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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Richtungen ausgebildet und erprobt. Anders beim Erscheinen der technischen
und der Naturwissenschaften. Neue Gedankenkreise, neue Erfindungen, von denen
das Altertum und das Mittelalter nichts ahnen konnten, stellten an Ausdrucks¬
vermögen, Bildsamkeit, kurz an die ganze Fähigkeit der Sprache aufs höchste
gesteigerte Anforderungen, denen das Lateinische nicht gewachsen war. Es zeigte
sich gegenüber solchen Aufgaben als linkisch, schleppend, ungefüg, kraftlos und
konnte den Wettbewerb mit der Schmiegsamkeit und dem Vermögen der frisch
Pulsircnden lebenden Sprachen nicht aufnehmen.

So war das alte Werkzeug, das viele Jahrhunderte hindurch den geistigen
Gedankenaustausch vermittelt hatte, unbrauchbar geworden, ohne daß ein ein¬
heitlicher Ersatz an seine Stelle getreten wäre. Die einzelnen Völker und
Stämme veröffentlichten fortan die Ergebnisse ihres wissenschaftlichen Forschens
in der angestammten Sprache, und je mehr Völker in den Kreis wissenschaft¬
licher Thätigkeit eintraten, umso weiter entfernte sich die Wissenschaft von der
vorigen Einheit, umso schwieriger ward es für die Gelehrten, die Fortschritte
der Wissenschaft regelmäßig zu verfolgen. Von der Wissenschaft gingen auch
die ersten Anregungen aus, dem Latein einen leistungsfähigen Nachfolger zu
schaffen. Die Anhänger des Volapük bezeichnen gern Leibniz als ihren Vor¬
läufer. Sehr mit Unrecht! Allerdings hat Leibniz schon 1666 in seiner
DiWLrwtio as g-res voMding-toria den Gedanken eines allgemeinen Welt¬
verständigungsmittels berührt und ist 1677 in der Schrift 1)<z eonneximiö
mehr rsL et vsrbg., auch 1679 im O^louluZ rMlosozMous nochmals darauf
zurückgekommen, aber was ihm vorschwebte, war nicht eine Weltsprache, sondern
vielmehr eine Weltschrift, die mit Umgehung jeder Sprache unmittelbar an den
Gedanken selbst anknüpfen sollte. Leibniz wollte für die Begriffe allgemein
giltige Zeichen aufstellen und einführen, die, ohne einen Lautwert zu besitzen,
von jedem Kundigen jeder Nation sofort in die heimatlichen Klänge umgesetzt
werden und zugleich als algebraische Zeichen dienen könnten, sodaß jeder Gedanke
gewissermaßen als mathematische Formel für eine Nechnuugsoperatiou sich
dem Auge darstellen würde. Gedanken solcher Art müssen damals förmlich in
der Luft gelegen haben, denn Leibniz ist weder der einzige noch der erste, der
sich bemühte, sie der Verwirklichung näher zu bringen. Bereits 1661 gaben
G. Dalgarn und der Urheber der Phlogistontheorie I. I. Becher einschlägige
Arbeiten heraus, und 1663 folgte ihnen Athanasius Kircher, 1668 der englische
Bischof I. Wilckins. Die Arbeit des letztgenannten ist ein richtiges System,
die andern Bücher über eine "Universalschrift" oder "philosophische Sprache"
sind jedoch in viel höherem Grade theoretische Erörterungen der Aufgabe, als
wirkliche Versuche zu ihrer praktischen Lösung.

Für die Idee einer Weltschrift giebt es mancherlei Analogien. Die Hiero¬
glyphen des alten Ägyptens und die Bilderschrift der Mexikaner z. B. stellen
den Gedanken unmittelbar und ohne Dazwischentreten einer bestimmten Sprache


volaxük.

Richtungen ausgebildet und erprobt. Anders beim Erscheinen der technischen
und der Naturwissenschaften. Neue Gedankenkreise, neue Erfindungen, von denen
das Altertum und das Mittelalter nichts ahnen konnten, stellten an Ausdrucks¬
vermögen, Bildsamkeit, kurz an die ganze Fähigkeit der Sprache aufs höchste
gesteigerte Anforderungen, denen das Lateinische nicht gewachsen war. Es zeigte
sich gegenüber solchen Aufgaben als linkisch, schleppend, ungefüg, kraftlos und
konnte den Wettbewerb mit der Schmiegsamkeit und dem Vermögen der frisch
Pulsircnden lebenden Sprachen nicht aufnehmen.

So war das alte Werkzeug, das viele Jahrhunderte hindurch den geistigen
Gedankenaustausch vermittelt hatte, unbrauchbar geworden, ohne daß ein ein¬
heitlicher Ersatz an seine Stelle getreten wäre. Die einzelnen Völker und
Stämme veröffentlichten fortan die Ergebnisse ihres wissenschaftlichen Forschens
in der angestammten Sprache, und je mehr Völker in den Kreis wissenschaft¬
licher Thätigkeit eintraten, umso weiter entfernte sich die Wissenschaft von der
vorigen Einheit, umso schwieriger ward es für die Gelehrten, die Fortschritte
der Wissenschaft regelmäßig zu verfolgen. Von der Wissenschaft gingen auch
die ersten Anregungen aus, dem Latein einen leistungsfähigen Nachfolger zu
schaffen. Die Anhänger des Volapük bezeichnen gern Leibniz als ihren Vor¬
läufer. Sehr mit Unrecht! Allerdings hat Leibniz schon 1666 in seiner
DiWLrwtio as g-res voMding-toria den Gedanken eines allgemeinen Welt¬
verständigungsmittels berührt und ist 1677 in der Schrift 1)<z eonneximiö
mehr rsL et vsrbg., auch 1679 im O^louluZ rMlosozMous nochmals darauf
zurückgekommen, aber was ihm vorschwebte, war nicht eine Weltsprache, sondern
vielmehr eine Weltschrift, die mit Umgehung jeder Sprache unmittelbar an den
Gedanken selbst anknüpfen sollte. Leibniz wollte für die Begriffe allgemein
giltige Zeichen aufstellen und einführen, die, ohne einen Lautwert zu besitzen,
von jedem Kundigen jeder Nation sofort in die heimatlichen Klänge umgesetzt
werden und zugleich als algebraische Zeichen dienen könnten, sodaß jeder Gedanke
gewissermaßen als mathematische Formel für eine Nechnuugsoperatiou sich
dem Auge darstellen würde. Gedanken solcher Art müssen damals förmlich in
der Luft gelegen haben, denn Leibniz ist weder der einzige noch der erste, der
sich bemühte, sie der Verwirklichung näher zu bringen. Bereits 1661 gaben
G. Dalgarn und der Urheber der Phlogistontheorie I. I. Becher einschlägige
Arbeiten heraus, und 1663 folgte ihnen Athanasius Kircher, 1668 der englische
Bischof I. Wilckins. Die Arbeit des letztgenannten ist ein richtiges System,
die andern Bücher über eine „Universalschrift" oder „philosophische Sprache"
sind jedoch in viel höherem Grade theoretische Erörterungen der Aufgabe, als
wirkliche Versuche zu ihrer praktischen Lösung.

Für die Idee einer Weltschrift giebt es mancherlei Analogien. Die Hiero¬
glyphen des alten Ägyptens und die Bilderschrift der Mexikaner z. B. stellen
den Gedanken unmittelbar und ohne Dazwischentreten einer bestimmten Sprache


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/182>, abgerufen am 23.07.2024.