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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfreundmnen.

Hältnisse, Erdreich und Himmel sind mir zuwider. Ich habe keine Seele
hier, keine einzige, die die Leere meines Herzens füllte, keine Freundin, keinen
Freund; und was mir vielleicht noch teuer sein könnte, davon scheiden mich
Konvenienz und Situationen." Wann Schiller der vertrauten Freundin, von
der ihn Konvenienz und Situationen schieden, Mitteilung von seinem Entschlüsse
gemacht hat, läßt sich nicht genau angeben. Am 28. Februar schreibt er an
Huber: "Ich habe die Übereilung begangen, meine Abreise nach Leipzig laut
zu machen." Doch kann er Charlotte schon früher in seinen Plan eingeweiht
haben. Sie sagt in ihren Memoiren, daß er es nicht ohne lebhafte Erregung
gethan habe. Aber noch mehr geriet sie in Erregung. Zum erstenmale bricht
in ihr jene Leidenschaftlichkeit hervor, die ihrem Bilde das besondre geschichtliche
Gepräge gegeben hat. Sie erschrickt, klagt, beschwört ihn, sie nicht zu verlassen,
"denn seitdem ich Sie kenne -- sagt sie ihm --, verlange ich mehr, als ich
vormals von den Tagen erbeten; nie habe ich bekannt, wie öde die Vergangen¬
heit." Der junge Dichter des tragischen Pathos war für solche Herzens-
ergießungen nicht unempfindlich, zwischen Freundschaft und Liebe schwebte schon
lange seine Neigung zu der Idealistin, war sie doch unmerklich seine Muse für
Don Karlos geworden. In die Gestalt der Königin Elisabeth verwebten sich
die Züge ihres Wesens und die Szenen ihres Verkehrs mit ihm, er selbst war
bald Posa, bald Don Karlos. Kein Wunder, daß er ihren Kampf um die
ideale Welt, die er ihr erschlossen hatte, für eine Liebeserklärung nahm und zu
ihren Füßen das fremde "Sie" wegwarf, um "Du" für "Du" einzutauschen.
Diese leidenschaftliche Stimmung dauerte wohl fort, bis Schiller im April 1785
Mannheim verließ. Wenigstens deutet das poetische Wechselgespräch zwischen
Maya und Fimcmte, das Palleske im Anhange zu Charlottens Memoiren mit¬
teilt und das ohne Zweifel sich auf den Abschied von Schiller bezieht, auf sehr
erregte Szenen hin. Trotzdem hielt sich das Verhältnis auf der ursprünglichen
idealen Höhe, und dies war ohne Zweifel Charlottens Verdienst. Der Zug
ihres Wesens, alles zu vergeistigen, war zugleich das spezifische Merkmal ihres
ganzen Daseins. Sie, die Einsame und Heimatlose von Jugend auf, hatte sich
in die Tiefe ihres Denkens geflüchtet, sich hier eine Heimat geschaffen, aus der
sie sich so leicht nicht vertreiben ließ und in der sie später die Kraft gefunden
hat, das Schwerste zu ertragen, was einem Menschen auferlegt werden kann.
Ihre Memoiren sind viel verspottet worden, aber sie sind trotz ihrer wunder¬
lichen Form eine unschätzbare und unerschöpfliche Quelle für die Erkenntnis
ihres eigentümlichen Geisteslebens. Man würde irren, wenn man meinte,
Charlotte habe immer nur eine selbstfabrizirte Weltanschauung in die Dinge
hineingetragen, viel öfter suchte sie in das Wesen derselben einzudringen, aber
für sich behielt sie nur, was mit ihrem idealen Denken übereinstimmte. "Im
Bewußtsein des Geisteslebens nur, sagt sie einmal, sind wir auch empfänglich
für das Leben in der Natur und für die Erkenntnis der Schrift. So du dir


Grenzboten III. 1837. 24
Dichterfreundmnen.

Hältnisse, Erdreich und Himmel sind mir zuwider. Ich habe keine Seele
hier, keine einzige, die die Leere meines Herzens füllte, keine Freundin, keinen
Freund; und was mir vielleicht noch teuer sein könnte, davon scheiden mich
Konvenienz und Situationen." Wann Schiller der vertrauten Freundin, von
der ihn Konvenienz und Situationen schieden, Mitteilung von seinem Entschlüsse
gemacht hat, läßt sich nicht genau angeben. Am 28. Februar schreibt er an
Huber: „Ich habe die Übereilung begangen, meine Abreise nach Leipzig laut
zu machen." Doch kann er Charlotte schon früher in seinen Plan eingeweiht
haben. Sie sagt in ihren Memoiren, daß er es nicht ohne lebhafte Erregung
gethan habe. Aber noch mehr geriet sie in Erregung. Zum erstenmale bricht
in ihr jene Leidenschaftlichkeit hervor, die ihrem Bilde das besondre geschichtliche
Gepräge gegeben hat. Sie erschrickt, klagt, beschwört ihn, sie nicht zu verlassen,
„denn seitdem ich Sie kenne — sagt sie ihm —, verlange ich mehr, als ich
vormals von den Tagen erbeten; nie habe ich bekannt, wie öde die Vergangen¬
heit." Der junge Dichter des tragischen Pathos war für solche Herzens-
ergießungen nicht unempfindlich, zwischen Freundschaft und Liebe schwebte schon
lange seine Neigung zu der Idealistin, war sie doch unmerklich seine Muse für
Don Karlos geworden. In die Gestalt der Königin Elisabeth verwebten sich
die Züge ihres Wesens und die Szenen ihres Verkehrs mit ihm, er selbst war
bald Posa, bald Don Karlos. Kein Wunder, daß er ihren Kampf um die
ideale Welt, die er ihr erschlossen hatte, für eine Liebeserklärung nahm und zu
ihren Füßen das fremde „Sie" wegwarf, um „Du" für „Du" einzutauschen.
Diese leidenschaftliche Stimmung dauerte wohl fort, bis Schiller im April 1785
Mannheim verließ. Wenigstens deutet das poetische Wechselgespräch zwischen
Maya und Fimcmte, das Palleske im Anhange zu Charlottens Memoiren mit¬
teilt und das ohne Zweifel sich auf den Abschied von Schiller bezieht, auf sehr
erregte Szenen hin. Trotzdem hielt sich das Verhältnis auf der ursprünglichen
idealen Höhe, und dies war ohne Zweifel Charlottens Verdienst. Der Zug
ihres Wesens, alles zu vergeistigen, war zugleich das spezifische Merkmal ihres
ganzen Daseins. Sie, die Einsame und Heimatlose von Jugend auf, hatte sich
in die Tiefe ihres Denkens geflüchtet, sich hier eine Heimat geschaffen, aus der
sie sich so leicht nicht vertreiben ließ und in der sie später die Kraft gefunden
hat, das Schwerste zu ertragen, was einem Menschen auferlegt werden kann.
Ihre Memoiren sind viel verspottet worden, aber sie sind trotz ihrer wunder¬
lichen Form eine unschätzbare und unerschöpfliche Quelle für die Erkenntnis
ihres eigentümlichen Geisteslebens. Man würde irren, wenn man meinte,
Charlotte habe immer nur eine selbstfabrizirte Weltanschauung in die Dinge
hineingetragen, viel öfter suchte sie in das Wesen derselben einzudringen, aber
für sich behielt sie nur, was mit ihrem idealen Denken übereinstimmte. „Im
Bewußtsein des Geisteslebens nur, sagt sie einmal, sind wir auch empfänglich
für das Leben in der Natur und für die Erkenntnis der Schrift. So du dir


Grenzboten III. 1837. 24
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[0193] Dichterfreundmnen. Hältnisse, Erdreich und Himmel sind mir zuwider. Ich habe keine Seele hier, keine einzige, die die Leere meines Herzens füllte, keine Freundin, keinen Freund; und was mir vielleicht noch teuer sein könnte, davon scheiden mich Konvenienz und Situationen." Wann Schiller der vertrauten Freundin, von der ihn Konvenienz und Situationen schieden, Mitteilung von seinem Entschlüsse gemacht hat, läßt sich nicht genau angeben. Am 28. Februar schreibt er an Huber: „Ich habe die Übereilung begangen, meine Abreise nach Leipzig laut zu machen." Doch kann er Charlotte schon früher in seinen Plan eingeweiht haben. Sie sagt in ihren Memoiren, daß er es nicht ohne lebhafte Erregung gethan habe. Aber noch mehr geriet sie in Erregung. Zum erstenmale bricht in ihr jene Leidenschaftlichkeit hervor, die ihrem Bilde das besondre geschichtliche Gepräge gegeben hat. Sie erschrickt, klagt, beschwört ihn, sie nicht zu verlassen, „denn seitdem ich Sie kenne — sagt sie ihm —, verlange ich mehr, als ich vormals von den Tagen erbeten; nie habe ich bekannt, wie öde die Vergangen¬ heit." Der junge Dichter des tragischen Pathos war für solche Herzens- ergießungen nicht unempfindlich, zwischen Freundschaft und Liebe schwebte schon lange seine Neigung zu der Idealistin, war sie doch unmerklich seine Muse für Don Karlos geworden. In die Gestalt der Königin Elisabeth verwebten sich die Züge ihres Wesens und die Szenen ihres Verkehrs mit ihm, er selbst war bald Posa, bald Don Karlos. Kein Wunder, daß er ihren Kampf um die ideale Welt, die er ihr erschlossen hatte, für eine Liebeserklärung nahm und zu ihren Füßen das fremde „Sie" wegwarf, um „Du" für „Du" einzutauschen. Diese leidenschaftliche Stimmung dauerte wohl fort, bis Schiller im April 1785 Mannheim verließ. Wenigstens deutet das poetische Wechselgespräch zwischen Maya und Fimcmte, das Palleske im Anhange zu Charlottens Memoiren mit¬ teilt und das ohne Zweifel sich auf den Abschied von Schiller bezieht, auf sehr erregte Szenen hin. Trotzdem hielt sich das Verhältnis auf der ursprünglichen idealen Höhe, und dies war ohne Zweifel Charlottens Verdienst. Der Zug ihres Wesens, alles zu vergeistigen, war zugleich das spezifische Merkmal ihres ganzen Daseins. Sie, die Einsame und Heimatlose von Jugend auf, hatte sich in die Tiefe ihres Denkens geflüchtet, sich hier eine Heimat geschaffen, aus der sie sich so leicht nicht vertreiben ließ und in der sie später die Kraft gefunden hat, das Schwerste zu ertragen, was einem Menschen auferlegt werden kann. Ihre Memoiren sind viel verspottet worden, aber sie sind trotz ihrer wunder¬ lichen Form eine unschätzbare und unerschöpfliche Quelle für die Erkenntnis ihres eigentümlichen Geisteslebens. Man würde irren, wenn man meinte, Charlotte habe immer nur eine selbstfabrizirte Weltanschauung in die Dinge hineingetragen, viel öfter suchte sie in das Wesen derselben einzudringen, aber für sich behielt sie nur, was mit ihrem idealen Denken übereinstimmte. „Im Bewußtsein des Geisteslebens nur, sagt sie einmal, sind wir auch empfänglich für das Leben in der Natur und für die Erkenntnis der Schrift. So du dir Grenzboten III. 1837. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/193>, abgerufen am 23.07.2024.