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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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dar. Auch die Chinesen besitzen noch heutzutage keine Buchstabenschrift, sondern
müssen für jeden Begriff ein eignes Zeichen lernen, das mit dem Lautwerte
des dadurch ausgedrückten chinesischen Wortes gar keine innere Gemeinschaft
hat. Es ist also nicht ganz undenkbar, daß jemand, der kein Wort chinesisch
versteht, dennoch einen chinesischen Text lesen, d. h. verstehen kann, wenn er
sich nur die Begriffsbedeutuug der chinesischen Zeichen genau eingeprägt hat.
Die Schwierigkeit liegt darin, daß neben den Begriffen auch ihre Form, ihre
Beziehungen zu einander auszudrücken sind. Bei den Hieroglyphen und der
mexikanischen Bilderschrift bleibt hierfür der Phantasie weitester Spielraum,
der Chinese, dessen flexionslose Sprache nur eine einzige Form eines jeden
Wortes kennt, hilft sich durch ein peinlich strenges Gesetz in der Aufeinander¬
folge der Worte. Näher steht uns noch etwas andres. Die indischen (ara¬
bischen) Ziffern und die gewöhnlichen Rechnungszeichen sind wohl jedem, der
auch nur eine niedere Schule besucht, in der ganzen zivilisirten Welt bekannt
und geläufig. Der Magyar wie der Baste, der Finne wie der Albcmese, der
Engländer wie der Tscheche, der Franzose wie der Litauer, alle verstehen sogleich
eine Formel wie 4 x ---- 100 -- 10 und werden sie anstandslos durch
Worte ihrer Muttersprache wiedergeben. Gelänge es, in ähnlicher Weise für
jedes Haupt-, Eigenschafts-, Zeitwort u. s. w. ein bequemes Zeichen sowohl
aufzustellen wie zur allgemeinen Anerkanntheit zu bringen und ^zugleich die
Formen unzweifelhaft auszudrücken, so wäre ein Notbehelf für den zwischen¬
staatlichen Verkehr gefunden, allerdings keine Weltsprache (Pastlalie), sondern
sondern nur eine Weltschrift (Pcisigraphie). Mündlicher Gedankenaustausch ließe
sich damit nicht bewerkstelligen, es würde auch im persönlichen Verkehr stets
der Schreiberei bedürfen. Dazu kommt noch ein weiteres Hemmnis. Schwerlich
würde sich jemand die Mühe geben, so und so viel Tausende von willkürlichen
Zeichen bis zur Geläufigkeit auswendig zu lernen, man würde getrost und
zufrieden sein, den Zeichenschatz mit nebenstehender Übertragung in die Mutter¬
sprache und umgekehrt schwarz auf weiß in Gestalt eines Wörterbuches bei sich
zu führen. Mühsames Nachschlagen und Aufschreiben sind aber zwei so schwer¬
wiegende Übelstände, daß jeder Versuch zur praktischen Einführung des Ge¬
dankens scheitern muß. Dennoch ist der Versuch am Ende des vorigen oder
im Anfang des laufenden Jahrzehntes von einem Deutschen (Bachmeier) noch
einmal unternommen worden und zwar unter Zugrundelegung des brauchbarsten
und bequemsten Stoffes, der indischen Ziffern. Für jeden Begriff ward eine
mehrstellige Zifferreihe aufgestellt, während zum Ausdrucke der Flexion n. s. w.
die dezimalbruchartig angehängten Einer und Zehner dienen mußten.*) Es



*) Ähnlich ist das System der Weltschrift von Pala (18S9), doch können dessen Ziffer¬
reihen auch als Weltsprache gelesen werden, weil jeder Ziffer zwei Lautwerte untergelegt
sind, ein vokalischcr und ein konsonantischer, je nach der Dezimalstelle abwechselnder, sodaß
immer leicht aussprechbare Silben entstehen.
volapük.

dar. Auch die Chinesen besitzen noch heutzutage keine Buchstabenschrift, sondern
müssen für jeden Begriff ein eignes Zeichen lernen, das mit dem Lautwerte
des dadurch ausgedrückten chinesischen Wortes gar keine innere Gemeinschaft
hat. Es ist also nicht ganz undenkbar, daß jemand, der kein Wort chinesisch
versteht, dennoch einen chinesischen Text lesen, d. h. verstehen kann, wenn er
sich nur die Begriffsbedeutuug der chinesischen Zeichen genau eingeprägt hat.
Die Schwierigkeit liegt darin, daß neben den Begriffen auch ihre Form, ihre
Beziehungen zu einander auszudrücken sind. Bei den Hieroglyphen und der
mexikanischen Bilderschrift bleibt hierfür der Phantasie weitester Spielraum,
der Chinese, dessen flexionslose Sprache nur eine einzige Form eines jeden
Wortes kennt, hilft sich durch ein peinlich strenges Gesetz in der Aufeinander¬
folge der Worte. Näher steht uns noch etwas andres. Die indischen (ara¬
bischen) Ziffern und die gewöhnlichen Rechnungszeichen sind wohl jedem, der
auch nur eine niedere Schule besucht, in der ganzen zivilisirten Welt bekannt
und geläufig. Der Magyar wie der Baste, der Finne wie der Albcmese, der
Engländer wie der Tscheche, der Franzose wie der Litauer, alle verstehen sogleich
eine Formel wie 4 x ---- 100 — 10 und werden sie anstandslos durch
Worte ihrer Muttersprache wiedergeben. Gelänge es, in ähnlicher Weise für
jedes Haupt-, Eigenschafts-, Zeitwort u. s. w. ein bequemes Zeichen sowohl
aufzustellen wie zur allgemeinen Anerkanntheit zu bringen und ^zugleich die
Formen unzweifelhaft auszudrücken, so wäre ein Notbehelf für den zwischen¬
staatlichen Verkehr gefunden, allerdings keine Weltsprache (Pastlalie), sondern
sondern nur eine Weltschrift (Pcisigraphie). Mündlicher Gedankenaustausch ließe
sich damit nicht bewerkstelligen, es würde auch im persönlichen Verkehr stets
der Schreiberei bedürfen. Dazu kommt noch ein weiteres Hemmnis. Schwerlich
würde sich jemand die Mühe geben, so und so viel Tausende von willkürlichen
Zeichen bis zur Geläufigkeit auswendig zu lernen, man würde getrost und
zufrieden sein, den Zeichenschatz mit nebenstehender Übertragung in die Mutter¬
sprache und umgekehrt schwarz auf weiß in Gestalt eines Wörterbuches bei sich
zu führen. Mühsames Nachschlagen und Aufschreiben sind aber zwei so schwer¬
wiegende Übelstände, daß jeder Versuch zur praktischen Einführung des Ge¬
dankens scheitern muß. Dennoch ist der Versuch am Ende des vorigen oder
im Anfang des laufenden Jahrzehntes von einem Deutschen (Bachmeier) noch
einmal unternommen worden und zwar unter Zugrundelegung des brauchbarsten
und bequemsten Stoffes, der indischen Ziffern. Für jeden Begriff ward eine
mehrstellige Zifferreihe aufgestellt, während zum Ausdrucke der Flexion n. s. w.
die dezimalbruchartig angehängten Einer und Zehner dienen mußten.*) Es



*) Ähnlich ist das System der Weltschrift von Pala (18S9), doch können dessen Ziffer¬
reihen auch als Weltsprache gelesen werden, weil jeder Ziffer zwei Lautwerte untergelegt
sind, ein vokalischcr und ein konsonantischer, je nach der Dezimalstelle abwechselnder, sodaß
immer leicht aussprechbare Silben entstehen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/183>, abgerufen am 23.07.2024.