagt. Doch giebt es auch Prin¬
zipale, vor allem im Gebirge, wo die sozialen Verhältnisse anders sind, die auch
den Sommer hindurch ihr Gewerbe als reisende Komödianten fortsetzen.


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[0199] Unter fahrenden Leuten. Jahre dauern, bis er Mut genug verspürt, seine Kraft als Direktor selbst zu probiren oder in der Eigenschaft als Schwiegersohn seines Prinzipals in das Geschäft desselben mit einzutreten. Dies ist das Dienen von der Pike auf. Diese Zettelträger rekrutiren sich im Gebirge meist aus phantasiereichen und abenteuerlustigen Webersöhnen, im Flachlande aus allen möglichen Gewerbe¬ arten. Es ist natürlich, daß ein Prinzipal solche Leute bevorzugen wird, die ihm schon durch ihre Berufsart einen besondern Nutzen gewähren können, und ihm, wie z. B. frühere Malergehilfen, bei der Instandhaltung und Vergrößerung seiner Requisiten wichtige Dienste leisten werden. So kenne ich persönlich zwei tüchtige und beliebte Puppenspieler, die ihre frühere Beschäftigung als Gehilfen auf dem Malerboden eines Stadttheaters mit dem Berufe des fahrenden Komödianten vertauscht haben. Unter dem Personal der Puppenbühnen sind aber auch häufig Schauspieler oder Schauspielerinnen aus kleinen Truppen an¬ zutreffen, die bei besserm Gehalt oft weiter nichts zu besorgen haben, als während der Vorstellung die wichtigsten Rollen zu sprechen, und die häufig nicht einmal zur Lenkung der Puppen verwendet werden. Es versteht sich von selbst, daß je nach den Familienverhältnissen des Puppenspielprinzipals alle die bisher beschriebenen Verhältnisse sich mannichfach ändern, und daß der erwachsene Sohn oder die erwachsene Tochter mit in den Kreis der Thätigkeit gezogen werden. In der Regel wird man finden, daß mau mit allen diesen Leuten eine gute Unterhaltung führen kann. Ungeschickte Köpfe gesellen sich schon gar nicht dem Gewerbe bei, und ein halbwegs gut angelegtes Kind erzieht der tägliche Verkehr mit dichterischen Stoffen, wenn sie auch noch so geringen Wert haben, doch zu einem leidlichen Menschen, dem auch höhere Dinge ein Interesse ab¬ zugewinnen vermögen. In dieser Weise unterscheidet sich auch der Puppen¬ spieler vorteilhaft und bedeutend von den übrigen Vertretern des fahrenden Gewerbes, zu denen er sonst in mannichfacher Beziehung steht. So bringen es z. B. allein schon auf dem platten Lande die Verhältnisse der Landwirtschaft mit sich, daß der Puppenspieler im Sommer für eine gewisse Zeit sein Gewerbe vollständig aufgeben muß. Er wird dann für diese Zeit etwas ganz andres. Er mietet sich Gymnastiker, Springer und ähnliche Leute und eröffnet eine „Arena," d. h. er wird zum sogenannten Artisten, wie der moderne r-orrmuus too1rniou8 lautet. Wenn er selbst seit seiner Jugend an derartige Turnerkünste gewöhnt ist, so führt er auch wohl das seiner würdigste Kunststück aus, d. h. er begeht das Turmseil und läßt sich als Direktor auf diesem bewundern, während die übrigen „Engagisten" sich nicht so hoch versteigen dürfen. Andre Spieler schlagen ein Polichinelltheater auf, andre wieder errichten eine kleinere Menagerie, noch andre bilden eine Sängergesellschaft, und so thut jeder, was seiner Neigung und seiner Fähigkeit am meisten entspricht und zusagt. Doch giebt es auch Prin¬ zipale, vor allem im Gebirge, wo die sozialen Verhältnisse anders sind, die auch den Sommer hindurch ihr Gewerbe als reisende Komödianten fortsetzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/199>, abgerufen am 23.07.2024.