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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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selbst ein Trug bist, wie willst hu Wahres erfassen! Zwar in jeder Anschauung
finden wir ein Mysterium, nur verschleierte Gebilde der Seele. Wir müssen
sie verstehen, sie ehren lernen; es demütigt sich Reichtum, es belehrt Duldung,
gegenseitiges Mitleid, und auf diese Weise erkennen wir des Geistes Wege in
seinem geheimnisvollen Walten, das Leid, den Schmerz und die Auflösung des
Übels." Und ihr gesamtes inneres Leben charakterisirt sie mit den Worten:
"Wer sinnt nicht völlig dem Gebote des Geistes nach! Nur solches Denken
verbindet uns mit höherer Harmonie. Mögliches Wohlsein, eine wirksame Ge¬
sinnung, wie denn anders ist es denkbar als in solcher Verbindung? Wie sonst
göttliche Macht in dem innern Leben gegenwärtig denken? Aber das Wort
"Seele" ist den meisten ein Fremdes, Ungehöriges, ein Trug, und dies ist die
Scheidung der Kreaturen." Mit dieser Innerlichkeit ihres Wesens verband sich
auch eine hohe Wahrhaftigkeit. Sie wollte weder sich noch andre belügen, eher
war sie herb und eigenwillig. Übertünchte Höflichkeit, eitles Geschwätz war ihr
mehr als der Tod zuwider, nirgends in ihren Bekenntnissen oder in ihren
Briefen ist eine Spur von Klatsch zu finden. Die Richtung ihres Geistes, alles
objektiv zu betrachten, in das Innerste der Wesen und Ereignisse einzudringen
und mit Bezug auf einen idealen Lebensinhalt zu prüfen, gab ihr eine poetische
Weihe, die mächtig anzog. Freilich fehlte ihr die gewandte Sprachform. Lebens¬
lang trug sie die Folgen einer mangelhaften Jugendbildung, ihre Sentenzen sind
Hieroglyphen, mit Grammatik und Orthographie stand sie nicht auf dem beste"
Fuße. Darin lag eine große Gefahr. Weil ihr die Form für ihre Gedanken
fehlte, so konnte es geschehen, daß sie selbst in die Tiefe ihrer innern Anschauung
und ihres Empfindens versank, daß sie, zeitweilig wenigstens, in einen mystischen,
leidenschaftlichen Zustand geriet. Aber auch ihre Leidenschaft konnte nur idealer
Natur sein, das Ideale war nun einmal das Gesetz, unter dem ihr Leben stand.

Als Schiller sie in Mannheim kennen lernte, empfand er sogleich die
Wirkung ihres festgeschlossenen und doch so teilnehmenden Wesens. "Du bist
so selbstbestimmt -- sagt der Fimante-Schiller --, so dachte ich mir das Weib
nicht, anders erscheint mir nun die Natur, und voll Bedeutung ist mir das
wandelnde Geschlecht der Menschen." Wenn dies auch etwas überschwünglich
klingt, so stimmt es in der Hauptsache doch wohl mit Schillers Gedanken und
Äußerungen überein. Er erkannte in ihr die ihm verwandte poetische Natur,
die ersehnte, begeisterte Zuhörerin und zugleich die Führerin im Leben und
Schaffen. Durch sie wurde er angeregt, in seinem Berufe als Dichter das
Höchste zu versuchen, aber sie beschwichtigte auch die dnrch eine allzu lebhafte
Phantasie erregte Heftigkeit seiner Empfindungen, und so wirkte sie in ähnlicher
Weise auf ihn ein, wie Frau von Stein auf Goethe; auch in dem späteren
Verlaufe ihrer Beziehungen zu Schiller erinnert manches an die Freundin
Goethes. Beide liebten in ihren Freunden in erster Linie die Dichter, und
so lange sie sich dessen bewußt waren, blieb das Verhältnis zu ihnen rein und


dichterfreundinnölt.

selbst ein Trug bist, wie willst hu Wahres erfassen! Zwar in jeder Anschauung
finden wir ein Mysterium, nur verschleierte Gebilde der Seele. Wir müssen
sie verstehen, sie ehren lernen; es demütigt sich Reichtum, es belehrt Duldung,
gegenseitiges Mitleid, und auf diese Weise erkennen wir des Geistes Wege in
seinem geheimnisvollen Walten, das Leid, den Schmerz und die Auflösung des
Übels." Und ihr gesamtes inneres Leben charakterisirt sie mit den Worten:
„Wer sinnt nicht völlig dem Gebote des Geistes nach! Nur solches Denken
verbindet uns mit höherer Harmonie. Mögliches Wohlsein, eine wirksame Ge¬
sinnung, wie denn anders ist es denkbar als in solcher Verbindung? Wie sonst
göttliche Macht in dem innern Leben gegenwärtig denken? Aber das Wort
»Seele« ist den meisten ein Fremdes, Ungehöriges, ein Trug, und dies ist die
Scheidung der Kreaturen." Mit dieser Innerlichkeit ihres Wesens verband sich
auch eine hohe Wahrhaftigkeit. Sie wollte weder sich noch andre belügen, eher
war sie herb und eigenwillig. Übertünchte Höflichkeit, eitles Geschwätz war ihr
mehr als der Tod zuwider, nirgends in ihren Bekenntnissen oder in ihren
Briefen ist eine Spur von Klatsch zu finden. Die Richtung ihres Geistes, alles
objektiv zu betrachten, in das Innerste der Wesen und Ereignisse einzudringen
und mit Bezug auf einen idealen Lebensinhalt zu prüfen, gab ihr eine poetische
Weihe, die mächtig anzog. Freilich fehlte ihr die gewandte Sprachform. Lebens¬
lang trug sie die Folgen einer mangelhaften Jugendbildung, ihre Sentenzen sind
Hieroglyphen, mit Grammatik und Orthographie stand sie nicht auf dem beste»
Fuße. Darin lag eine große Gefahr. Weil ihr die Form für ihre Gedanken
fehlte, so konnte es geschehen, daß sie selbst in die Tiefe ihrer innern Anschauung
und ihres Empfindens versank, daß sie, zeitweilig wenigstens, in einen mystischen,
leidenschaftlichen Zustand geriet. Aber auch ihre Leidenschaft konnte nur idealer
Natur sein, das Ideale war nun einmal das Gesetz, unter dem ihr Leben stand.

Als Schiller sie in Mannheim kennen lernte, empfand er sogleich die
Wirkung ihres festgeschlossenen und doch so teilnehmenden Wesens. „Du bist
so selbstbestimmt — sagt der Fimante-Schiller —, so dachte ich mir das Weib
nicht, anders erscheint mir nun die Natur, und voll Bedeutung ist mir das
wandelnde Geschlecht der Menschen." Wenn dies auch etwas überschwünglich
klingt, so stimmt es in der Hauptsache doch wohl mit Schillers Gedanken und
Äußerungen überein. Er erkannte in ihr die ihm verwandte poetische Natur,
die ersehnte, begeisterte Zuhörerin und zugleich die Führerin im Leben und
Schaffen. Durch sie wurde er angeregt, in seinem Berufe als Dichter das
Höchste zu versuchen, aber sie beschwichtigte auch die dnrch eine allzu lebhafte
Phantasie erregte Heftigkeit seiner Empfindungen, und so wirkte sie in ähnlicher
Weise auf ihn ein, wie Frau von Stein auf Goethe; auch in dem späteren
Verlaufe ihrer Beziehungen zu Schiller erinnert manches an die Freundin
Goethes. Beide liebten in ihren Freunden in erster Linie die Dichter, und
so lange sie sich dessen bewußt waren, blieb das Verhältnis zu ihnen rein und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/194>, abgerufen am 23.07.2024.