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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Tcigebnchblatter eines Sonntagsphilosophen.

wirkliche entgegentritt, in ihrer höchsten Ausprägung auch eine blendende
Schönheit. Also auch Glanz als ihr Wesen aufgefaßt, es muß aber dabei an
die Sonne gedacht sein, vor deren Glanz man erschreckt die Augen schließt.
Nicht so oder gerade entgegengesetzt jene andere Schönheit, wie ich sie da sah.
Sie glänzt auch, aber mit einem stillen Glanz, der nicht von außen, von der
Oberfläche, sondern ans der Tiefe kommt, der darum auch wohl zu übersehen
ist, wenn ihm nicht von anderer Seite Tiefe entgegenkommt, zu der man ja
nicht immer aufgelegt ist, während blendende Schönheit gar nicht zu übersehen
ist und beim Andern von Stimmung oder Wechseluder Empfänglichkeit so gut
wie gar nicht abhängt, daher aber anch gar kein Aufthun der eignen Tiefe
braucht. Wenn diese dem Sprachgebrauch nach an die Sonne erinnert, die
unmittelbar auf die Sinne wirkt, so ist jene mehr wie Mondenglanz, der auf
das Gemüt wirkt und in uns auch nnr dann jene wundersame Wirkung thut,
welche die Dichter so gern aussprechen, wenn wir gerade in der Lage oder
Stimmung sind, das Gemütsleben spielen zu lassen, also uns selber tiefer auf¬
zuschließen. Der Sonnenglanz, der wirkliche wie der der Schönheit, wirkt über¬
wältigend, eigentlich zwingend und fragt uns gar nicht erst, ob wir auch zu
Hause sind, der Mondenglanz wirkt nur lockend ("ladend" nennt ihn Goethe
einmal) und stellt gleichsam erst die Frage an uns, ob wir auch in uns zu
Hause sind und nicht durch Außendinge zerstreut, kann aber eben darum auch
tiefer wirken, weil er unsre eigne Tiefe zum Mitthun aufruft.

Da ist es denn aber bemerkenswert, daß solch stiller Glanz doch auch
jugendlicher oder Frauenschönheit überhaupt zugesprochen wird, eben auch als
Ausdruck ihres Wesens. So bei Goethe im Divan (Buch Suleika, Nachklang):


Laß mich nicht so der Nacht, dem Schmerze,
Du allerliebstes, du mein Mondgesicht,
O du mein Phosphor, meine Kerze,
Du meine Sonne, du mein Licht!

Da steht freilich neben dem Monde anch die Sonne, es ist eine Häufung der
Bilder, die für die Vorstellung eigentlich störend ist, weil ein Bild das andere
gleichsam auswischt, die aber gut orientalisch dem Zwecke dient, daß die auf¬
quellende Empfindung sich mit Bildern recht genug thut oder eigentlich sich
nicht genug thun zu können scheint. Aber Mond und Phosphor passen wohl
zusammen und Goethe braucht den letztem auch sonst so, in einem Gedichte
"Grundbedingung" in der Abteilung "Epigrammatisch," einer Weisung an die
Dichter:


Eh du von der Liebe sprichst,
Las; sie erst im Herzen leben,
Eines holden Angesichts
Phosphorglanz dir Feuer geben.

Phosphorglanz könnte ich auch den Schönheitsglanz nennen, den ich dort auf
dein Antlitz der Alten aufleuchten sah, hier aber braucht ihn der Dichter


Tcigebnchblatter eines Sonntagsphilosophen.

wirkliche entgegentritt, in ihrer höchsten Ausprägung auch eine blendende
Schönheit. Also auch Glanz als ihr Wesen aufgefaßt, es muß aber dabei an
die Sonne gedacht sein, vor deren Glanz man erschreckt die Augen schließt.
Nicht so oder gerade entgegengesetzt jene andere Schönheit, wie ich sie da sah.
Sie glänzt auch, aber mit einem stillen Glanz, der nicht von außen, von der
Oberfläche, sondern ans der Tiefe kommt, der darum auch wohl zu übersehen
ist, wenn ihm nicht von anderer Seite Tiefe entgegenkommt, zu der man ja
nicht immer aufgelegt ist, während blendende Schönheit gar nicht zu übersehen
ist und beim Andern von Stimmung oder Wechseluder Empfänglichkeit so gut
wie gar nicht abhängt, daher aber anch gar kein Aufthun der eignen Tiefe
braucht. Wenn diese dem Sprachgebrauch nach an die Sonne erinnert, die
unmittelbar auf die Sinne wirkt, so ist jene mehr wie Mondenglanz, der auf
das Gemüt wirkt und in uns auch nnr dann jene wundersame Wirkung thut,
welche die Dichter so gern aussprechen, wenn wir gerade in der Lage oder
Stimmung sind, das Gemütsleben spielen zu lassen, also uns selber tiefer auf¬
zuschließen. Der Sonnenglanz, der wirkliche wie der der Schönheit, wirkt über¬
wältigend, eigentlich zwingend und fragt uns gar nicht erst, ob wir auch zu
Hause sind, der Mondenglanz wirkt nur lockend („ladend" nennt ihn Goethe
einmal) und stellt gleichsam erst die Frage an uns, ob wir auch in uns zu
Hause sind und nicht durch Außendinge zerstreut, kann aber eben darum auch
tiefer wirken, weil er unsre eigne Tiefe zum Mitthun aufruft.

Da ist es denn aber bemerkenswert, daß solch stiller Glanz doch auch
jugendlicher oder Frauenschönheit überhaupt zugesprochen wird, eben auch als
Ausdruck ihres Wesens. So bei Goethe im Divan (Buch Suleika, Nachklang):


Laß mich nicht so der Nacht, dem Schmerze,
Du allerliebstes, du mein Mondgesicht,
O du mein Phosphor, meine Kerze,
Du meine Sonne, du mein Licht!

Da steht freilich neben dem Monde anch die Sonne, es ist eine Häufung der
Bilder, die für die Vorstellung eigentlich störend ist, weil ein Bild das andere
gleichsam auswischt, die aber gut orientalisch dem Zwecke dient, daß die auf¬
quellende Empfindung sich mit Bildern recht genug thut oder eigentlich sich
nicht genug thun zu können scheint. Aber Mond und Phosphor passen wohl
zusammen und Goethe braucht den letztem auch sonst so, in einem Gedichte
„Grundbedingung" in der Abteilung „Epigrammatisch," einer Weisung an die
Dichter:


Eh du von der Liebe sprichst,
Las; sie erst im Herzen leben,
Eines holden Angesichts
Phosphorglanz dir Feuer geben.

Phosphorglanz könnte ich auch den Schönheitsglanz nennen, den ich dort auf
dein Antlitz der Alten aufleuchten sah, hier aber braucht ihn der Dichter


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[0135] Tcigebnchblatter eines Sonntagsphilosophen. wirkliche entgegentritt, in ihrer höchsten Ausprägung auch eine blendende Schönheit. Also auch Glanz als ihr Wesen aufgefaßt, es muß aber dabei an die Sonne gedacht sein, vor deren Glanz man erschreckt die Augen schließt. Nicht so oder gerade entgegengesetzt jene andere Schönheit, wie ich sie da sah. Sie glänzt auch, aber mit einem stillen Glanz, der nicht von außen, von der Oberfläche, sondern ans der Tiefe kommt, der darum auch wohl zu übersehen ist, wenn ihm nicht von anderer Seite Tiefe entgegenkommt, zu der man ja nicht immer aufgelegt ist, während blendende Schönheit gar nicht zu übersehen ist und beim Andern von Stimmung oder Wechseluder Empfänglichkeit so gut wie gar nicht abhängt, daher aber anch gar kein Aufthun der eignen Tiefe braucht. Wenn diese dem Sprachgebrauch nach an die Sonne erinnert, die unmittelbar auf die Sinne wirkt, so ist jene mehr wie Mondenglanz, der auf das Gemüt wirkt und in uns auch nnr dann jene wundersame Wirkung thut, welche die Dichter so gern aussprechen, wenn wir gerade in der Lage oder Stimmung sind, das Gemütsleben spielen zu lassen, also uns selber tiefer auf¬ zuschließen. Der Sonnenglanz, der wirkliche wie der der Schönheit, wirkt über¬ wältigend, eigentlich zwingend und fragt uns gar nicht erst, ob wir auch zu Hause sind, der Mondenglanz wirkt nur lockend („ladend" nennt ihn Goethe einmal) und stellt gleichsam erst die Frage an uns, ob wir auch in uns zu Hause sind und nicht durch Außendinge zerstreut, kann aber eben darum auch tiefer wirken, weil er unsre eigne Tiefe zum Mitthun aufruft. Da ist es denn aber bemerkenswert, daß solch stiller Glanz doch auch jugendlicher oder Frauenschönheit überhaupt zugesprochen wird, eben auch als Ausdruck ihres Wesens. So bei Goethe im Divan (Buch Suleika, Nachklang): Laß mich nicht so der Nacht, dem Schmerze, Du allerliebstes, du mein Mondgesicht, O du mein Phosphor, meine Kerze, Du meine Sonne, du mein Licht! Da steht freilich neben dem Monde anch die Sonne, es ist eine Häufung der Bilder, die für die Vorstellung eigentlich störend ist, weil ein Bild das andere gleichsam auswischt, die aber gut orientalisch dem Zwecke dient, daß die auf¬ quellende Empfindung sich mit Bildern recht genug thut oder eigentlich sich nicht genug thun zu können scheint. Aber Mond und Phosphor passen wohl zusammen und Goethe braucht den letztem auch sonst so, in einem Gedichte „Grundbedingung" in der Abteilung „Epigrammatisch," einer Weisung an die Dichter: Eh du von der Liebe sprichst, Las; sie erst im Herzen leben, Eines holden Angesichts Phosphorglanz dir Feuer geben. Phosphorglanz könnte ich auch den Schönheitsglanz nennen, den ich dort auf dein Antlitz der Alten aufleuchten sah, hier aber braucht ihn der Dichter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/135>, abgerufen am 23.07.2024.